# taz.de -- Proteste gegen Gaza-Krieg an US-Unis: Der Campus als Kampfzone
       
       > Zeltlager, Polizeieinsätze, antisemitische Sprüche: Die
       > Gazakrieg-Proteste spalten die US-Universitäten. Ein Besuch an der
       > Columbia in New York.
       
 (IMG) Bild: Pro-palästinensische Aktivist:innen protestieren am 22. April auf dem Campus der Columbia Universität
       
       Die Aufgeregtheit setzt weit vor den Toren der Columbia-Universität ein.
       Eigentlich schon in der U-Bahn, Linie Nummer 1. An der Station an der 116.
       Straße in Manhattan sieht man immer wieder junge Menschen mit
       schwarz-weißer Kufija aussteigen und sich ihren Weg Richtung Protestlager
       bahnen. Vorbei an den Kameras, vorbei an den vielen Polizist:innen und
       vorbei an einem schwarz vermummten Mann, der hier an der Straßenecke seit
       Tagen ausharrt. Auf seinem Plakat ist ein Davidstern aufgemalt. Die Wörter
       „Lügen“, „Betrügen“, „Stehlen“ und „Töten“ stehen jeweils in einer Ecke des
       Posters. Pfeile zeigen von ihnen auf den Davidstern. „Israel“ ist in die
       Mitte des Sterns geschrieben.
       
       Die Reaktion Israels auf die Massaker der Hamas am 7. Oktober und der Krieg
       in Gaza treiben die US-amerikanischen Universitäten seit Monaten um. Immer
       wieder gab es Demos und Störaktionen von propalästinensischen
       Aktivist:innen auf Uni-Plätzen und in Vorlesungen, jüdische Studierende
       berichteten von antisemitischen Anfeindungen und Hate Speech. In den
       vergangenen zwei Wochen hat sich die Situation aber noch einmal stark
       zugespitzt.
       
       Am Mittwoch vor einer Woche errichteten Studierende der
       Columbia-Universität, die zur Ivy League der altehrwürdigen US-Elite-Unis
       gehört, ein Zeltlager für Palästina-Solidarität auf dem Campus. Die
       Demonstrant:innen forderten unter anderem den Abbruch finanzieller
       Verbindungen der Universität zu Israel. Die Columbia-Universität hat ein
       Stiftungsvermögen von mehr als 14 Milliarden US-Dollar, das sie auch
       gewinnbringend anlegt.
       
       Die Protestierenden forderten ein Ende der Zusammenarbeit der Columbia mit
       Unternehmen, die die israelische Kriegsführung in Gaza unterstützen – auch
       akademische Beziehungen mit der Universität in Tel Aviv sollten beendet
       werden, solange diese nicht palästinensische Studierende aus dem
       Westjordanland und Gaza annehme.
       
       Am Tag nach der Errichtung des Camps schickte Uni-Präsidentin Minouche
       Shafik die Polizei aufs Universitätsgelände, um das Zeltlager zu räumen.
       Die Cops verhafteten mehr als 100 Demonstrant:innen, darunter auch
       progressive Jüdinnen und Juden, die dort mitprotestierten.
       
       Kurze Zeit später bauten die Studierenden die Zeltstadt wieder auf – dieses
       Mal auf der gegenüberliegenden Rasenseite.
       
       An der Columbia zeigt sich ein Dilemma, vor dem Universitäten im ganzen
       Land stehen. Sie müssen entscheiden, was Vorrang hat: Recht und Ordnung und
       das Bedürfnis vieler Studierender, sich auf dem Campus sicher und frei von
       verbalen Attacken und Störaktionen zu bewegen. Oder der Drang anderer
       Studierender, ihre politische Meinung frei zu äußern und gegen das
       menschliche Leid in Gaza zu protestieren. Gleichzeitig häufen sich Berichte
       über Vandalismus, antisemitische Übergriffe und Belästigungen von jüdischen
       Studierenden.
       
       Auch [1][an der Yale-Universität in New Haven] und an der
       New-York-Universität im unteren Teil Manhattans gab es bei Protesten in den
       vergangenen Tagen Polizeieinsätze und Verhaftungen. Am Montag wurde der
       Unterricht an der Columbia nur online abgehalten, dann auf Hybrid
       umgestellt – eine Alternative für Studierende, die sich auf dem Campus
       nicht sicher fühlen.
       
       Der [2][Rabbiner Elie Buechler schrieb in einem Brief] an seine jüdischen
       Studierenden: „Es schmerzt mich zutiefst, Ihnen sagen zu müssen, dass ich
       Ihnen dringend empfehle, so schnell wie möglich nach Hause zurückzukehren
       und dort zu bleiben, bis sich die Lage auf dem Campus und in der Umgebung
       dramatisch verbessert hat.“
       
       Kurz darauf widersprach [3][die jüdische Studierendenorganisation Hillel]
       der Warnung von Elie Bluechler, dass jüdische Studierende auf dem
       Columbia-Campus nicht sicher seien.
       
       Vor den streng bewachten Gittertoren der Universität stehen in diesen Tagen
       oft Dutzende Reporter:innen. Für die Presse gelten zurzeit streng
       kontrollierte „Besuchszeiten“.
       
       ## Politische Spielbälle
       
       Am Mittwoch scheint die Sonne, auf dem Campus wuseln Studierende zwischen
       der Zeltwiese und den Bibliotheken mit ihren korinthischen Säulen umher.
       Sie verteilen Reis, Falafel und Teigtaschen mit Spinat. Es wird gequatscht
       und gelacht, Palästina-Fahnen flattern im Wind. An diesem Nachmittag
       erinnert das neu errichtete Zeltlager eher an ein Hippiefestival. Wie eine
       Brutstätte des Extremismus wirkt es erst einmal nicht.
       
       [4][Greg Khalil sitzt vor dem „Pulitzer-Gebäude“ der Journalismusschule]
       der Universität und spricht in kompakten, makellos geschliffenen Sätzen.
       Khalil trägt einen grauen Bart und besitzt ein einnehmendes Wesen. Er ist
       Lehrbeauftragter der Fakultät, als einer der wenigen Dozierenden der
       Columbia-Universität hat er palästinensische Wurzeln. Seine Verwandten
       leben in der Nähe von Bethlehem.
       
       Khalils Erzählung beginnt mit den Worten: „There is a much bigger story.“ –
       Es gibt eine viel größere Geschichte. Die Universität hätte in ihrer
       Verantwortung als Bildungsinstitution versagt: darin, eine Plattform für
       die Studierenden zu schaffen, wo sie schwierige Gespräche führen und
       Gegensätze aushalten können, sagt Khalil. „Wo, wenn nicht hier?“
       
       Bis zum 7. Oktober wollte man gar nicht über den Nahost-Konflikt sprechen,
       weil das Thema als „zu kontrovers“ angesehen wurde. Nach dem Massaker der
       Hamas sei man nur bereit gewesen, über Antisemitismus zu sprechen – ohne
       Menschenrechte für alle anzusprechen. „In welcher Gesellschaft werden wir
       leben, wenn wir unfähig sind, Journalisten dazu auszubilden, Fakten,
       unterschiedliche Narrative und Geschichten zu sehen?“, sagt Khalil.
       
       Uni-Präsidentin Minouche Shafik interessiere weder die Sicherheit ihrer
       jüdischen noch ihrer palästinensischen Studierenden, die ebenfalls unter
       Angriffen litten, sagt Khalil. Statt diese zu beschützen, gehe es ihr
       darum, die Geldgeber der Universität zu befrieden – was den
       Antisemitismusvorwurf zum politischen Spielball mache. Wenn eine
       Universität die politischen Forderungen ihrer Geldgeber berücksichtigen
       müsse, stehe ihre akademische Unabhängigkeit auf dem Spiel.
       
       Khalil deutet auf die Treppen vor der großen Bibliothek. Eine Menschenmasse
       hat sich dort versammelt, der Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses Mike
       Johnson, ein trumpnaher Republikaner, hält dort gerade unter Buhrufen eine
       Rede.
       
       ## „Nahrung für Antisemiten“
       
       Im Januar nahm Khalil auf eben jenen Treppen zum ersten Mal einen
       gemeinsamen Protest mit israelischen und palästinensischen Fahnen zur
       Kenntnis: ein ungewöhnlicher Anblick, er war beeindruckt.
       
       Kurze Zeit darauf verschwanden die Demonstrant:innen. [5][Später erfuhr er,
       dass man sie mit Skunk angegriffen haben soll] Skunk ist ein
       nichttödliches, aber stark übel riechendes und häufig von der israelischen
       Armee gegen Palästinenser:innen eingesetztes Kampfmittel.
       
       15 Studierende mussten daraufhin im Krankenhaus behandelt werden. Die
       Uni-Leitung setzte alles daran, den Angriff auf die „unangemeldete
       propalästinensische Demonstration“ herunterzuspielen, ohne die israelischen
       Fahnen der Protestierenden auch nur zu erwähnen.
       
       „Und jetzt denken wir das Ganze mal umgekehrt“, sagt Khalil. „Wenn das
       proisraelische Studierende gewesen wären, würden wir bis heute jeden Tag
       über diesen Angriff sprechen.“ Die attackierten Studierenden sagten aus,
       dass die Angreifer zwei israelische Studenten der Universität gewesen
       wären, die früher in der israelischen Armee gedient hätten.
       
       Der Fall werde untersucht, hieß es dazu von der Uni-Verwaltung.
       
       Khalil bezeichnet sich selbst als Antizionist. Aber er sagt, er wolle den
       Antisemitismus nicht unter den Tisch kehren, im Gegenteil. Er wolle ihn
       bekämpfen – er warnt aber auch, dass das Verhalten der Universität
       gegenüber den Protestierenden gerade „Nahrung für Antisemiten“ sei, die
       sich darin bestätigt fühlten, dass Juden überproportionale Macht hätten und
       Medien kontrollieren würden.
       
       In den Protesten sieht Khalil eine Chance, er beobachtet neue Allianzen
       zwischen jüdischen und arabischen Studierenden, Zusammenarbeit und
       Solidarität. „Ich weiß, dass diese Protestierenden nicht immer die richtige
       Sprache verwenden und Fehler machen. Aber ich bin stolz auf diese jungen
       Menschen. Das sind die klügsten Köpfe Amerikas – und sie kämpfen für
       Gerechtigkeit.“
       
       ## Auf der Zeltwiese: Gedanken zu Antisemitismus
       
       Die Columbia-Universität blickt auf eine lange Protestgeschichte zurück,
       die auch zentraler Teil ihres Selbstverständnisses ist. [6][1968 besetzten
       Demonstrant:innen aus Protest gegen den Vietnamkrieg fünf
       Universitätsgebäude], sie nahmen einen Dekan als Geisel und brachten den
       Universitätsbetrieb zum Stillstand. Eine Woche nach Beginn der Besetzung
       stürmte die Polizei die Gebäude. 700 Studierende wurden festgenommen, 148
       wurden von der Polizei verletzt.
       
       Der Präsident der Universität musste daraufhin zurücktreten. Der Ruf der
       Uni litt und diese reagierte darauf mit Reformen, die Freiräume für
       Aktivismus der Studierenden sicher stellen sollte. Der Druck auf die
       jetzige Uni-Präsidentin Shafik ist auch deshalb so hoch. Und er wächst
       weiter von allen Seiten. Radikalere Stimmen, die im US-Wahlkampf Stimmung
       machen wollen, gießen von außen Öl ins Feuer.
       
       Wenige Meter von Greg Khalil entfernt ist die Stimmung aufgeheizt. „Mike,
       du nervst!“, ruft jemand. Der Sprecher des US-Repräsentantenhauses Mike
       Johnson fordert die Präsidentin da gerade vor versammelter Menge dazu auf,
       zurückzutreten, wenn sie unfähig sei, „das Chaos unter Kontrolle zu
       bringen“. Er kündigt an, Präsident Joe Biden aufzufordern, Maßnahmen zu
       ergreifen. Eine israelische Doktorandin ist gekommen, um Johnsons Rede zu
       hören. Wenn schon die Universität sie vor „denen da“ in ihren Zelten nicht
       beschütze, hoffe sie zumindest auf Hilfe vom Kongress, sagt sie.
       
       Auch drüben auf der Zeltwiese macht man sich Gedanken zu Antisemitismus,
       wenn auch ganz andere. Auf einer großen Programmtafel ist mit rotem Edding
       für 5 Uhr nachmittags ein Workshop zu Antisemitismus angekündigt. Dutzende
       finden sich im Kreis auf dem Boden ein, um zuzuhören. Die Redner der linken
       und dezidiert antizionistischen jüdischen Gruppe „Jewish Voice for Peace“
       haben alle Stoffmasken aufgesetzt und sprechen gedämpft ins Mikrofon. Sie
       fürchten, jemand von der Gegenseite könnte sie fotografieren, ihre Adressen
       herausfinden und ihren Familien drohen.
       
       „Antisemitismus“, sagt jemand, „macht uns alle krank.“ Ein Mädchen mit
       Strubbelhaaren und einer Kippa in Wassermelonen-Look, das Symbol für
       palästinensischen Widerstand, spricht darüber, wie sehr der Holocaust immer
       noch präsent im kollektiven jüdischen Gedächtnis sei. Den 7. Oktober
       erwähnt niemand.
       
       Jemand aus der Menge fragt, warum das Protestcamp die antisemitischen
       Slogans der vergangenen Tage nicht öffentlich verurteilt habe. Vor dem
       Campusgelände hatte jemand einer jüdischen Gruppe zugeschrien: „Geht doch
       zurück nach Polen.“ In den sozialen Medien kursiert ein Video,in dem eine
       mit Palästinensertuch vermummte Demonstrantin vor proisraelischen
       Demonstranten steht und ein Plakat in die Menge hält. Darauf steht. „Al
       Qassams nächstes Ziel“. Die Qassam-Brigaden sind eine militärische
       Unterorganisation der Hamas, die Israel vernichten will.
       
       Auf die Frage antwortet jemand: Statt alles immer nur symbolpolitisch zu
       verurteilen, gäbe es jetzt dieses Briefing zum Thema „Antisemitismus“. Das
       sei viel effektiver
       
       „Gibt es einen Weg, militanten Widerstand zu leisten, ohne antisemitisch zu
       sein?“, will ein Protestteilnehmer wissen. Auch darauf gibt es keine
       richtige Antwort.
       
       Die Gesprächsrunde verläuft höflich, im „safe space“ und ohne jede größere
       Konfrontation. Allerdings auch ohne kontroverse Themen wirklich
       auszuhandeln.
       
       ## Offenheit und Willen zu Lernen
       
       Ist es möglich, inklusiv sein zu wollen und gleichzeitig drei Viertel aller
       Juden und Jüdinnen auszuschließen, die sich zionistischen Ideen auf die ein
       oder andere Weise zugehörig fühlen, mit ihnen aufwuchsen oder auch in der
       israelischen Armee dienten?
       
       „Nicht ideal“ wird Sam, 22, die Situation bezeichnen. Aber für ihn sei das
       gerade nicht die Priorität, die habe die Lage in Gaza. Mit Nuancen werde
       man sich später beschäftigen. Alle Studierenden, die sich auf Gespräche mit
       der Presse einlassen, wollen nur mit ihren Vornamen zitiert werden.
       
       Als „viel zu simplistisch“ wird Aharon, ein israelischer Philosophiestudent
       mit bunter gestrickter Kippa die Diskussion um Antisemitismus am
       darauffolgenden Tag kritisieren.
       
       Aharon ist in einer jüdischen Siedlung bei Jerusalem aufgewachsen. Heute
       ist er orthodox und links. Er steht vor dem Eingang zum Protestlager, neben
       ihm seine Mitbewohnerin, die bei all seinen Worten zustimmend nickt. Aharon
       leitet die Campus-Initiative „Jews for Ceasefire“ und arbeitet eng mit dem
       propalästinensischen Protestcamp zusammen, auch wenn er nicht dazugehört.
       
       Seine Gruppe und das Protestlager arbeiten gemeinsam an einer Strategie,
       mit der Teilnehmende des Protestcamps in Zukunft für antisemitische
       Äußerungen verantwortlich gemacht werden sollen – allerdings bestehe auch
       unter Jüdinnen und Juden oft kein Konsens darüber, was als antisemitisch
       gelten soll und was nicht. Eine Distanzierung von den Strategien militanter
       palästinensischer Gruppen ist hier jedenfalls nicht zu hören.
       
       Doch sagt Aharon, er „erlebe viel Offenheit und Willen, zuzuhören und
       dazuzulernen“. Die größte Trennlinie zwischen den beiden Gruppen sei, dass
       seine Gruppe der „Jews for Ceasefire“ Studierende, die sich als
       Zionist:innen bezeichnen, weniger rigoros zurückweisen würden als die
       propalästinensischen Aktivist:innen.
       
       Sharif, 31, studiert Film in einem Masterstudiengang. Er sagt, er habe kein
       Interesse an einer Zusammenarbeit mit Studierenden, die sich als
       Zionist:innen bezeichnen. Er sitzt auf einer Betonablage vor dem Eingang
       in die Zeltstadt. Längst sind fast alle Reporter abgezogen, Dämmerung
       bricht über den Campus.
       
       Sharif trägt eine Kufija um seinen Kopf gewickelt, einen dichten schwarzen
       Bart und auch im Dunkeln noch eine schwarze Sonnenbrille, was ihn cool,
       aber auch ziemlich unnahbar erscheinen lässt. Er stammt aus einer
       ägyptischen Familie und wuchs in New Jersey auf, seit Jahren organisiert er
       Proteste. Bei diesem hier ist er verantwortlich für die Zusammenarbeit mit
       der Presse.
       
       Jede Nacht bleibt er bis 3 Uhr morgens, führt Medientrainings mit den
       Protestierenden durch, schreibt Pressemitteilungen, beantwortet Fragen von
       Journalist:innen.
       
       Aber für einen Pressesprecher, der „Kontext geben“ will, äußert er sich
       dann doch ziemlich undiplomatisch. Viele Zionist:innen auf dem Campus
       seien früher Soldaten der israelischen Armee gewesen, sagt er. Sie würden
       Demonstrant:innen angreifen und dann behaupten, dass sie sich wegen des
       Antisemitismus „unsicher“ fühlten. „Du kannst nicht einen gewalttätigen
       Genozid unterstützen und dann behaupten, du fühlst dich unsicher“.
       
       Sharif sagt auch, er hadere damit, die Hamas als Terrororganisation zu
       bezeichnen, und sehe Israel dafür als Terrorstaat. Die Anschuldigungen,
       dass israelische Frauen am 7. Oktober vergewaltigt worden seien, hält er
       für unwahr. In Gaza hingegen gäbe es tatsächlich Vergewaltigungen der
       Soldaten an Frauen und Mädchen. Überhaupt konsumiert er Nachrichten nicht
       aus „Mainstream-Medien“, sondern nur aus den sozialen Medien.
       
       Widerspricht man ihm, dann verliert er das Interesse am Gespräch, wird
       wortkarg, muss plötzlich gehen, spät sei es schon.
       
       ## „Über Nacht Nahostexperten geworden“
       
       Am nächsten Tag sieht der Campus anders aus. Jemand hat ein weites
       Rasenstück mit israelischen Fähnchen abgesteckt und rote Rosen auf eine
       Steinmauer gelegt, die im Laufe des Tages immer welker werden. Darunter
       hängen Fotos mit den in Gaza verschleppten israelischen Geiseln.
       
       Allie, 24, Masterstudentin in Public Health, wird das alles nicht sehen.
       Wie viele ihrer jüdischen Freund:innen meidet sie diesen Teil des
       Universitätsgeländes seit dem 7. Oktober. Sie hat keine Angst um ihre
       körperliche Unversehrtheit. Aber sie fühlt sich dort nicht wohl.
       
       Allie sitzt in einem Café außerhalb des Campus und nippt an ihrer Cola. Sie
       hat noch nie mit Journalist:innen gesprochen. Sie tastet sich langsam
       im Gespräch vor, wählt ihre Sätze behutsam, macht lange Pausen zwischen den
       Worten. Manchmal flüstert sie.
       
       Allie ist in einer jüdischen und zionistischen Jugendbewegung aufgewachsen.
       Seit sie zurückdenken kann, beschäftigt sie sich als amerikanische Jüdin
       mit Israel. „Ja, vielleicht einseitig, aber trotzdem. All diese
       Protestierenden sind mit dem Krieg über Nacht Nahostexperten geworden und
       wissen jetzt über die Komplexität dort Bescheid?“
       
       Einmal ist sie in Israel gewesen.Sie fühle Empathie gegenüber allen
       Menschen, Israelis wie Palästinensern, sagt sie. Aber nach dem 7. Oktober
       hörte sie, wie ein Pro-Palästina-Komitee das Gemetzel der Hamas als
       „Gegenoffensive“ bezeichnete.
       
       Und ihre Freundinnen erzählten ihr, wie ein Columbia-Professor fast freudig
       auf die Attacke reagiert habe.Wie ihre Stimmen und Erzählungen im
       Unterricht abgewunken wurden. Wie in diesen Unterrichtsstunden
       Freundschaften an solchen Reaktionen zerbrachen.
       
       Allie zog sich zurück, verkroch sich in ihre Gemeinschaft aus jüdischen
       Freundinnen und Freunden, denen sie vertraut und die ähnlich ticken wie
       sie.
       
       Sie selbst habe keine konkreten Erfahrungen mit Antisemitismus gemacht,
       sagt sie. Es sei mehr ein Gefühl. Ihr linkes Auge füllt sich langsam mit
       einer Träne.
       
       Allie hält nichts davon, Demonstrant:innen festnehmen zu lassen. Aber
       auf dieser Wiese, auf der heute die Zelte stehen, soll in zwei Wochen ihre
       Abschlussfeier stattfinden. In Kalifornien wurde gerade die Abschlussfeier
       einer großen Universität mit 65.000 Teilnehmenden nach Zusammenstößen mit
       der Polizei wegen Sicherheitsbedenken abgesagt.
       
       Für ihr Studium an der Columbia hat Allie einen Kredit von 130.000 Dollar
       aufgenommen. Zwei Jahre lang, sagt sie, habe sie sich auf ihre
       Abschlussfeier gefreut.
       
       26 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.nytimes.com/2024/04/22/us/yale-students-arrests-protests.html?unlocked_article_code=1.nU0.Z17E.YSffeQ-1hZYt&smid=url-share
 (DIR) [2] https://www.deutschlandfunk.de/rabbi-in-new-york-warnt-juedische-studierende-100.html
 (DIR) [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Hillel_(Organisation)
 (DIR) [4] https://journalism.columbia.edu/directory/gregory-n-khalil
 (DIR) [5] https://www.columbiaspectator.com/news/2024/01/22/protesters-allegedly-sprayed-with-hazardous-chemical-at-pro-palestinian-rally-nearly-two-dozen-report/
 (DIR) [6] https://www.nytimes.com/2024/04/18/nyregion/columbia-protest-1968-vietnam.html?unlocked_article_code=1.m00.Iof3.Hi7bCHQ2GRMj&smid=url-share
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marina Klimchuk
       
       ## TAGS
       
 (DIR) USA
 (DIR) Hochschule
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Bildungssystem
 (DIR) Israel
 (DIR) Palästina
 (DIR) Longread
 (DIR) GNS
 (DIR) Recherchefonds Ausland
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Palästina
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Räumung eines Camps an der FU Berlin: Protestbefreite Universität
       
       Propalästinensische Studierende besetzen einen Innenhof an der Freien
       Universität. Kurz darauf wird geräumt. Lehrkräfte solidarisieren sich mit
       den Protesten.
       
 (DIR) Nahost-Proteste an Sciences Po: Kaderschmiede als Protesthochburg
       
       Trotz eines Debatten-Versuchs gehen die Nahost-Proteste an der Sciences Po
       weiter. Zuletzt stellt die Uni auf Online-Betrieb um. Die Regionalbehörden
       wollen die Subventionen kürzen.
       
 (DIR) Biden über Proteste an US-Universitäten: „Kein Platz für Hass oder Gewalt“
       
       Erstmals äußert sich US-Präsident Biden zu den Protesten an amerikanischen
       Universitäten. Seine Nahost-Politik wird die Wahlen im November
       beeinflussen.
       
 (DIR) Proteste an US-Universitäten: Alle wollen Teil der Revolution sein
       
       Die Uni UCLA in Los Angeles ist im Ausnahmezustand. Es gibt
       Auseinandersetzungen zwischen pro-israelischen und pro-palästinensischen
       Aktivist:innen.
       
 (DIR) Fortschritte bei Verhandlungen in Nahost: Die Lösung ist politisch
       
       Bei den Verhandlungen um einen Waffenstillstand gibt es Fortschritte.
       Endlich, denn nur so kann ein nachhaltiger Frieden möglich werden.
       
 (DIR) Blockade an Pariser Universität: Protest gegen Gazakrieg an Sorbonne
       
       Aus den USA nach Frankreich: In den kommenden Tagen sind
       propalästinensische Aktionen auch an weiteren Universitäten Frankreichs
       geplant.
       
 (DIR) Kinder im Gazastreifen: Lernen in Trümmern
       
       Israel zerstöre das palästinensische Bildungswesen systematisch, mahnen
       UN-Vertreter. Derweil wird in Gaza unter freiem Himmel unterrichtet.
       
 (DIR) Israel und die Hamas: Hoffnung auf einen neuen Deal
       
       Israel droht, in Rafah einzumarschieren. Die Hamas veröffentlicht
       Geiselvideos. Kommt es diese Woche zu einem Abkommen?
       
 (DIR) +++ Nachrichten im Nahostkrieg +++: Hamas veröffentlicht Geisel-Video
       
       Die Hamas veröffentlicht ein Video, das nach Angaben der Geisel-Familien
       Omri Miran und Keith Siegel zeigt. Die Hamas prüfe derzeit eine Feuerpause.
       
 (DIR) +++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Israel spricht von „letzter Chance“
       
       Die Hamas prüft nach eigenen Angaben einen israelischen Vorschlag für eine
       Feuerpause und die Freilassung von Geiseln. China will einen
       Palästina-Gipfel ausrichten.