# taz.de -- Projekt „Queer History Month“: Hamburg lernt, sich queer zu lesen
       
       > Hamburgs „Queer History Month“ zeigt, wie Schwule, Lesben und
       > Transpersonen die Stadt geprägt haben. Das Programm ist breitgefächert.
       
 (IMG) Bild: Teil der Führung über queere Kunst ist der „Halbakt vor Feigenkaktus“ der Malerin Anita Rée, hier fotografiert im Jahr 2007
       
       HAMBURG taz | Simon Schultz führt durch die Kunsthalle und bleibt vor einer
       Darstellung des Heiligen Georg stehen: „Dies ist eine homoerotische Ikone“,
       sagt er über das 1520 entstandene Werk vom Meister des Döbelner Hochaltars.
       Das sorgt für Erstaunen bei den 30 Teilnehmenden der Führung „We are not
       just a trend: Kunst war schon immer auch queer“. Was genau ist wohl mit den
       sexuellen Auflösungsfantasien gemeint, von denen Schultz spricht?
       
       Eindeutiger ist der „Halbakt vor Feigenkaktus“ von Anita Rée. Ein
       Selbstporträt, bei dem die Künstlerin dem Betrachter ihre nackte Brust
       präsentiert. Rée malte bevorzugt Frauen und war unverheiratet. 1933
       suizidierte sich die Jüdin, nachdem sie von Nationalsozialisten als
       entartet angegriffen wurde.
       
       Die Motivation, an der Führung im Rahmen von Hamburgs erstem „Queer History
       Month“ teilzunehmen, ist unterschiedlich. Das Vorwissen auch: „Ich habe
       null Ahnung von Kunst und war noch nie in der Kunsthalle, aber mich
       interessiert das Thema“, so eine Teilnehmerin. Eine andere: „Ich bin
       Kunstlehrerin und möchte einen anderen Blick für die Bilder bekommen.“ Und
       eine weitere: „Ich habe [1][queere Themen] in der Familie, deswegen bin ich
       hier.“
       
       Vieles bleibt noch immer aus der Dauerausstellung verbannt. Oft muss
       Schultz ein Tablet mit Bildern aus dem Depot der Kunsthalle kreisen lassen.
       Zu sehen sind zwei nackte Frauen beim Oralsex oder die beiden Künstler
       Friedrich Carl Gröger und Heinrich Jakob Aldenrath 1815 mit ihrer
       Pflegetochter Lina, „einer damals höchst ungewöhnlichen Patchworkfamilie“.
       
       Der Rundgang endet vor „Doll Boy“ von David Hockney. Ein offen schwul
       lebender Künstler, der mit diesem Bild eine Liebeserklärung an den
       Popsänger Cliff Richard macht. Damals, 1961, als das Werk entstand, wurde
       Homosexualität auch in Großbritannien noch strafrechtlich verfolgt. Über 90
       Minuten richtet Kunstvermittler Schultz so einen aktuellen Blick auf
       einzelne Kunstwerke und sucht nach dem queeren Selbstausdruck.
       
       Die Führung war eine der ersten Veranstaltungen des „Queer History Month“
       in Hamburg, also eines historischen [2][LGBTIQ*]-Monats. Noch bis zum 1.
       Juni gibt es ein breit gefächertes Programm – vom Vortrag des queeren
       Schulaufklärungsprojekts „soorum“ über das Thema „Sexuelle und
       geschlechtliche Vielfalt im Unterricht“ über die Führung zu Orten
       lesbischen Lebens der Stadt bis zur Diskussion über gendergerechtes
       Bestatten auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Und auch die KZ-Gedenkstätte
       Neuengamme beteiligt sich.
       
       Dort wird am 18. Mai mit einem Rundgang an die Inhaftierung und Ermordung
       von Homosexuellen und Transpersonen im Nationalsozialismus erinnert. „Sie
       hatten wie die sogenannten Berufsverbrecher einen grünen Winkel auf der
       Häftlingsuniform. Zusätzlich war aber noch die Nummer 175, also der
       Paragraf, nach dem sie verurteilt worden waren, aufgedruckt. Später hat man
       extra den rosa Winkel eingeführt“, sagt Tonya Karnatz von der Gedenkstätte.
       
       Nach dem Krieg wurde darüber geschwiegen. Erst in den letzten Jahrzehnten
       änderte sich das. Es gab Gedenkveranstaltungen, initiiert von schwulen
       Gruppen. 1985 wurde in Neuengamme der erste Gedenkstein für [3][queere
       NS-Opfer] an einer KZ-Gedenkstätte eingeweiht. Wie viele queere Häftlinge
       in Neuengamme inhaftiert waren, kann nur geschätzt werden: „Wir gehen von
       400 Häftlingen aus, von denen die Hälfte nicht überlebt hat“, sagt Karnatz.
       „Leider sind viele Unterlagen dazu verloren gegangen oder vernichtet
       worden.“
       
       Auch das [4][Programm eCommemoration] der Körber-Stiftung macht beim „Queer
       History Month“ in Hamburg mit. „Es gibt in Deutschland mehr Denkmäler, auf
       denen Männer auf Pferden sitzen, als Denkmäler für Frauen“, sagt Anna
       Norpoth. „Das wollen wir ändern.“
       
       ## Digitales Denkmal für Lida Gustava Heymann
       
       Deswegen entstand im Rahmen der weltweiten #makeusvisible-Kampagne ein
       digitales Denkmal für Frauenrechtlerin [5][Lida Gustava Heymann]. Fast ein
       Jahr lang wurde mit dem New Yorker Künstlerinnenkollektiv Arora, dem
       Entwicklerstudio Scavengar und der Landeszentrale für politische Bildung
       Hamburg am digitalen Kunstwerk getüftelt. Jetzt kann man Audios, Fotos und
       die Texttafel auf dem Platz vor dem Rathaus aufrufen, allerdings nur mit
       einem iOS-Endgerät.
       
       Am 13. Mai wird die begleitete Vorführung dieses Denkmals in progress
       wiederholt. Die erste am vergangenen Montag hatte bereits zahlreiche
       Anregungungen zur Weiterentwicklung erbracht. Die sind willkommen: „Wir
       wollten ein interaktives Kunstwerk schaffen“, so Norpoth.
       
       Der Zugang erfolgt über einen QR-Code, der beispielsweise in angrenzenden
       Geschäften ausliegt. „Leider durften wir den QR-Code nicht öffentlich
       anbringen“, so Norpoth. Die Unterstützung für die Kampagne sei in anderen
       Städten wie München größer gewesen. Norpoth: „Offiziell durften wir auch
       nicht am Tag des offenen Denkmals teilnehmen.“ Schließlich sei das
       Kunstwerk kein richtiges Denkmal.
       
       8 May 2024
       
       ## LINKS
       
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       getanzt.