# taz.de -- Vorwürfe gegen Temu: Billiges China-Bashing
       
       > Temu ist dabei, Amazon das Zepter im Onlinehandel aus der Hand zu reißen.
       > Das sollte Anlass sein, solche Plattformen insgesamt besser zu
       > regulieren.
       
 (IMG) Bild: Vorurteile sind nie gute Urteile – und meistens auch noch heuchlerisch
       
       Unlautere Beeinflussung der Kund*innen, irreführende Werbung, unzulässige
       Dumpingpreise, Schrottprodukte, umweltschädigende Lieferwege,
       krebserregende Substanzen in Kinderspielzeug. Die Vorwürfe gegen die
       Handelsplattform Temu werden immer mehr, die beschriebenen Mängel immer
       drastischer. Drastischer wird auch der Tonfall der Anwürfe, denn Temu
       gehört einer chinesischen Holding und bietet chinesische Waren an.
       
       In wiederkehrenden Wellen wird seit Jahrzehnten die Bedrohung der jeweils
       heimischen Wirtschaft in Nordamerika und Europa durch billige Produkte und
       unsaubere Geschäftspraktiken beschworen. In diesen Tagen erst [1][rufen
       US-Präsident Biden und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine
       weitere Runde des immerwährenden kalten Handelskrieges aus]. Mit einer
       Rhetorik, die in Europa sonst eher Geflüchteten vorbehalten ist, warnt von
       der Leyen davor, dass Stahl und Elektroautos den europäischen Markt
       „fluten“ würden. Die Welt könne nicht Chinas Überproduktion aufnehmen.
       Biden macht die durch ungebremste staatliche Subventionen stark
       verbilligten Produkte als Problem aus. Sein Urteil über das chinesische
       Wettbewerbsgebaren ist prägnant: „Die konkurrieren nicht, die betrügen.“
       
       Und wenn die großen Ritter den Harnisch anlegen, dann darf sich der
       einfache Landsknecht bei der Verteidigung des Standorts nicht zurückhalten.
       Raoul Roßmann, von Beruf Sohn und Nachfolger eines Drogeriekettengründers,
       würde Temu wegen seiner Geschäftspraxis gerne abschalten. „Finger weg von
       Billigschrott aus China!“, [2][rät auch der Influencer Ron Perduss] seinen
       Hunderttausenden Zuschauer*innen. Dass Perduss sich ausgerechnet Tiktok,
       die hochgradig umstrittene chinesische soziale Plattform, zur Aussendung
       seiner Videobotschaften ausgesucht hat, ist dabei nur Symptom eines
       größeren Problems.
       
       Denn selbst seriöseste Organisationen wie die deutschen Verbrauchzentralen,
       die Temu völlig zu Recht unter anderem wegen intransparenter Rabatte und
       sogenannter Dark Patterns, der verbotenen Beeinflussung bei der
       Nutzerführung, [3][abmahnt], rütteln kaum am Geschäftsmodell der digitalen
       Plattform. Dieses beruht auf dem Streben nach Marktbeherrschung. Nach der
       Ausschaltung jeglicher Konkurrenz ist Kontrolle sowohl über Verkäufer als
       auch Käufer gewonnen und beide werden mit heftigen Gebühren ausgenommen.
       Nur das Versprechen solcher Übermonopole macht das jahrelange
       Verlustgeschäft der Plattform bis zum Durchbruch für Risikokapital
       interessant.
       
       ## Großes Vorbild
       
       Temu spielt mit dieser Strategie nach der Anleitung eines großen Vorbilds:
       Amazon. Dessen Aufstieg begann damit, durch guten Service und günstige
       Preise Verkäufer*innen und Kaufinteressierte selbst der obskursten
       Produkte zusammenzubringen. Dass die Plattform inzwischen qua Marktmacht in
       allen möglichen Geschäftszweigen kleinere Anbieter vernichtet und schlechte
       Produkte zu überteuerten Preisen verscherbelt, war dabei von Anfang an
       eingepreist. Genauso wie die maximale Ausbeutung der Angestellten und
       Abhängigen, inklusive totaler Überwachung und Union Busting.
       
       Temu geriert sich nun als eine Art Amazon auf Anabolika. Die Grenzen
       zwischen den Phasen der Expansion vom sexy nächsten großen Ding bis zur
       bleiernen Kontrolle über den Markt verschwimmen dabei in einem
       überblendeten Zeitraffer.
       
       Statt angesichts der chinesischen Disruption protektionistischen
       Nationalismus zu ventilieren, ließe sich die ganze Aufregung doch gut dafür
       verwenden, die Werkzeuge zur Regulierung der Digitalplattformen zu
       verbessern – und vor allem auch auf Plattformen, die nicht chinesischen
       Holdings gehören, anzuwenden.
       
       Der Digital Service Act, grad erst verabschiedet, böte sich an, oder auch
       das Lieferkettengesetz, um die Wirksamkeit staatlicher Eingriffe zu testen,
       genauso wie eine robuste Verteidigung und Erweiterung der Rechte abhängig
       Beschäftigter. Dann ist vielleicht die FDP nicht mehr mit im Boot, aber
       wenigstens klängen die Angriffe dann nicht gar so protorassistisch.
       Außerdem würde der Verbraucher:innenschutz nicht irgendwelchen
       Tiktokern und Milliardärserben überlassen und nicht mehr nur als reine
       Konsumberatung wahrgenommen werden können.
       
       10 May 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.nytimes.com/2024/05/08/us/politics/biden-china-imports.html
 (DIR) [2] https://www.tiktok.com/@ronperduss/video/7361560537357880608?lang=de-DE
 (DIR) [3] https://www.golem.de/news/onlinehandel-verbraucherzentrale-mahnt-temu-ab-2403-183574.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniél Kretschmar
       
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