# taz.de -- Krieg gegen die Ukraine: Charkiw unter Dauerfeuer
       
       > Seit Wochen greift Russland die ostukrainische Stadt an. Jüngstes
       > Beispiel: der zerstörte Fernsehturm. Hinzu kommen Befürchtungen vor einer
       > Invasion.
       
 (IMG) Bild: Der Gewinner ist Putins Propaganda: Trümmer des von Russland zerstörten Fernsehturms in Charkiw
       
       CHARKIW taz | Die ostukrainische Metropole Charkiw ist eine der am
       stärksten von der russischen Aggression bedrohten Städte des Landes.
       Russlands Präsident Wladimir Putin scheint das Ziel zu verfolgen, Charkiw
       in eine Ruinenstadt zu verwandeln. Exemplarisch dafür steht der Abschuss
       des zivil genutzten und 240 Meter hohen Fernsehturms am Montag: Ein
       russischer Marschflugkörper traf den unweit des Stadtzentrums befindlichen
       Turm und zerstörte die Konstruktion und große Teile der
       Telekommunikationseinrichtungen. Fotos und Videos zeigen, wie die obere
       Turmhälfte einknickt und Rauch aufsteigt.
       
       Seit Wochen arbeiten die russischen Streitkräfte daran, [1][das Leben in
       der Großstadt, in der vor Moskaus Angriffskrieg 1,4 Millionen Menschen
       wohnten, so schwer wie möglich zu machen]. Nach einem Raketenangriff am 22.
       März ist im Gebiet Charkiw nach wie vor die Stromversorgung gestört, in der
       Stadt gibt es kein warmes Wasser, und der Schul- und Universitätsunterricht
       ist praktisch unmöglich geworden.
       
       Durch die Zerstörung des Fernsehturms wird ein Teil des Charkiwer Gebietes
       nun auch Probleme beim Zugang zu Informationen haben: Im Umkreis von 40
       Kilometern gibt es kein digitales noch analoges Fernsehen mehr. Betroffen
       ist hauptsächlich der nördliche Teil Charkiws samt Umgebung, das bereits
       Tage zuvor im Fokus der russischen Angriffe stand. In erster Linie betrifft
       das Dörfer an der Frontlinie, in denen die russische Propaganda versucht,
       den Empfang sämtlicher ukrainischer Fernseh- und Radiosignale zu stören.
       
       An der Grenze zur Region Charkiw haben die Russen schon vor längerer Zeit
       leistungsstarke Relaisstationen installiert und damit begonnen, ihre
       Programme auf denselben Frequenzen auszustrahlen wie die ukrainischen. Und
       weil die Russen über stärkere und teurere Antennen verfügen, sind die
       Chancen, die ukrainischen Sender zu empfangen, im Norden des Charkiwer
       Gebietes faktisch gleich null. Somit bleibt den Ukrainern dort nur noch
       eine Informationsquelle: die russische Propaganda.
       
       ## Lawrow spricht von „entmilitarisierter Zone“
       
       Parallel zum Kampf um den Informationssektor in Charkiw bereiten die
       russischen Streitkräfte offenbar eine neue Angriffswelle aus der Gegend um
       Belgorod vor. Ganz offiziell stellt die Russische Föderation dazu bereits
       den Truppenverband „Nord“ an der Grenze zur Ukraine auf. Verschiedenen
       Angaben zufolge besteht dieser bereits jetzt aus rund 50.000 Soldaten, nach
       und nach soll ihre Zahl noch erhöht werden. Experten gehen davon aus, dass
       für eine Invasion Charkiws mindestens 150.000 Soldaten benötigt werden.
       Denkbar, dass dieser neue Truppenverband mit ebendieser Absicht aufgestellt
       wurde.
       
       Dazu passt, dass der russische Außenminister Sergei Lawrow kürzlich in
       einem Radiointerview zum ersten Mal offen über das Ziel gesprochen hat, im
       Gebiet Charkiw eine „entmilitarisierte Schutzzone“ einzurichten – ein
       Gebiet also, in dem die Kampfhandlungen dauerhaft fortgesetzt werden und in
       dem es für die Menschen kaum möglich sein wird, ein normales Leben zu
       führen.
       
       Auch das US-amerikanische „Institute for the Study of War“ kommt in einer
       neuesten Einschätzung zum Schluss, dass Russland womöglich einen
       Bodenangriff auf die ukrainische Stadt Charkiw plant. Der Kreml führe
       derzeit Lufteinsätze durch und sammele Informationen, um die Stadt zu
       zerstören und die Ukrainer zu vertreiben, schreibt die Denkfabrik. Die für
       die kommenden Wochen erwartete neue Hilfe der westlichen Partner könnte
       Russland dazu veranlassen, seine Angriffe aktuell zu verstärken.
       
       ## Die meisten sind bereit, die Stadt selbst zu verteidigen
       
       Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte am Montag in seiner
       abendlichen Videobotschaft denn auch erneut mehr internationale Hilfe bei
       der Verteidigung gegen russische Luftangriffe. Charkiw und andere
       ukrainische Städte bräuchten insbesondere Flugabwehrsysteme vom US-Typ
       Patriot, betonte er. Die Lieferung zumindest eines weiteren Patriot-Systems
       hatte Deutschland kürzlich zugesagt. Kyjiw hofft, dass andere Länder
       nachziehen werden.
       
       Die an den Dauerbeschuss gewöhnten Einwohner Charkiws verfolgen indes
       relativ uninteressiert die Abstimmung [2][in den USA über die Gewährung von
       Finanz- und Militärhilfe für die Ukraine]. Den Erklärungen ukrainischer und
       ausländischer Politiker stehen sie mittlerweile eher skeptisch gegenüber.
       Die meisten Charkiwer sind bereit, ihre Stadt aus eigener Kraft zu
       verteidigen.
       
       Oleg, ein ukrainischer Soldat aus Charkiw, sagt, dass sich im Fall eines
       neuen Invasionsversuches der russischen Streitkräfte viele seiner
       Bekannten, die aktuell an Frontabschnitten im Süden und Osten des Landes
       kämpfen, nach Charkiw verlegen lassen werden – damit sie ihre Häuser gegen
       die Russen selbst verteidigen können. Viele Zivilisten in Charkiw sähen das
       ähnlich. Sie alle würden die höchste Motivation bei der Verteidigung der
       Stadt haben, sagt Oleg.
       
       Aus dem Russischen: Gaby Coldewey
       
       23 Apr 2024
       
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