# taz.de -- EuGH-Urteil zu Vorratsdatenspeicherung: IP-Adressen gegen die Straflosigkeit
       
       > Auch zur Bekämpfung einfacher Kriminalität dürfen IP-Adressen verwendet
       > werden, so das EU-Gericht. Das könnte sich auf die deutsche Debatte
       > auswirken.
       
 (IMG) Bild: Von wem kommen die Daten? Konkret geben die Richter:innen den französischen Behörden mehr Spielraum im Kampf gegen Filesharing
       
       FREIBURG taz | Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat seine einst strenge
       Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung weiter aufgeweicht. Die
       Vorratsspeicherung von IP-Adressen ist nun zur Verfolgung jeglicher
       Kriminalität zulässig, auch bei Urheberrechtsverletzungen. Das Urteil
       betrifft einen Fall aus Frankreich, könnte aber auch Bewegung in die
       deutsche Diskussion bringen.
       
       Eigentlich war der EuGH das juristische Bollwerk gegen
       Vorratsdatenspeicherungen in der Europäischen Union. 2014 kippte er eine
       EU-Richtlinie und ab 2016 beanstandete er auch nationale Gesetze. Sein
       Argument: die anlasslose Speicherung der Internet- und
       Telekom-Verkehrsdaten der gesamten Bevölkerung ist unverhältnismäßig.
       
       Unter dem Druck der EU-Staaten [1][weichte er das generelle Verbot 2020
       allerdings auf] und ließ die anlasslose Speicherung von IP-Adressen zur
       Bekämpfung schwerer Kriminalität zu. Entscheidendes Beispiel für eine
       solche schwere Kriminalität war für den EuGH die Verbreitung von
       Kinderpornografie im Internet, die ohne allgemein gespeicherte IP-Adressen
       kaum aufgeklärt werden könne. Die IP-Adressen werden vom Provider beim
       Einwählen ins Internet vergeben.
       
       Am Dienstag ging der EuGH noch weiter. Die Speicherung der IP-Adressen ist
       nun zur Bekämpfung jeglicher Kriminalität zulässig, inklusive illegalem
       Filesharing von Musik- und Filmdateien. Das Gewicht dieser Entscheidung
       sieht man auch daran, dass sie vom Plenum aller 27 EuGH-Richter getroffen
       wurde.
       
       ## Gegen „systemische Straflosigkeit“
       
       Laut dem Gericht ist die Beschränkung der IP-Datenspeicherung auf schwere
       Kriminalität nicht gerechtfertigt, weil mit der IP-Adresse (einer
       vielstelligen Zahlenkombination) kein Persönlichkeitsprofil gewonnen werden
       kann. Wenn die IP-Adresse nicht mit anderen Daten kombiniert wird und nur
       zur Identifizierung von Personen genutzt wird, sei die Speicherung kein
       schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte.
       
       Zugleich werde mit einer Speicherung von IP-Adressen verhindert, dass bei
       Online-Straftaten eine „systemische Straflosigkeit“ entsteht. Denn hier sei
       die IP-Adresse des Täters oft der einzige Ermittlungsansatz.
       
       Die Zwangsspeicherung der IP-Adressen bei den Internet-Providern sei aber,
       so der EuGH, zeitlich „auf das absolut Notwendige“ zu begrenzen. Eine
       genaue Zahl von Wochen oder Monaten nannten die Richter:innen nicht.
       
       [2][Konkret ging es in dem EuGH-Fall um die französische Internetpolizei
       Hadopi], die in Internet-Tauschbörsen nach illegalen Angeboten von Musik
       und Filmen fahndet. Anhand der IP-Adressen identifiziert sie die illegalen
       Filesharer und greift dabei auf die Daten der französischen
       Vorratsdatenspeicherung zu. Wer zum ersten Mal erwischt wird, erhält eine
       Warnung. Ab dem dritten Mal gibt es eine Geldbuße, Geldstrafe oder
       Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.
       
       Das französische System, gegen das unter anderem die
       Digitalrechtler:innen von „La Quadrature du net“ geklagt hatten, kann
       nun im Kern bestehen bleiben.
       
       ## Ampel nicht einig
       
       In Deutschland ist die Lage anders. Die Vorratsdatenspeicherung für
       Telefon- und Internetverbindungsdaten steht zwar seit 2015 im
       Telekommunikationsgesetz, sie wurde mit Verweis auf die EuGH-Rechtsprechung
       aber nicht praktiziert. [3][Im September 2022 hat der EuGH das deutsche
       Gesetz ausdrücklich beanstandet].
       
       Innenministerin Nancy Faeser (SPD) wollte bisher zumindest eine
       Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung von Kinderpornographie einführen,
       weil dies der EuGH ja erlaubt habe. Justizminister Marco Buschmann (FDP)
       pocht jedoch auf den Koalitionsvertrag, der jeder Form der anlasslosen
       Massenspeicherungen eine Absage erteilt. Erst vor wenigen Wochen
       [4][einigte sich die Bundesregierung auf die Einführung der von Buschmann
       vorgeschlagenen Quick Freeze-Regelung], bei der Verbindungsdaten erst nach
       einem Verbrechen eingefroren und gesichert werden. Teile der SPD, darunter
       die Innenministerin, haben das bisher jedoch nicht als ausreichend
       akzeptiert.
       
       Nach dem EuGH-Urteil könnte eine Vorratsdatenspeicherung für IP-Adressen
       für Ermittler:innen noch interessanter werden. Zugleich dürfte sich
       Justizminister Buschmann in seiner Ablehnung bestätigt fühlen: Ohne eine
       neue gesetzliche Regelung bleibt die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland
       verboten.
       
       1 May 2024
       
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       ## AUTOREN
       
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