# taz.de -- Bayer Leverkusen im Europa-League-Finale: Kader als Kunstwerk
       
       > Leverkusen spielt schon eine Saison lang in Bestform. Das liegt auch am
       > brillant zusammengestellten Team. Finale Herausforderung ist nun Bergamo.
       
 (IMG) Bild: Selten im Vordergrund: Kader-Planer Simon Rolfes (r.) ist ein Meisterstück gelungen
       
       Als während der vergangenen Woche in Leverkusen der vom Kontinentalverband
       Uefa für Europapokalfinalisten vorgeschriebene Open Media Day stattfand,
       wurde Patrik Schick mit einer Frage konfrontiert, die derzeit gern
       diskutiert wird im Rheinland. Ob er es für möglich halte, dass Bayer
       Leverkusen nicht nur die dominante Mannschaft der Bundesliga sei, sondern
       sogar das stärkste Team in ganz Europa, wollte jemand von dem Stürmer
       wissen, der nicht lange über seine Antwort nachdenken musste. „Weil wir
       nicht in der Champions League spielen, ist es schwierig, das so zu
       beurteilen, aber ich würde sagen: Im Moment sind wir das Team mit der
       besten Form in Europa.“
       
       Dem dürften auch die Vertreter von Atalanta Bergamo zustimmen, die am
       Mittwochabend im Finale der Europa League versuchen werden, die Serie von
       mittlerweile 51 Spielen der Werkself ohne Niederlage zu beenden. Die Sache
       mit der „Form“ müsste die Italiener allerdings noch etwas eingehender
       beschäftigen, denn es geht in diesem Fall nicht allein um die klassische
       Bedeutung dieses Begriffs in Sportzusammenhängen. Jenseits der
       gegenwärtigen Verfassung dieser Mannschaft ist dieser Kader als Kunstwerk
       erkennbar geworden, das auch ein großer Bildhauer kaum perfekter hätte
       geformt haben können. Nicht aus dem hochwertigsten Material, das der Markt
       zu bieten hat, aber komponiert mit der Brillanz eines begnadeten Virtuosen.
       
       Die Bedeutung des [1][Trainers Xabi Alonso] für diese unglaubliche Saison
       ist oft beschrieben worden, auch die Schlüsselspieler Granit Xhaka,
       Jonathan Tah und Florian Wirtz wurden ausführlich durchleuchtet. Der Mann
       dahinter jedoch hält sich eher im Hintergrund. Dabei hat
       [2][Sportgeschäftsführer Simon Rolfes] das faszinierendste
       Bundesligaensemble zusammengestellt, das es seit vielen Jahren gab. Ein
       Werk, das man nun ein Jahr lang betrachten konnte und das immer neue
       Facetten zeigte. Eine schöner als die andere.
       
       Irgendwann in dieser Saison stellte Alonso zufrieden fest, dass er „eine
       Mannschaft mit Seele“ trainiert, weil die Spieler im vorgegebenen System
       sich exakt so ergänzen, dass ihre Stärken aufleuchten und ihre Schwächen
       unsichtbar bleiben. Und zwar dauerhaft durch alle Phasen und
       Startelfumbauten hindurch.
       
       ## Ausfälle sind kein Problem
       
       Von großer Bedeutung war dazu die Transferarbeit des vergangenen Sommers,
       weil mit Victor Boniface, Jonas Hofmann, Granit Xhaka und Alejandro
       Grimaldo vier Spieler unter Vertrag genommen wurden, die das Team auf ein
       neues Niveau gehoben haben. Aber die vollständige Qualität dieses
       feinsinnig gewebten Kaders wurde erst im Laufe der Zeit sichtbar, als
       Boniface verletzt war, als es keine A-Elf mehr gab, als Alonso rotierte und
       die Mannschaft trotzdem immer besser wurde. Das sei „in der heutigen Zeit
       mit den vielen Spielen, die für die großen Vereine im Verlauf einer Saison
       anstehen, nicht zu unterschätzen“, hat Rudi Völler, Rolfes’ Vorgänger,
       neulich gesagt. Es sind die vielen kleinen Details, die dieses Team [3][zu
       den „Invincibles“] machte, zu den Unbesiegbaren.
       
       So ist das Defensivsystem mit der Dreierkette perfekt auf die Stärken der
       Abwehrspieler zugeschnitten: Jonathan Tah ist der umsichtige Organisator,
       der keine Fehler mehr macht, Edmond Tapsoba ist schnell und stark im
       Spielaufbau, während Odilon Kossonou kleine wendige Gegenspieler
       kontrollieren kann, obwohl er selbst eher groß und robust ist. Die
       Doppelsechs mit Xhaka und Ezequiel Palacios harmonierte in der Hinrunde
       prächtig und wurde gar noch besser, als sich Palacios verletzte und Robert
       Andrich zum Einsatz kam. Florian Wirtz spielt ohnehin in einer ganz anderen
       Welt, besonders gut sichtbar wird die Faszinationskraft dieses Kaders
       jedoch an den Rollen der Flügelspieler Grimaldo und Jeremie Frimpong.
       
       Frimpong kann seinen offensiven Überschwang ausleben, weil dahinter eine
       halbe Mannschaft bereitsteht, die Löcher zu füllen, die mitunter entstehen.
       So war es weniger dieser Spieler selbst, der sich zu einer Waffe
       entwickelte, sondern sein Umfeld. Grimaldo hat unterdessen diesen
       besonderen linken Fuß, der nicht nur flanken, sondern auch fabelhaft aufs
       Tor schießen kann. Und wenn einer der Flügelspieler fehlt, tauchen eben
       Nathan Tella oder mal Josip Stanisic auf, die die Rollen auf eigene Art,
       aber im Geist des Kollektivs übernehmen.
       
       Es gibt zahlreiche weitere Details, die ähnlich funktionieren, selbst
       Torwart Lukas Hradecky spielt nicht immer, weil in den Pokalwettbewerben
       Matej Kovar Spielzeit erhält, womöglich sogar im Finale gegen Bergamo. „Ein
       Kader wird erfolgreich, wenn es ganz viele individuelle Erfolgsgeschichten
       gibt“, sagte Rolfes jüngst in einem Interview mit dem Spiegel. „Das Gefühl
       muss beim Spieler vorherrschen: Ich gebe etwas, aber ich bekomme auch ganz
       viel zurück.“ Selten hat dieses einfach Prinzip besser funktioniert in
       diesem Leverkusener Erfolgsumfeld.
       
       22 May 2024
       
       ## LINKS
       
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