# taz.de -- Besuch in Neukaledonien: Macron mahnt zur Ordnung
       
       > Nach den Unruhen hat Frankreichs Präsident das Überseegebiet besucht.
       > Kann das befrieden? Klar wird: Die Schatten der Kolonialzeit reichen bis
       > heute.
       
 (IMG) Bild: Sieht derzeit „keine gemeinsame Vision für die Zukunft“ Neukaledoniens: Präsident Macron am Donnerstag
       
       PARIS taz | Kann Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Neukaledonien
       nicht nur für Ruhe und Ordnung, sondern auch für eine Rückkehr zum
       Bürgerfrieden und für eine Verständigung zwischen sich feindlich
       gegenüberstehenden Bevölkerungsgruppen sorgen? Das war das (allzu)
       ambitiöse [1][Ziel eines kurzen Besuchs] auf der Inselgruppe im Südpazifik
       am Donnerstag, wo er nach schweren Unruhen die Delegationen der
       verschiedenen Gemeinschaften und ihrer Parteien zu Unterredungen traf.
       
       Schnell zeichnete sich ab, dass es zu früh war für eine Verständigung.
       Macron empfing zwar alle Persönlichkeiten der Unabhängigkeitsbewegung und
       auch der profranzösischen Loyalisten, aber je separat. Obwohl alle von
       einer raschen Rückkehr zu einem friedlichen Zusammenleben redeten, schienen
       die Forderungen und Interessen noch sehr weit auseinanderzuklaffen. Macron
       musste sich darauf beschränken, eine vorwiegend aus Funktionären
       zusammengesetzte Mission einzusetzen, die er mit der Wiederherstellung des
       Dialogs beauftragte.
       
       Seine erklärte Hauptaufgabe war ein sofortiges Ende der Gewalt und der
       chaotischen Szenen, die Macron selbst als „absolut unerhörte
       Aufstandsbewegung“ bezeichnet hat. Bei seiner Ankunft in Neukaledonien hat
       der Präsident die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung durch die
       insgesamt 3.000 Angehörigen der Polizei, Gendarmerie und Armee zu seiner
       „absoluten Priorität“ erklärt.
       
       Der [2][Ausnahmezustand], den er vor mehr als einer Woche in Neukaledonien
       verhängt hatte, bleibe darum so lange wie nötig in Kraft, und die
       Verstärkung der Ordnungskräfte werde notfalls auch während der Zeit der
       Olympischen Spiele im Sommer bleiben. Ein Ende des Ausnahmezustands sei nur
       dann möglich, wenn alle Parteien zu einer Räumung der Barrikaden und einem
       Ende der Gewalt aufrufen, sagte Macron in einem betont autoritären Tonfall.
       
       ## 17.000 Kilometer von Paris entfernt
       
       Neukaledonien ist ein 17.000 Kilometer weit von Paris entfernter Archipel
       östlich von Australien, aber eben auch immer noch ein Rest eines
       Kolonialreichs. Frankreich hat sich 1853 mit der Kolonisierung der
       Inselgruppe im Südpazifik ein anhaltendes Problem der Entkolonisierung
       eingebrockt, das in der Geschichte mehrfach zu blutigen Konflikten führte
       und jetzt wieder Hintergrund der aktuellen Konflikte ist.
       
       Als in Paris die Abgeordneten der Nationalversammlung Mitte vergangener
       Woche eine für die Kanak inakzeptable und provozierende Wahlrechtsreform
       verabschiedeten, brachen im Großraum von Nouméa, der neukaledonischen
       Hauptstadt, [3][Krawalle aus]. Kanakische Jugendliche errichteten
       Barrikaden, plünderten Geschäfte und Supermärkte und steckten zahllose
       Unternehmen, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen in Brand.
       
       Auslöser war die einseitig von den Loyalisten geforderte Wahlrechtsreform,
       die es auch seit 10 Jahren zugezogenen Neukaledonier*innen erlauben
       soll, bei den nächsten Provinzwahlen teilzunehmen. Diese Erweiterung der
       Liste der Stimmberechtigten aber würde zwangsläufig das politische Gewicht
       der indigenen Bevölkerung, der melanesischen Kanak, weiter schmälern. Heute
       stellen die Kanak noch 41 Prozent der neukaledonischen Bevölkerung dar. Sie
       sind mehrheitlich für eine definitive Entkolonisierung und eine
       Unabhängigkeit von Frankreich und regieren in zwei der drei Provinzen.
       
       Die Revision der Liste der Wahlberechtigten könnte dies womöglich ändern.
       Kanakische Politiker sagen dazu, sie seien nicht grundsätzlich gegen eine
       Ausweitung des Wahlrechts, doch könne darüber nur im Rahmen eines globalen
       Rahmens zum Status Neukaledoniens (sprich: einer Unabhängigkeit oder
       weitgehenden Autonomie) verhandelt werden. Es geht bei der Machtverteilung
       auch um die Interessen beim Abbau von Nickel, dem wichtigsten Exportgut
       dort.
       
       ## Misstrauen der ethnischen Gemeinschaften ist groß
       
       Bei den Unruhen sind 6 Menschen getötet worden, der Sachschaden beläuft
       sich laut Schätzungen der lokalen Handels- und Industriekammer auf eine
       Milliarde Euro. Schwerwiegender aber ist der politische Schaden: Vor allem
       ist das Misstrauen der ethnischen Gemeinschaften, die nach blutigen
       Auseinandersetzungen zwischen Separatisten und Loyalisten zwischen 1984 und
       1988 meistens friedlich zusammengelebt und auch im Rahmen von zwei
       Friedensabkommen über eine gemeinsame Zukunft diskutiert haben, wieder
       groß.
       
       Wie mit den Abkommen für eine Autonomie Neukaledoniens von 1988 und 1998
       vereinbart, wurde seither auch drei Mal über eine Unabhängigkeit
       abgestimmt. Stets siegte das Lager, das für einen Verbleib bei Frankreich
       ist. Die von mehreren in der FLNKS (Nationale Kanakische und Sozialistische
       Befreiungsfront) zusammengeschlossenen Parteien aber protestierten gegen
       das letzte, [4][unter fragwürdigen Bedingungen der Coronapandemie
       organisierte „Referendum“ von 2021] und erkennen das Ergebnis nicht an.
       
       Die verschiedenen Gemeinschaften der Bevölkerung hatten sich von Macrons
       Kurzbesuch eine Vermittlungsinitiative oder wenigstens ein Entgegenkommen
       gewünscht, um eine weitere Eskalation in diesem Konflikt zu vermeiden und
       den durch die gewaltsamen Krawalle abgebrochen Dialog über eine gemeinsame
       Zukunft auf dem Archipel im Südpazifik wiederaufnehmen zu können. Sowohl
       die Kanak, aber auch ein Teil der eher gemäßigten Loyalisten und den
       „Caldoches“ genannten Festlandfranzosen wünschten, dass der französische
       Präsident die für Ende Juni angesagte Abstimmung über die strittige
       Wahlrechtsreform durch die zum Kongress vereinten Parlamentskammern in
       Versailles aussetzen würde.
       
       Ein Teil der Unabhängigkeitsbewegung sah in einer solchen „Pause“ sogar die
       Vorbedingung für weitere Verhandlungen. Im Gegensatz dazu sagte ein
       Vertreter des harten Flügels der Loyalisten, der Abgeordnete Nicolas
       Metzdorf kompromisslos: „Wer den Rückzug oder die Suspendierung dieser
       Reform fordert, gibt den Plünderern und Randalierern recht“.
       
       Am Ende [5][seines Besuchs] musste Macron konstatieren, dass es derzeit
       „keine gemeinsame Vision für die Zukunft“ Neukaledoniens gebe. Er möchte
       aber auf weitere Gespräche setzen und falls sich eine globale Lösung
       abzeichne, könnten die Neukaledonier auch darüber abstimmen. Bezüglich der
       Wahlrechtsreform wolle er nichts „mit Gewalt“ durchsetzen. Der Präsident
       sagte aber auch nicht, dass er darauf verzichten werde.
       
       23 May 2024
       
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