# taz.de -- Die Wahrheit: Gesteigerte Werte
       
       > Tagebuch einer Bildbeobachterin: Unterwegs bei einem Termin mit Häppchen
       > und Kunst, erscheint einem die Moral von der Geschicht höchst fragwürdig.
       
       Vor Wahlen wird ja immer gern mit dem Üblichen geworben, also Wohlstand,
       Gerechtigkeit und so, diesmal liegen schon seit Wochen „Sicherheit“ und
       „Freiheit“ schwer im Trend.
       
       Während die SPD auf Plakaten im safen „Wir-Gefühl“ badet, punktet die CDU
       mit „In Freiheit. In Sicherheit. In Wohlstand.“. Die FDP behauptet:
       „Wirtschaft liebt Freiheit so wie Du“, womit wohl die Freiheit zur
       Steuervermeidung gemeint ist, derweil die Grünen richtig in die Vollen
       gehen und wahlweise „Frieden und Sicherheit“ oder „Frieden und Freiheit“
       anbieten.
       
       Die allgegenwärtigen Beschwörungsformeln fingen gerade an, mich zu
       verunsichern, als die Mail-Einladung zur Veranstaltung einer Schweizer
       Firma eintraf und Entspannung versprach. Das Thema war „Sicherheit für Ihr
       Vermögen, Investment in Kunst“. Die Schweiz, das sicherste Land der Welt!
       Und es gab Häppchen und Freigetränke!
       
       Zu Beginn durfte das Publikum der potenziellen Investoren die ausgestellten
       Fotografieschätze bewundern. Mit überflüssigen Angaben zur Provenienz
       wollte man gar nicht erst langweilen, sondern zeigte stattdessen Grafiken
       mit Wertsteigerungskurven. Beeindruckt erlebte ich meine erste
       „Motivational Speech“ und sah zu, wie ein ohrstöpselbewährter älterer Herr,
       der in seinen jugendlichen Sneakers und dem Pyjama-Anzug aussah wie eine
       Mischung aus Mr. Spock und Sektenführer, durch den Saal pirschte.
       
       „Wenn Sie in Kunst investieren wollen, kaufen Sie Frauen!“, beschwor er uns
       Zuhörer, „nehmen Sie Vivian Maier! Kunstinvestment ist Kapitalsicherung“,
       schnarrte es aus den Lautsprechern.
       
       ## Völlig währungsunabhängig
       
       Die besagte Vivian Maier war bei der Verteilung der Kapitalsicherungsgene
       wohl eher leer ausgegangen, denn sie fristete ein ärmliches Leben als
       Kindermädchen verzogener Gören in Chicago und New Jersey, bis sie gänzlich
       unbekannt in recht unsicheren Verhältnissen starb. Wie die zeitlebens
       ruhmlose Meisterin der Streetphotography wohl auf ihren rasant gestiegenen
       Marktwert reagiert hätte? „Der Vorteil ist,“ erklärte Mr. Spock gerade,
       „Sie haben hundert Prozent Eigentum am Sachwert! Völlig währungsunabhängig,
       Gewinne nach einem Jahr steuerfrei!“
       
       Seine Firma steckt die kostbaren Werke für den Investor gegen Provision in
       ein Zollfreilager, wo sie in Dunkelhaft bleiben, bis sie zur steuerfreien
       Wertsteigerungsmitnahme auf den Markt geworfen werden und kurz ins Licht
       blinzeln dürfen. Das ist so die Art Freiheit, wie die Wirtschaft und die
       FDP sie liebt. Ich hatte kurz eine Assoziation an finstere Keller, in denen
       noch finsterere Menschen Welpen züchten, deren Mütter nie die Sonne sehen.
       
       „Und das Beste …“, riss mich Mr. Spock aus meinen Gedanken, „Sie haben ein
       moralisch sauberes Investment!“
       
       Moralisch saubere Kunst im Schweizer Zollfreilager. Darauf ein Freigetränk.
       
       24 May 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pia Frankenberg
       
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