# taz.de -- Die Wahrheit: Sanftes Boxen
       
       > Tagebuch einer Entschuldigerin: Kein Pardon sollte allen Verursachern des
       > dauernden Chaos wie zum Beispiel bei der Bahn gegeben werden.
       
       Sind wir bald da?“, krähte es kürzlich alle drei Minuten durchs
       Ruheabteil meines Zugs. Das ist so was wie der Kernsatz meines Lebens, wer
       mich kennt, weiß, dass Geduld nicht gerade meine Stärke ist. Ich litt
       verständnisvoll mit, es war ja auch gerade Weltkindertag. Der zugehörige
       Vater lächelte gleichermaßen gequält wie entschuldigend, womit er meine
       persönliche Weltentschuldigungswoche einleitete, deren Inhalte sich als
       recht unterschiedlich herausstellen sollten.
       
       Zwischen zwei „Wann sind wir da?“ und verschiedenen Zugführerdurchsagen
       hätte ich als Erstes gern die Bahn ermutigt, ab sofort die Selbstgeißelung
       einzustellen und ihre Mea-culpa-Texte über kaputte Gleise und
       Verspätungschaos wie folgt anzupassen: „Grund dafür ist die
       Infrastruktur-scheißegal-Haltung der letzten vier CSU-Verkehrsminister.
       Erstattungsanfragen richten Sie bitte an deren Parteizentrale.“
       
       Kurz vor dem Aussteigen traf ich überraschend auf zwei mir bekannte
       Personen, die ich höflichkeitshalber einander vorstellen wollte, scheiterte
       aber wie üblich daran, dass ich mir nicht mal die Namen meiner Freunde
       merken kann. Eine unvermittelte Zugbremsung erlöste mich und warf mich dem
       einen auf den Schoß, während ich dem anderen meinen glücklicherweise kalten
       Kaffee aufs Handy kippte.
       
       Stellvertretend für die CSU entschuldigte ich mich ausführlich, zu dritt
       beschlossen wir, der Partei mit Hinweis auf veraltete Bremssysteme eine
       Sammelbeschwerde zu schicken.
       
       Bei mir entschuldigt hat sich dann anderntags die Hausgerätefirma, in deren
       Paket mit den bestellten Backblechen eine Großfamilie Silberfische döste,
       die beim Auspacken aus ihrem Reisekoma erwachte und sich schläfrig
       aufmachte, unter meine Küchenmöbel zu flüchten. Ich schickte eine
       freundliche Mail mit Fotos, in der ich berichtete, es sei mir gelungen, das
       Vorhaben zu vereiteln und alle Mitglieder der Sippe bis auf eines herzlos
       zu vernichten.
       
       Offenbar handele es sich wegen seiner Größe um den fortpflanzungsfreudigen
       Clanchef, dessen Brut ich gespannt entgegensehe, bestimmt werde er bald
       irgendwo eine willige Partnerin finden. Die Firma schickte mir reuevoll ein
       nagelneues, silberfischfreies Putztuch für Glaskeramikkochflächen; an
       dieser Stelle noch einmal vielen Dank.
       
       Zum Abschluss erlebte ich in einem Café eine Form der vorgezogenen
       Fake-Entschuldigung. Auftritt forsche junge Frau: „Entschuldigung, kann ich
       mich zu Ihnen setzen?“ Getreu dem Ingeborg-Bachmann-Titel „Die Wahrheit
       ist dem Menschen zumutbar“ entgegnete ich: „Nehmen Sie es mir nicht übel,
       da sind Tische frei, ich würde hier gern allein sitzen und denken.“ – „Ist
       mir egal“, verkündete Aggro-Woman und plumpste neben mich. „Entschuldigen
       Sie mich kurz“, sagte ich vornehm und holte die das Café betreibende
       Amateurboxerin.
       
       In Wahrheit trollte ich mich an den Nachbartisch. Man muss wissen, wann der
       Kampf sich lohnt.
       
       13 Jun 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pia Frankenberg
       
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