# taz.de -- Verfilmung eines Sportlerinnenlebens: Tränen auf Wasser
       
       > Disney verfilmt das Leben von Gertrude Ederle. Die hat sich in den
       > 1920ern nicht nur im Becken freigeschwommen.
       
 (IMG) Bild: Entschlossener Blick: Daisy Ridley in der Rolle der Schwimmerin Gertrude Ederle
       
       Das Gertrude Ederle Recreation Center ist ein unscheinbarer Bau im
       äußersten Westen von Manhattan, wo die Stadt zum Fluss hin ausfranst und
       die Straßen menschenleer sind. Hinter einer unauffälligen Klinkerfassade
       befindet sich ein städtisches Sportzentrum mit einem Fitnessraum, einem
       Schwimmbad und ein paar Basketballplätzen. Voll ist es hier nie.
       
       Wenn man die Besucher fragt, nach wem die Einrichtung benannt ist, erntet
       man derweil bestenfalls ein Stirnrunzeln. Irgendetwas sagt [1][Gertrude
       Ederle] den New Yorkern, doch in welchem Zusammenhang genau sie den Namen
       schon einmal gehört haben, wissen die meisten nicht.
       
       Das soll nun der Kinofilm [2][„The Young Woman and the Sea“] ändern, ein
       aufwendig produzierter Disney-Schinken über das Leben ebendieser Gertrude
       Ederle. In einer Szene ganz zum Ende des Films sagt eine Figur: „Vergesst
       [3][Babe Ruth]. Vergesst [4][Jack Dempsey]. Ederle ist die größte
       Sportlerin unserer Zeit.“ Das war 1926 und der Film liefert gute Argumente
       für diese These. Und er versucht gleichzeitig gutzumachen, dass sie, anders
       als der Baseballspieler Ruth und der Boxer Dempsey, vollkommen in
       Vergessenheit geraten ist.
       
       Zur Erinnerung: Ederle, Tochter eines deutschstämmigen Metzgers aus New
       York, durchquerte 1926 als erste Frau schwimmend den Ärmelkanal, nachdem
       sie bei den Olympischen Spielen 1924 eine Goldmedaille gewonnen hatte.
       Dabei brach sie den Rekord der Männer um mehr als zwei Stunden. Die
       Leistung war damals eine Sensation. Ederle war wochenlang in den
       Schlagzeilen und bekam als erste weibliche Sportlerin eine Konfettiparade
       am Broadway.
       
       Doch dann wurde es still um sie. Für das Tingeln mit einer Varietétruppe
       war sie nicht geschaffen und anders als für ihren
       Nationalmannschaftskollegen Johnny Weissmüller interessierte sich auch
       Hollywood nicht für sie. Sie lebte bis zu ihrem Tod 2003 eine stille
       Existenz als Schwimmlehrerin.
       
       ## Dick aufgetragene Widerstände
       
       Im Mittelpunkt des Films steht indes, welche Widerstände eine junge Frau
       aus der Arbeiterschicht in den 20er Jahren zu überwinden hatte, um
       überhaupt eine Chance auf eine sportliche Karriere zu haben. Dabei wird
       nach Hollywoodmanier ziemlich dick aufgetragen, doch die Kernbotschaft ist
       sicher wahr.
       
       Es beginnt damit, dass ihr Vater nichts davon wissen möchte, dass die junge
       Gertrude und ihre Schwester in einen der wenigen Frauenschwimmvereine
       eintreten, die es damals gab. Er konnte keinen Sinn darin sehen, dass seine
       Töchter schwimmen lernen, schließlich war ihre Bestimmung, einen netten
       jungen Mann aus der Nachbarschaft zu heiraten und mit ihm nach Möglichkeit
       das Metzgergeschäft zu übernehmen.
       
       Ederles Schwester fügt sich schließlich in dieses Schicksal. In einer
       Schlüsselszene des Films umarmen sich die beiden Schwestern und Gertrude
       gesteht Meg, dass sie „das einfach nicht schafft, so zu leben“.
       
       Stattdessen fährt sie zu den Spielen von Paris, wo sie laut Drehbuch von
       dem männlichen Olympiacoach sabotiert wird. Die Episode ist nur halbwahr,
       Ederles Trainerin Charlotte Epstein war in Paris dabei. Was aber durchaus
       stimmt, ist, dass der Verband den Frauen aus Sorge um deren Tugend die
       Vorbereitung erschwerte.
       
       So war Ederle in Paris weit weniger erfolgreich als erhofft. Und so setzt
       sie sich [5][die Kanalüberquerung] in den Kopf, um der Welt zu zeigen, was
       sie draufhat. Dabei muss sie wieder gegen alle möglichen Blockaden
       ankämpfen, niemand traut ihr diesen Irrsinn zu. Schließlich wird sie erneut
       von ihrem eigenen Trainer unterlaufen, der ihr im Film beim ersten
       Querungsversuch Schlafmittel in den Tee rührt. Auch diese Episode ist nicht
       belegt, die Skepsis ihres Betreuers hingegen schon.
       
       Das große Finale des Streifens ist schließlich die geglückte Querung, die
       die sture Ederle auf eigene Faust mit einer Crew organisiert, die an sie
       glaubt. Dabei zeigt Hollywood, was es kann: Es hat noch nie eine filmische
       Darstellung eines so langweiligen Sports wie Langstreckenschwimmen gegeben,
       die so spannend und dramatisch war.
       
       Am Ende sind dann ganz Amerika und sogar ihr sturer Vater stolz auf das
       tapfere Mädchen. Und selbst die hartgesottensten Kinobesucher suchen still
       und klammheimlich nach einem Taschentuch. Es sind Tränen, die Ederle
       verdient hat. Auch wenn sie beinahe 100 Jahre zu spät kommen.
       
       5 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Vorzeigeathletinnen-im-Schwimmen/!6000069
 (DIR) [2] https://thewaltdisneycompany.com/young-woman-and-the-sea-daisy-ridley-jerry-bruckheimer/
 (DIR) [3] /Baseball-Idol-waehrend-Spanischer-Grippe/!5681856
 (DIR) [4] https://boxrec.com/en/proboxer/9009
 (DIR) [5] /Doku-ueber-Extremsportlerin/!5968506
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sebastian Moll
       
       ## TAGS
       
 (DIR) American Pie
 (DIR) Schwimmen
 (DIR) Freiwasserschwimmen
 (DIR) Feminismus
 (DIR) Schwimmen
 (DIR) American Pie
 (DIR) Kolumne Erste Frauen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Vorzeigeathletinnen im Schwimmen: Schwimmende Sensationen
       
       Die Roaring Twenties waren Boomjahre für den Schwimmsport, besonders bei
       den Frauen. Zeitweise waren sie schneller als die schnellsten Männer.
       
 (DIR) Doku über Extremsportlerin: Süchtig nach Anerkennung
       
       Ein neuer Netflix-Film erzählt die Geschichte der Langstreckenschwimmerin
       Diana Nyad. Er zeigt auch, wie umstritten die Sportlerin ist.
       
 (DIR) Frauen im Langstreckenlauf: Erste Weltrekordlerin im Marathon
       
       Von Fans angefeuert, von Medien angefeindet, brauchte Violet Piercy 1926
       nicht mal vier Stunden für ihren Lauf.