# taz.de -- Zinswende im Euroraum: EZB fürchtet „holprigen Weg“
       
       > Als erste große Notenbank weltweit wagt die Europäische Zentralbank eine
       > Zinssenkung. Dennoch sieht sie Risiken für die Geldstabilität.
       
 (IMG) Bild: Hier werden die Zinssenkungen gemacht: EZB-Tower in Frankfurt/Main
       
       BERLIN taz | Als weltweit erste große Notenbank leitet die [1][Europäische
       Zentralbank (EZB) die Zinswende] ein – und erklärt damit die zweijährige
       Ära der Inflation vorerst für beendet. Die Währungshüter um
       Notenbankpräsidentin Christine Lagarde [2][senkten die Leitzinsen am
       Donnerstag] um 0,25 Prozentpunkte. Der zentrale Zins, zu dem sich
       Geschäftsbanken Geld bei der EZB leihen können, liegt damit nun bei 4,25
       Prozent.
       
       Inflation und Preisdruck seien gesunken, die „Zuversicht ist in den
       vergangenen Monaten gestiegen“, begründete Lagarde die erste Zinssenkung
       seit fast fünf Jahren. Die Inflationsrate in der Eurozone war seit ihrem
       Höhepunkt im Oktober 2022 von damals 10,6 auf 2,6 Prozent im Mai gesunken.
       Im Kampf gegen die [3][hohe Inflation] hatte die EZB zuvor zehnmal in Folge
       die Zinsen erhöht.
       
       Die Entscheidung hat Auswirkungen auf das gesamte Wirtschaftsleben:
       Kreditkund:innen, Unternehmer:innen und Anleger:innen kommen nun
       tendenziell günstiger an Kapital – deshalb stimulieren sinkende Zinsen
       grundsätzlich die Konjunktur. Sparer:innen hingegen bekommen weniger
       Rendite.
       
       Expert:innen aus allen Lagern lobten den Schritt: Die Zinssenkung sei
       „sinnvoll“, weil sich die Inflation in Europa mittlerweile in Richtung der
       erwünschten Rate zurückentwickelt, erklärte der Chef des konservativen
       Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest. Die EZB strebt eine Teuerung von 2
       Prozent für die 20-Länder-Gemeinschaft an – und glaubt, dieses Ziel bis
       Mitte 2025 zu erreichen. Auch Silke Tober, Geldexpertin beim
       gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der
       Hans-Böckler-Stiftung, nannte die Zinssenkung „richtig und überfällig“.
       
       ## Frühestens im Sommer neue Ansagen
       
       Lagarde wollte sich nicht auf Ansagen für weitere Zinssenkungen einlassen.
       Frühestens im Sommer werde es dazu kommen können, abhängig wahrscheinlich
       von den immer noch recht hohen Preissteigerungen im Dienstleistungssektor:
       Es stünde „noch ein holpriger Weg bevor“, sagte die EZB-Präsidentin. So
       hatten wichtige Wirtschaftsdaten zuletzt sogar eher eine Straffung der
       Geldpolitik signalisiert, sodass das Wachstum der Löhne in der Eurozone
       anzog. Kritiker des EZB-Kurses fürchten deshalb, dass die zuletzt [4][hohen
       Lohnabschlüsse] dazu führen könnten, dass Firmen die Preise erhöhen, um das
       abzufedern.
       
       „Die Befürchtung der EZB, die Löhne könnten die Preise treiben, war von
       Anfang an unbegründet und ist es nach wie vor“, [5][sagte dazu DGB-Vorstand
       Stefan Körzell]. Dank der guten Tarifabschlüsse der letzten Monate wären
       die Löhne der Beschäftigten ordentlich gestiegen. Das sei „angesichts von
       deutlichen Reallohnverlusten in den letzten Jahren allerdings auch
       notwendig und von den Unternehmen ohne Weiteres finanzierbar, ohne dass
       diese zusätzlich die Preise anheben“. Lagarde ging auf die Lohnsteigerungen
       in Deutschland ein, etwa auf die gut 11 Prozent für die Angestellten der
       Länder im öffentlichen Dienst. Die Abschlüsse hätten hoch ausfallen müssen,
       weil es zuvor drei Jahre lang keine Gehaltssteigerung gegeben habe, sagte
       die Notenbankerin.
       
       Ein weiteres Problem sieht die EZB in der volatilen Weltlage. Eine weitere
       Eskalation an den Krisenherden berge weitere Risiken für die
       Geldstabilität, sagte Lagarde. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine
       war es 2022 zu rasant steigenden Energie- und Transportpreisen gekommen.
       Die deutsche Wirtschaft trafen die Zinserhöhungen besonders hart.
       
       ## Bauministerin Geywitz optimistisch
       
       An den Börsen war die von den Notenbanker:innen immer wieder
       angedeutete Zinssenkung um einen Viertelprozentpunkt seit Monaten bereits
       eingepreist worden, die Kurse waren also in Erwartung günstigerer
       Finanzierungsmöglichkeiten kräftig angezogen. Aus demselben Grund sind die
       Kreditzinsen seit Anfang des Jahres gesunken. Sparer:innen bekamen statt
       3,5 Prozent nur noch 3,3 Prozent fürs Guthaben. Anders bei
       Immobilienkrediten: Statt im Schnitt 4,4 Prozent sind derzeit nur noch etwa
       3,7 Prozent für ein typisches Darlehen fällig.
       
       Die Bauwirtschaft geht von einer stützenden Wirkung der Zinssenkung aus. In
       der vergangenen Phase steigender Zinsen waren die Finanzierungskosten für
       viele Vorhaben explodiert – die Branche litt. „Günstige Finanzierungen am
       Kreditmarkt sind enorm wichtig für den Wohnungsbau“, sagte
       Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD).
       
       Die EZB gehört mit ihrer Lockerung der Zinspolitik zu den mutigeren
       Notenbanken weltweit: Während die US-Notenbank Fed und die britische Bank
       of England noch mit einer Zinssenkung warten, haben die Notenbanken in
       Kanada, der Schweiz und in Schweden bereits gehandelt.
       
       Anm.: In einer früheren Version dieses Textes stand, dass Lagarde vor
       „Bomben auf der Straße“ warnte. Tatsächlich warnte sie vor einem „holprigen
       Weg“. Das englische Wort für Bomben („bombs“) klingt ähnlich wie das Wort
       für Delle („bumps“). Wir bitten um Entschuldigung.
       
       6 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.ecb.europa.eu/home/html/index.de.html
 (DIR) [2] /EZB-will-den-Leitzins-senken/!6011934
 (DIR) [3] /Oekonom-Huether-ueber-die-Schuldenbremse/!6014209
 (DIR) [4] /Realloehne-steigen/!6013831
 (DIR) [5] https://www.dgb.de/presse/pressemitteilungen/agenturzitat/die-zinswende-der-europaeischen-zentralbank-ist-laengst-ueberfaellig/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kai Schöneberg
       
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