# taz.de -- taz wird: „Es geht darum, möglichst viele Menschen mitzunehmen“
       
       > Der Bremer taz Salon diskutiert, wie gesund und klimafreundlich gutes
       > Essen sein sollte
       
       Interview Benno Schirrmeister
       
       taz: Herr Ellrott, sind nicht alle Experten, wenn es um gutes Essen geht? 
       
       Thomas Ellrott: Doch, und zwar von Kindheit an. Jeder Mensch will und kann
       das aus einer individuellen Perspektive heraus beurteilen. Man hat da also
       in Deutschland immer mit 84 Millionen Expertinnen und Experten zu tun. Das
       macht die Debatte manchmal schwierig.
       
       Also hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) für ihre neuen „Gut
       essen und trinken“-Empfehlungen nicht mehr nur auf eine Fach-Diskussion
       gesetzt? 
       
       Früher hat die wirklich ein Expertengremium erarbeitet. Jetzt haben wir
       dafür erstmals einen Algorithmus eingesetzt, den wir mit allen verfügbaren
       Daten gefüttert haben. Der berechnet neutral, was die deutsche Bevölkerung
       essen müsste, um sich klima- und landnutzungsschonender zu ernähren und um
       möglichst viele Jahre an ernährungsbedingter Krankheitslast zu sparen. Das
       sind die Kriterien, die dem Algorithmus auf den Weg gegeben werden – und
       die er so lange optimiert, bis am Ende Empfehlungen für verschiedene
       Lebensmittelgruppen stehen.
       
       Das gilt für alle Krankheiten? 
       
       Nein. Wir haben uns dafür auf die Global Burden of Disease-Datenbank
       gestützt, das ist die weltgrößte Datenbank zu Nahrungsfaktoren und
       Gesundheit. Dank der lässt sich statistisch berechnen, wie bestimmte
       Lebensmittelgruppen assoziiert sind mit dem Diabetes-Typ-II-Risiko, oder
       dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Darmtumore auszubilden. Das
       wird mit den Klima- und Umweltauswirkungen abgeglichen. Und dann fließt
       noch eine dritte Kategorie ein, nämlich der so genannte Verzehr.
       
       Das ist die politische Komponente? 
       
       Ich würde sie eher die Verhaltenskomponente nennen.
       
       Wozu braucht es die? 
       
       Wenn Sie die nicht berücksichtigen würden, erhalten Sie zwar einen
       hochgradig statistisch abgesicherten Wert, der Krankheit und Umweltschäden
       optimal verringern, der also den meisten Benefit bringen würde für die
       Bevölkerung. Aber Sie haben keine Chance, das umzusetzen. Dafür müssten die
       Leute in Deutschland nämlich komplett anders essen, als sie es über
       Jahrhunderte hier gelernt haben und wie es hier in der Region tradiert
       worden ist. Solche Empfehlungen wären nicht anschlussfähig.
       
       Aber sachlich richtig? 
       
       Was nützt es, Ernährungsempfehlungen zu machen, mit Lebensmitteln oder
       Rezepturen, die zu weit weg sind von dem, was die Menschen bisher essen? Es
       geht darum, möglichst viele Menschen mitzunehmen auf dieser Reise.
       
       Trotzdem sind dann die Empfehlungen medial als rein politische Setzung
       beschimpft worden: nur ein Ei pro Woche, da war [1][der Kommentator der
       Rheinischen Post richtig sauer!] 
       
       Die Bildzeitung war da genauso unterwegs.
       
       Wie lässt sich damit umgehen? 
       
       Es liegt eigentlich im Wesen dieser Empfehlungen, dass sie Widerspruch
       hervorrufen: Denn die Menschen sind verschieden, aber die Wissenschaft ist
       noch nicht weit genug, dass jeder aufgrund seiner persönlichen Gesundheits-
       und Lebensstil-Daten eine individuelle Ernährungsempfehlung bekäme. Das
       ist, wo es hingeht. Die DGE muss also Empfehlungen entwickeln, von denen
       vorab klar ist, die treffen nur das statistische Mittel. Sie sind aber
       dennoch aus gesellschaftlicher Perspektive unendlich hilfreich: Wenn
       tatsächlich die Bevölkerung in Gänze die neuen DGE-Empfehlungen einhalten
       würde, dann würde das zum Beispiel die mit Ernährung assoziierten
       Treibhausgas-Emissionen praktisch halbieren. Das wäre ein gewaltiger Erfolg
       – und es hätte einen erheblichen Impact aufs Klima.
       
       11 Jun 2024
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Schirrmeister
       
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