# taz.de -- „Aus Mangel an Beweisen“ bei Apple TV: Gyllenhaal ist reich und traurig
       
       > In der Serie „Aus Mangel an Beweisen“ wird die Chance auf ein zeitgemäßes
       > Remake des 90er-Jahre-Klassikers vertan – und zwar massiv.
       
 (IMG) Bild: Reich und traurig: Jake Gyllenhaal in „Aus Mangel an Beweisen“
       
       Die Grundprämisse des Romans „Aus Mangel an Beweisen“ von [1][Scott Turow]
       ist so generisch, dass ein Remake der gleichnamigen Verfilmung mit Harrison
       Ford von 1990 unausweichlich war.
       
       Privat und beruflich gut etablierter Ehemann der oberen Mittelschicht
       betrügt Ehefrau, Geliebte stirbt, Mann gerät unter Verdacht. In der nun auf
       Apple TV+ erscheinenden achtteiligen Neuverfilmung hätte es viele Chancen
       auf zeitgemäße Darstellungsweisen und originelle Uminterpretationen
       gegeben, die meisten davon bleiben ungenutzt. Darauf, dass Rusty, besagter
       gut situierter Ehemann, nun mit [2][Jake Gyllenhaal] besetzt wurde, hat man
       sich offensichtlich genüsslich ausgeruht.
       
       Was die Zuschauerschaft vor allem sieht, sind Nahaufnahmen vom schönen
       Gyllenhaal – wie er sich mit edel beringter Hand ins vor Sorgen zerfurchte
       Gesicht greift, wie er tiefsinnig und reumütig seiner Frau in die Haare
       fasst, reich und traurig. Auch männliche Attraktivität kann zum Fetisch der
       Kamera werden. Dass er dabei seines eigenen Unglückes Schmied ist, wird
       erzähllogisch nicht aufgefangen. Kinder und Ehefrau tänzeln um seine
       fragile Männlichkeit herum und wollen seine Stimmung nicht noch
       verschlechtern – die Gefahr ist gering, Gyllenhaals Mimik verändert sich
       ohnehin kaum.
       
       Am schwersten aber wiegt die Mär der sich immerzu kümmernden Frau, die in
       einer bodenlos rückschrittlichen Interpretation der weiblichen Figuren
       vorgebetet wird. Sahen wir vor 34 Jahren eine scharfzüngige, lustige
       Ehefrau, die ihrem Mann intellektuell nicht nur gewachsen, sondern
       überlegen ist, wird 2024 Barbara ([3][Ruth Negga]) zur devoten,
       weinerlichen Partnerin. Der Versuch, Female Rage zeitgemäß zu
       thematisieren, wird in Therapiestunden ausgelagert, in denen sie sich sagen
       lässt, irgendwann platze sie bestimmt vor Wut.
       
       ## Im Male Gaze des Gegenübers
       
       Bis dahin aber ist sie die für ihre Selbstlosigkeit zu bewundernde Frau des
       Golden Boy, die sich auf infantilisierende Weise den Egologiken ihres
       Mannes unterwirft. Weibliche Wut gab es 1990 zur Genüge, eigeninitiiert und
       selbstbestimmt, originell und gewitzt. In der jetzigen Verfilmung fehlt sie
       völlig. Gleiches gilt für Carolyn, die ermordete Affäre. Vor drei
       Jahrzehnten wurde eine Frau mit eigener Lust entworfen, die das
       Liebesverhältnis initiiert und gleichzeitig nicht von ihrer Rolle als
       Geliebte dominiert wird. Die heutige Carolyn (Renate Reinsve) verbleibt in
       Rustys Perspektive, im Male Gaze des Gegenübers. Ihr passiert die Affäre,
       so wie ihr der Mord passiert.
       
       Die Zuschauerschaft sieht Rusty romantische Gefühle entwickeln, als er
       Carolyn dabei zuschaut, wie sie mit einem Kind spricht. War die
       Parallelszene 1990 noch eine, die den Mut und unbestechlichen
       Gerechtigkeitssinn einer jungen Staatsanwältin demonstriert, die ein
       misshandeltes Kind um jeden Preis aus seiner Situation befreien möchte,
       wird 2024 eine Szene daraus, die Mütterlichkeit und Weichheit zum Grund für
       Amors Pfeil werden lässt. Der offensichtlichste Versuch der Modernisierung,
       die endlosen und eher pseudoexpliziten Sexszenen zwischen Rusty und
       Carolyn, erliegt dem größten Missverständnis: mehr Sex, mehr Emanzipation.
       Das Gegenteil ist der Fall. Carolyn wird fast nur im Bett gezeigt, mit
       geröteten Wangen und ungescheiteltem Haar, und bleibt so trotz aller
       Andeutungen auf ihre selbstbestimmte, fordernde Sexualität – ein Objekt.
       
       Geschlechterklischees des häuslichen, sinnlichen Reagierens auf der einen
       und weltlichen, mächtigen Agierens auf der anderen Seite durchziehen diese
       Neuverfilmung, die bedauerlicherweise zeigt: Jake Gyllenhaal und viel
       nackte Haut allein besitzen noch kein Innovationspotenzial.
       
       13 Jun 2024
       
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