# taz.de -- kritisch gesehen: „das fehlende segment“ in der bremischen bürgerschaft: Bereitwillig radikalisierte Hochschule
       
       Einen Schleimpilz lässt Jana Piotrowski die Vergangenheit bewältigen. Das
       liegt nahe: Physarum polycephalum hat zwar kein Gehirn, aber ein
       Gedächtnis. In einer Vitrine in der Bremischen Bürgerschaft, rechts vom
       Plenarsaal, frisst er sich nun durchs Faksimile einer Festrede. Gehalten
       hat die am 8. April 1934 zur Eröffnung der „[1][Nordischen
       Kunsthochschule]“ Richard Vonhoff (NSDAP), von 1933 bis 1945 Bremer
       Bildungssenator. Sie beauftragt Beschäftigte und Studenten der Nordischen
       Kunsthochschule (NKH) mit der „Mehrung der Zahl rassisch hochwertiger
       Menschen“ und besteht darüber hinaus im Wesentlichen aus Blut und Boden.
       Hoffentlich kann [2][der Schleimpilz das verdauen]!
       
       Piotrowskis Installation „Memory (Studies)“ darf als Höhepunkt der kleinen
       Ausstellung „Das fehlende Segment“ gelten: Koordiniert von Andrea
       Rauschenbusch, Andree Korpys und Markus Löffler, Profs an der Hochschule
       für Künste, erzählt sie auf Stelltafeln die Geschichte der NKH, aus der die
       heutige Hochschule unmittelbar hervorgegangen ist. Zudem präsentiert sie
       gestalterische Kommentare von 15 Studierenden und Alumni zu dieser
       Vergangenheit. Die ist kaum bekannt, dabei gilt die NKH als einzige
       Kunsthochschulgründung der NS-Zeit. Mit Blick auf die Gegenwart fast noch
       bedrückender ist der Gedanke, wie geschmeidig die Umwandlung ihrer
       Vorläuferin, der tendenziell fortschrittlichen staatlichen
       Kunstgewerbeschule, in ein Nazi-Prestigeprojekt gelang: Zwar wurde der
       Rektor mit gerade mal 60 Jahren in den Ruhestand gegangen. Das restliche
       Personal scheint sich indes auf Linie gebracht zu haben.
       
       Die Studierenden reagieren sehr unterschiedlich auf die Aufgabe. Manche
       flüchten sich in eine – dem raunenden Nazi-Mystizismus verwandte – Pose der
       Undarstellbarkeit. Referenzen auf die lokale Kunstgeschichte befeuert das
       Denken am meisten – auch weil die konkrete Bezugnahme diese Arbeiten
       anfechtbar macht. Djamila Köckeritz’„Deutschland hat eine Baustelle“
       beispielsweise besteht in erster Linie aus einer Reihe quadratischer
       türkisgrüner Keramikfliesen. Solche fungieren immer noch als
       Schmuckelemente im Hochschulstammhaus, heute als Schule genutzt.
       
       Bei Köckeritz nun sollen sie die Kontinuität rechter Gewalt symbolisieren.
       Das klingt zunächst schlüssig, doch wurde das Gebäude bereits 1922
       errichtet, die Entwürfe stammen von einem Architekten, der dem Nazi-Regime
       abhold war. So wirft die Arbeit die ästhetisch relevante Frage auf, ob
       Missbrauch und ideologische Überschreibung dauerhafter sind als eine
       ursprüngliche Werk-Intention. Oder, umgekehrt: Was in aller Welt könnte sie
       je abwaschen?
       
       Benno Schirrmeister
       
       Ausstellung „Das fehlende Segment“: bis 13. 6., Haus der Bürgerschaft,
       Bremen. Führungen am 8. 6., 11.30 Uhr und 15 Uhr
       
       7 Jun 2024
       
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