# taz.de -- Zweite Staffel „House of the Dragon“: Feministische Fantasy
       
       > Auch in der zweiten Staffel von „House of the Dragon“ stehen die Frauen
       > im Mittelpunkt – und ihre Strategien, im übelsten Patriarchat zu
       > bestehen.
       
 (IMG) Bild: Alicent Hohenturm (Olivia Cooke) bringt Licht ins Dunkel
       
       „Ihr seid viel weiser, als ich geglaubt habe. Und dennoch stellt ihr euch
       weiterhin in den Dienst von Männern, eurem Vater, eurem Gemahl, eurem Sohn.
       Ihr sehnt euch nicht nach Freiheit, sondern nach einem Fenster in der Mauer
       eures Gefängnisses.“
       
       Es sind die bislang wohl denkwürdigsten Dialogzeilen in [1][„House of the
       Dragon“], der Erzählung von dem Niedergang des Hauses Targaryen,
       angesiedelt etwa 200 Jahre vor den Ereignissen in „Game of Thrones“. Sie
       bringen nicht nur zum Ausdruck, wie entschieden sich das Prequel zur
       Erfolgsserie mit weiblichen Perspektiven auseinandersetzt, sondern auch,
       wie weit die verwendeten Metaphern über die fiktive mittelalterliche
       Fantasywelt von Westeros hinausweisen – und einen Widerstreit auf den Punkt
       bringen, der viel mit der unsrigen, der realen Welt zu tun hat.
       
       Gesprochen werden sie von Rhaenys Velaryon (Eve Best), die den klingenden
       Beinamen „die Königin, die niemals war“ trägt, seit sie einst aus einer
       Abstimmung unter allen Lords der Sieben Königslande über das Erbe des
       umkämpften „Eisernen Throns“ gegenüber ihrem männlichen Mitbewerber Viserys
       I. (Paddy Considine) als Verliererin hervorging – trotz ihres größeren
       Anspruches, und der besseren charakterlichen Eignung zur Anführerin.
       
       Adressatin ihrer Worte ist wiederum Alicent Hohenturm (Olivia Cooke), die
       „Nochkönigin“ des Reiches, die diesen Status nur durch eine forcierte
       Heirat mit besagtem Viserys erlangte. Nach dessen Tod versucht sie, ihren
       leiblichen Sohn Aegon II. (Tom Glynn-Carney) als Thronfolger zu
       installieren. Wider den Wunsch des Königs, der eigentlich seine Tochter
       Rhaenyra Targaryen (Emma D’Arcy), gezeugt mit dessen ersten Ehefrau, zur
       rechtmäßigen Erbin ernannte.
       
       ## Bestenfalls verdeckter Einfluss
       
       Was ihr Gespräch widerspiegelt, sind unterschiedliche Strategien, mit einem
       männlich geprägten Machtsystem umzugehen. Während Rhaenys für den Versuch
       steht, sich offen den patriarchalen Spielregeln zu widersetzen,
       repräsentiert Alicent ihre Verinnerlichung. Im Glauben an ihre
       Unabänderlichkeit beschränkt sie sich in vorauseilendem Gehorsam auf einen
       bestenfalls verdeckten Einfluss. Den als Ehefrau, Mutter und Tochter auf
       die herrschenden Männer – und trägt so letztlich zur Reproduktion der
       Verhältnisse bei.
       
       Es ist regelrecht erstaunlich, wie wenig „House of the Dragon“ bislang als
       feministische Fantasyserie zelebriert wird. Denn schon vor dieser
       pointierten Gegenüberstellung gegen Ende der ersten Staffel durchziehen
       geschlechterspezifische Diskurse den Plot. Frauen und ihre jeweiligen
       Machtansprüche, die Strukturen, die sie davon abhalten, sie zu
       verwirklichen, und vor allem besagte Formen, mit ihnen umzugehen, sind
       geradezu das zentrale Thema der Handlung.
       
       Mehr noch als es schon in „Game of Thrones“ der Fall war, das zwar für
       seine Darstellung von viel nackter Haut und sexueller Gewalt an Frauen
       kritisiert wurde, gleichsam aber weibliche Figuren als taktierende Figuren
       in ihren positiven wie negativen Facetten ernster nahm, als es viele
       Vertreter des Genres zuvor taten. Nun, in „House of the Dragon“, ist selbst
       der Umgang mit Sexualität ein anderer. Ohne bei ihrer Inszenierung in eine
       falsche Biederkeit zu verfallen, dienen freizügige Szenen nun stärker einem
       erzählerischen Zweck, anstatt sich bloß als effektvoller Schauwert einen
       Platz in der Spielzeit zu verdienen.
       
       In den ersten Folgen etwa gibt es eine scharfsinnige Montage, die bedeutend
       zum Verständnis des später angespannten Verhältnisses zwischen den damals
       noch freundschaftlich verbundenen jungen Protagonistinnen Alicent und
       Rhaenyra beiträgt: Erstere wird als neue Gemahlin in die Gemächer des
       Königs Viserys gerufen, der nach dem Tod seiner ersten Ehefrau auf Gedeih
       und Verderb einen männlichen Nachfolger zeugen will. Während des Aktes
       konzentriert sich die Kamera auf ihre abgeklärte Miene, ihre reglosen
       Hände.
       
       ## Sex als stumpfe Pflicht
       
       Den Einstellungen, aus denen spricht, dass Alicent sich schlicht einer
       stumpfen „Pflicht“ hingibt, werden Szenen von der ebenfalls jugendlichen
       Rhaenyra gegenübergestellt, die von einem Streifzug an der Seite ihres
       herrschsüchtigen Onkels Daemon (Matt Smith) durch die Stadt heimkehrt und
       nach dessen abrupt unterbrochenen Annäherungsversuch entschlossen ein
       Mitglied der Königsgarde (Fabien Frankel) verführt.
       
       Thematisiert wird so nicht nur, dass beide Frauen von jungen Jahren an von
       Männern umgeben sind, die sie als Spielball zum Erreichen ihrer eigenen
       Ziele, Wünsche und Sehnsüchte verwenden wollen. Sondern auch, wie
       unterschiedlich ihre Antworten auf diese Versuche ausfallen. Während
       Alicent immer mehr in tradierte Rollenmuster verfällt, in religiösen
       Tugenden wie Frömmigkeit und Keuschheit Trost findet, nimmt sich Rhaenyra
       von Anfang an Freiheiten heraus. Mit ihrem späteren Ehemann (John
       Macmillan) trifft sie eine Abmachung, die es beiden erlaubt, mit anderen
       Männern zu schlafen. Sie bringt uneheliche Kinder zur Welt und wird damit
       auch immer mehr zur Zielscheibe von Alicents Missgunst, die eine ähnliche
       Freiheit zur Freiheit niemals hatte, sie sich auch niemals nahm.
       
       Dass Alicent letztlich versucht, Rhaenyra den Thron abspenstig zu machen,
       hat allerdings auch mit Angst zu tun; heraufbeschworen durch den
       machthungrigen Vater (Rhys Ifans), der sie davon überzeugt, dass ihre
       ehemalige Kindheitsfreundin womöglich gezwungen sein könnte, Alicents
       Familie zu töten, um ihren eigenen Machtanspruch zu festigen. Denn in
       diesem Wissen immerhin ist man sich in Westeros einig: Die Meisten würden
       das Reich lieber untergehen lassen, als es von einer Frau regiert zu sehen.
       
       So spielt „House of the Dragon“ einen tückischen Mechanismus durch, wie er
       sich auch abseits von Westeros oft ereignet: Unter dem Eindruck, sich in
       einem männlich dominierten System behaupten zu müssen, kämpfen Frauen eher
       für sich allein als zusammen, geraten sogar eher in Konkurrenz zueinander,
       anstatt sich gegenseitig zu unterstützen und tatsächlich etwas an den
       Machtstrukturen zu ändern.
       
       In der ebenfalls auf einer Buchvorlage von [2][George R. R. Martin] („Feuer
       & Blut“) basierenden Serie hat allerdings auch weibliche Solidarität einen
       bedeutenden Platz: Rhaenys, die ihre eigenen Erfahrungen als geschasste
       Thronerbin nicht vergessen hat, schlägt sich trotz allem Trennenden auf die
       Seite von Rhaenyra, die ihren Herrschaftsanspruch verteidigen will.
       
       Wenngleich das Finale der ersten Staffel durchaus befürchten ließ, dass die
       Erzählung in klischeehafte Vorstellungen von weiblicher Hysterie abdriftet,
       zeigen die vier vorab zur Sichtung verfügbaren neuen Folgen eine andere
       Richtung: Während die Männer auf das Schlachtfeld drängen, sind es die
       Frauen, allen voran Rhaenyra, die die Sieben Königslande vor einem großen
       Krieg bewahren wollen und stattdessen auf diplomatische Bemühungen setzen.
       
       Dass damit die weiblichen Figuren von ihrer individuellen Verantwortung
       entbunden würden und reizloserweise zu den unangefochtenen Guten im Kampf
       um den „Eisernen Thron“ erhoben würden, heißt das jedoch nicht. Ebenso
       wenig, dass die Männer pauschal als das blanke Böse porträtiert werden:
       Männer würden dazu erzogen, Blut und Ruhm zu suchen, heißt es in der
       bislang spannendsten Szene der so weit fantastischen Fortsetzung.
       
       Damit findet „House of Dragon“ zu einer Stärke zurück, die [3][„Game of
       Thrones“] in den letzten Staffeln vermissen ließ: Am interessantesten ist
       die Erzählung dann, wenn sie die Beweggründe der handelnden Figuren
       nachvollziehbar macht, mögen diese nun gut oder schlecht sein. Und was der
       Tragik den Weg bereitet, mehr noch als individuelle Gier, Neid und Zorn,
       sind – hier wie dort – vor allem mächtige Gewissheiten, schädliche
       Traditionen und eingefahrene Strukturen, die unhinterfragt bleiben. Von den
       Männern, ebenso wie von den Frauen.
       
       17 Jun 2024
       
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