# taz.de -- Maasai in Tansania: Das Geschäft mit der Vertreibung
       
       > Tansania weitet seine Nationalparks aus – und vertreibt dafür die Maasai
       > von ihrem Land. Es verdient vor allem die Tourismusindustrie.
       
       KAMPALA taz | Panik brach aus, als die Kinder den Löwen sahen, der im
       Schulhof herumschlich. Rasch trommelten die Lehrer Leute aus dem Dorf
       zusammen, um das Raubtier zu verjagen. Doch der Löwe griff an: „Einer der
       Männer wurde sehr schwer verletzt“, berichtet der örtliche Maasaichief
       Shengena Killel der taz. „Er starb qualvoll, denn die nächste Klinik ist
       eine halbe Tagesreise entfernt.“
       
       Der Vorfall habe sich Anfang Juni im Dorf Malambo ereignet, im Bezirk
       Loliondo im Norden Tansanias, unweit des weltberühmten
       Serengeti-Nationalparks, so Killel. Der Maasaivorsitzende von Loliondo ist
       mit der taz per Videoschalte verbunden. Der große hagere Mann in Polo-Shirt
       und rotkariertem Maasaigewand sitzt im Schatten unter Palmen. Hinter ihm
       erstreckt sich die endlose Graslandschaft, die Luft flimmert in der
       Mittagshitze. Diese gewaltige Savanne ist nicht nur die Heimat von Löwen,
       Giraffen und Elefanten, sondern auch der indigenen Maasaibevölkerung. Seit
       Jahrtausenden ziehen die Maasai mit ihren Rinderherden je nach Jahreszeit
       durch die Graslandschaft.
       
       Doch neuerdings wird das Leben für das Hirtenvolk immer schwieriger.
       „Früher riefen wir bei schweren Unfällen den medizinischen Flugdienst“,
       erklärt der örtliche Maasaichief. Die fliegenden Ärzte kamen innerhalb
       einer Stunde aus der nächstgrößeren Stadt Arusha und brachten
       Schwerverletzte, schwangere Frauen oder schwerkranke Kinder in das dortige
       Krankenhaus. Besonders in der Regenzeit, wenn manche Pisten in abgelegenen
       Dörfer unpassierbar sind, waren die Propellermaschinen des katholischen
       Hilfswerks die einzige medizinische Versorgungsoption.
       
       Doch die Flugzeuge stehen seit über zwei Jahren am Boden. Die Regierung hat
       ihnen im April 2022 die Flugerlaubnis entzogen: angeblich wegen
       Lizenzproblemen. Doch es steht die Vermutung im Raum, dass dies Teil eines
       größer angelegten Plans ist, der ein ganz anderes Ziel verfolgt, nämlich
       schlicht die Vertreibung der Maasai. Notwendige Infrastruktur wie die
       medizinische Versorgung wird in den von ihnen bewohnten Gebieten
       eingestellt – um sie dazu zu bewegen, die Savannenlandschaft endgültig zu
       verlassen.
       
       Tansanias Präsidentin Samia Suluhu Hassan erließ im April 2021 eine
       Direktive, da war sie nicht einmal 3 Wochen im Amt, in der sie allen
       Einwohnern des berühmten Ngorongoro-Kraters eine Frist von 30 Tagen
       erteilte, das Gebiet zu verlassen. „Jeder, der dort ein Haus gebaut hat,
       soll es auf eigene Kosten zerstören“, lautete die Ansage, die der taz
       vorliegt. Kaum war die Frist abgelaufen, marschierten Sicherheitskräfte und
       bewaffnete Wildhüter in der Savanne auf. Seitdem sind abertausende Maasai
       aus ihren traditionellen Gebieten vertrieben worden, teilweise mit Gewalt.
       
       Denn die Regierung will die Landfläche, die unter Naturschutz steht, von
       derzeit mehr als 30 Prozent auf 50 Prozent des gesamten Staatsgebiets
       erweitern. Dazu wurde im Februar ein Entwurf ausgearbeitet, der nun im Juni
       im tansanischen Parlament debattiert wurde und der der taz vorliegt. Darin
       ist von einem „strategischen Plan“ die Rede, dessen nächste Phase bis 2026
       abgeschlossen sein soll.
       
       Auf zahlreichen Landkarten sind darin neue Schutz- und Jagdgebiete sowie
       „Investitionsflächen“ ausgewiesen, wo Luxushotels entstehen sollen. Diesen
       Plänen müssen laut Entwurf mindestens weitere 100 Maasaidörfer weichen.
       Betroffen wären dann, inklusive früherer Vertreibungen, 300.000 Menschen.
       Die Maasai würden insgesamt mehr als 80 Prozent ihrer traditionellen
       Weidegebiete verlieren – Gebiete, die bislang von Maasai mit ihrer
       traditionellen Lebensweise vor äußeren Einflüssen geschützt wurden.
       
       Sollten diese Pläne umgesetzt werden, wäre das ostafrikanische Land
       weltweit führend, internationale Beschlüsse umzusetzen, bis zum Jahr 2030
       rund 30 Prozent der Erdoberfläche unter Naturschutz zu stellen – ein Plan,
       der auch als Leitlinie in die Programme der Bundesregierung eingegangen ist
       und den die Deutschen mit ihrer Entwicklungshilfe weltweit unterstützen.
       Tansania ist in Sachen Naturschutz seit Jahrzehnten das wichtigste deutsche
       Partnerland in Afrika. Bereits der berühmte Tierforscher und ehemaliger
       Direktor des Frankfurter Zoos, Bernhard Grzimek, hat in der Kolonialzeit in
       den 1950er-Jahren mit seinem Film „Serengeti darf nicht sterben“ für die
       Umsiedlung der Maasai geworben, um die Wildnis zu bewahren.
       
       Insgesamt fast 30 Millionen Euro hat die deutsche Entwicklungsbank KfW
       (Kreditanstalt für Wiederaufbau) in Frankfurt für Naturschutzprogramme in
       Tansania eingestellt. [1][Ein kleiner Teil davon, rund 220.000 Euro, wurde
       im vergangenen Jahr eingefroren] – wegen Bedenken, dass damit die Maasai
       vertrieben werden könnten.
       
       Auch die Weltbank hat in diesem April aufgrund von Bedenken hinsichtlich
       der Menschenrechte 150 Millionen Euro für den Ausbau des Tourismus in
       Tansania suspendiert. Die EU-Kommission zog Anfang Juni ebenfalls eine
       Ausschreibung im Wert von rund 10 Millionen Euro zurück. „Diese
       Entscheidung sendet eine starke Botschaft“, unterstreicht die
       internationale Maasai-Solidaritäts-Allianz (MISA), die sich für die Rechte
       der Maasai einsetzt.
       
       Anfang 2024 wurde von der deutschen Entwicklungsbank nun eine Aufstockung
       der deutschen Naturschutzgelder um 9 Millionen Euro unterzeichnet. Auf
       taz-Anfrage präzisiert die Entwicklungsbank: Diese Aufstockung der Gelder
       sei „erforderlich“, um Kostensteigerungen bei Baumaterialien, Benzin und
       Energie abzufedern, die durch die Covid-19-Pandemie und durch den
       russischen Angriffskrieg auf die Ukraine entstanden sind, so die KfW. Ein
       Teil der Projektmittel für den Naturschutz würde den Anrainergemeinden im
       Umkreis der Naturschutzgebiete zugute kommen, um deren Lebensgrundlage zu
       verbessern. Sprich: Deutschland finanziert Verbindungsstraßen in abgelegene
       Dörfer, neue Gesundheitsstationen, Klassenzimmer sowie Dämme für eine
       verbesserte Wasserversorgung von Vieh in der Trockenzeit.
       
       Tansania erhofft sich durch die Erweiterung der Schutzgebiete ausländische
       Investitionen in Milliardenhöhe. Über 9 Millionen Dollar investieren die
       Chinesen in einen Geopark im Ngorongoro-Krater. Für Touristencamps,
       Luxushotels und Picknickanlagen mit Aussichtsplattformen wird das Gebiet
       bereits eingezäunt. Die Maasai, deren Vorfahren das Land gehörte, müssen
       mit ihren Rindern draußen bleiben.
       
       Über 7 Milliarden Dollar investieren die Vereinigten Arabischen Emirate in
       ein 1.500 Quadratkilometer großes Jagdgebiet im benachbarten Bezirk
       Loliondo: Luxuslodges und ein Flugfeld für Privatmaschinen sollen die
       Scheichs empfangen, die zur Wildtierjagd mit klimatisierten Geländewagen
       einfliegen. „Uns wurde der Zutritt zu diesem Gebiet untersagt“, sagt
       Maasaichief Killel, der selbst ein Safari-Unternehmen betreibt. Am
       Eingangstor dieses Jagdgebietes wird er nun von Sicherheitsleuten
       abgewiesen. Dabei ist jener Krater ein Migrationskorridor für Wildtiere
       sowie Grasland für die Rinderherden der Maasai in der Trockenzeit. Als die
       Maasai im Juni 2022 dagegen protestieren, wurden sie brutal verhaftet. „Ich
       saß sechs Monate lang im Gefängnis“, berichtet Killel.
       
       Fast 200.000 Maasai sind bereits von den bestehenden Schutzgebieten
       betroffen. Denn laut Gesetz dürfen dort keine Menschen leben und keine
       Häuser, Schulen oder Krankenhäuser gebaut werden. Was an Infrastruktur
       bereits existiert, verfällt. Stattdessen will Tansania mehr Touristen in
       die Savanne locken. Über eine Million Touristen besucht die
       Naturschutzgebiete bereits jedes Jahr. Um noch mehr zu empfangen, baut die
       Regierung derzeit den internationalen Flughafen am Fuß des berühmten
       Kilimanjaro-Berges aus. Allein 20.000 Maasai müssen den erweiterten Flächen
       für Parkplätze weichen.
       
       Zielgruppe sind besonders die betuchten Touristen, die viel Geld ausgeben.
       Im vergangenen Juni war der Sohn von Ex-US-Präsident Donald Trump in den
       betroffenen Gebieten zu Besuch. Der leidenschaftliche Großwildjäger traf
       dort Tansanias Tourismusminister Mohamed Mchengerwa, man besprach
       Investitionen. Der Minister ernannte Trump Junior zu Tansanias Botschafter
       für Tourismus, der nun mehr betuchte Jagdkunden aus den USA anlocken soll.
       Unter Trump, aktuell wieder aussichtsreicher Bewerber um das
       Präsidentenamt, hatten die USA die verbotene Einfuhr von Jagdtrophäen
       wieder zugelassen. Seither zählen US-amerikanische Großwildjäger nach den
       arabischen Scheichs zu Tansanias lukrativsten Kunden.
       
       Um den Großinvestoren Platz zu machen, hat Tansanias Regierung 600
       Kilometer entfernt eine Siedlung für die Maasai errichtet, in Msomera im
       Bezirk Handeni. In modernen Steinhäusern mit Strom und Wasser und je 3
       Schlafzimmern sollen sich die halbnomadischen Maasai nun niederlassen.
       Anfang Juni verkündete die Regierung stolz, erneut seien 600 Maasai nach
       Msomera gebracht worden. Damit steige die Gesamtzahl der umgesiedelten
       Maasai auf rund 9.000, plus rund 40.000 Nutztiere, so die Regierung. Der
       zuständige Bezirkskommissar und Armeeoffizier Oberst Wilson Sakulo betonte
       ausdrücklich, dass die Maasai ihre Heimat „völlig freiwillig“ verlassen
       würden – und appellierte, sie sollen sich nicht von all den
       „Missinformationen und Lügen“ abschrecken lassen.
       
       Doch von Freiwilligkeit kann keine Rede sein. Dies belegen Dokumente, die
       der taz zugespielt wurden. Eine Anweisung des Bezirksvorsitzenden von
       Ngorongoro vom März 2022 fordert sämtliche Schulen des Distrikts auf, die
       Gelder auf ihren Konten an den Bezirk Handeni zu überweisen, wo Msomera mit
       der neuen Maasaisiedlung liegt. Seitdem haben die bestehenden Schulen in
       Ngorongoro keinen einzigen Schilling mehr, um Klassenzimmer zu reparieren
       oder Kreide zu kaufen.
       
       „Die Folgen für unsere Kinder sind verheerend“, berichtet eine örtliche
       Vertreterin der Maasaifrauen der taz am Telefon. Aus Sicherheitsgründen
       will sie nicht namentlich genannt werden. Die Angst gehe um. Zahlreiche
       Maasaivertreter*innen wurden in den vergangenen Jahren verhaftet,
       wenn sie sich kritisch äußerten. In einer Grundschule sei der Gülletank
       voll, könne aber aufgrund fehlender Mittel nicht geleert werden, berichtet
       die Vertreterin: „Jetzt müssen sich die Kinder im Gebüsch erleichtern.“ Im
       einzigen Mädcheninternat im Bezirk schlafe die Hälfte der 740 Mädchen auf
       dem Boden, weil es nicht genügend Matratzen gebe. Dies führe zu
       Erkältungen, sogar Lungenentzündungen.
       
       Besonders schlimm seien die gesundheitlichen Folgen für Frauen und Kinder:
       „Weil wir nicht mehr von den Piloten versorgt werden“, so die Vertreterin.
       Seit den 1980er-Jahren fliegen die Ärzte der katholischen Hilfswerke die
       abgelegenen Siedlungen der Maasai an, um Kinder zu impfen, HIV- und
       Tuberkulosekranken ihre Medikamente zu bringen oder schwangere Frauen zur
       Geburt in die Klinik zu holen. Manche Dörfer sind in der Regenzeit nur aus
       der Luft zu erreichen, weil Straßen unter Wasser stehen. Staatliche
       Kliniken gibt es keine in Ngorongoro. Doch seit den Piloten die Lizenz 2022
       entzogen wurde, wurden nun knapp 50.000 Kinder nicht geimpft, 160 HIV- und
       362 Tuberkolosepatienten erhielten keine Medikamente und mehr als 11.000
       Schwangere keine Vorsorgeuntersuchung.
       
       Jüngst seien zwei Frauen und ihre Babys bei Geburtskomplikationen
       gestorben, eine weitere Frau habe eine Lebensmittelvergiftung nicht
       überlebt. „Wir werden jetzt von der Regierung im Stich gelassen“, klagt die
       Frauenvertreterin. „Unter den noch verbliebenen Maasai herrschen Frust und
       Depression.“ Die Rinderherden wurden derweil von Wildhütern beschlagnahmt,
       die Preise für die Grundnahrungsmittel Reis und Bohnen hätten sich
       verdreifacht. Viele Männer hätten begonnen, zu trinken und ihre Frauen zu
       schlagen. Es komme unter den Maasai zunehmend zu Konflikten um die noch
       verbliebenen, knappen Weideflächen. Die Frauenvertreterin seufzt am
       Telefon: „Jede Minute fährt hier ein Safarijeep mit Touristen vorbei, die
       Hunderte von Dollar täglich bezahlen – während wir Hunger leiden.“
       
       Die taz sprach am Telefon mit Mitarbeitern des einzig verbliebenen
       Krankenhauses in Ngorongoro, betrieben von der katholischen Kirche. Dort
       häufen sich infolge ausbleibender Schutzimpfungen die Masernerkrankungen
       bei Kindern. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht man von
       einem Ausbruch, wenn innerhalb von 3 Wochen mehr als 2 Masernfälle mit
       Labortests bestätigt werden. Im Endulen-Krankenhaus wurden seit März 4
       Fälle behandelt, allerdings keine Labortests durchgeführt. Dies sei
       mitunter gewollt, um keine offiziellen Zahlen eines Ausbruchs zu
       bestätigen, mutmaßen die Mitarbeiter, denn Warnungen wegen einem Ausbruch
       könnten gerade jetzt zur Hochsaison die Touristen abschrecken.
       
       Die WHO lobte im Februar in einem Bericht Tansanias Regierung dafür, mehr
       Kinder gegen Masern zu impfen. Auf taz-Anfrage bezüglich der Lage in den
       Maasaigebieten verweigert die WHO allerdings jegliche Auskunft – ohne
       Begründung.
       
       Tansanias Regierungssprecher Mobhare Matinyi weist hingegen Behauptungen
       zurück, dass staatliche Dienstleistungen reduziert worden seien, um die
       Maasai zur Umsiedlung zu zwingen. Er nennt dies eine „negative Kampagne“
       und stellt klar, dass es in Schutzgebieten, die von der UNESCO als
       Weltkulturerbe betrachtet werden, keine Infrastruktur geben dürfe, auch
       keine Schulen und Krankenhäuser. Auf taz-Anfrage, ob dies internationalen
       Menschenrechtsstandards entspreche, antwortet die UNESCO nicht.
       
       Maasaianwalt Joseph Oleshangay, der 2023 den Weimarer Menschenrechtspreis
       bekam, verklagt jetzt Tansanias Regierung. Kurz nachdem er im März die
       Erweiterungspläne für die Schutzgebiete bekannt gemacht hatte, stürmten
       Polizisten sein Haus in Ngorongoro. Er konnte gerade noch fliehen.
       
       20 Jun 2024
       
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