# taz.de -- FFF-Aktivistin über Europawahl: „Klimaschutz ist kein Momentum“
       
       > Die Klimabewegung steht nach der Europawahl vor einer Sinnkrise. Samira
       > Ghandour von Fridays for Future erklärt, wie es jetzt weitergehen muss.
       
 (IMG) Bild: Samira Ghandour von Fridays for Future
       
       wochentaz: Frau Ghandour, bei der Europawahl haben Parteien, die sich für
       Klimaschutz einsetzen, desaströse Ergebnisse erzielt: Die Grünen verloren
       im Vergleich zu 2019 bei jungen Wähler:innen 23 Prozentpunkte. Auch die
       Letzte Generation blieb hinter ihren Erwartungen zurück und schaffte es
       nicht, einen Sitz im Europaparlament zu erkämpfen. Ist die Klimabewegung
       tot? 
       
       Samira Ghandour: Erst einmal gibt es ja nicht die eine Klimabewegung. Sie
       besteht aus vielen verschiedenen Akteuren, die unterschiedlich vorgehen,
       und das ist auch gut so. Dass aktivistische Stimmen für Klimagerechtigkeit
       auch in Parlamenten repräsentiert sind, ist zwar wichtig. Die Europawahl
       als Tod der Klimabewegung zu framen, halte ich aber für falsch, denn
       zivilgesellschaftliche Bewegungen verfolgen als Ziel nicht, ins Parlament
       einzuziehen. Fridays for Future hat abseits von parlamentarischer
       Repräsentation in den vergangenen Jahren viel erreicht: Viele Millionen
       Menschen sind auf die Straßen gegangen, wir haben es geschafft, Druck auf
       die Parlamente auszuüben und für mehr Klimaschutz einzutreten.
       
       Trotzdem kann die Europawahl ja als eine Absage der Bevölkerung an mehr
       Klimaschutz verstanden werden. Gerade junge Menschen haben im Vergleich zu
       2019 deutlich rechter und damit weniger Klimaschutz gewählt. Wie sollte die
       Klimabewegung damit jetzt ganz konkret umgehen? 
       
       Zunächst einmal finde ich es Quatsch, jungen Menschen die Schuld für den
       Rechtsruck zu geben. Wir wurden in den letzten Jahren von der Politik immer
       stärker vernachlässigt, fehlende Klimapolitik und der Umgang mit jungen
       Menschen während der Coronapandemie sind nur einige Beispiele dafür. Die
       nächsten fünf Jahre werden ein harter Kampf. Dem müssen wir uns aber
       stellen. Wir werden weiter laut sein, Massenproteste organisieren und mit
       jungen Menschen sprechen. [1][Um gegen den Rechtsruck anzukommen] und
       gerechten Klimaschutz voranzutreiben, braucht es eine starke
       Zivilgesellschaft. Wir müssen wieder lernen, miteinander zu reden und in
       den Austausch zu kommen. Dabei muss auch Dissens ausgehalten werden, das
       darf anstrengend und emotional sein.
       
       Heißt das, dass die Klimabewegung auch auf die jungen Menschen zugehen
       muss, die bei den Europawahlen rechte Parteien gewählt haben? 
       
       Nein. Mit Rechten darf nicht geredet werden, dadurch wird der Diskurs, den
       diese Akteure bespielen, normalisiert. Dabei bewegt man sich auf einem
       schmalen Grat. Es geht eher darum, auf die Menschen zuzugehen, die Angst
       vor den Veränderungen haben, die ein effektiver Klimaschutz mit sich
       bringen würde. Es ist nachvollziehbar, dass Menschen Angst davor haben,
       mehr Steuern zahlen zu müssen, wenn sie gleichzeitig kein [2][vernünftiges
       Klimageld erhalten].
       
       Dabei ist es wichtig, dass auch wir als soziale Bewegung vermitteln: Durch
       Klimaschutz wird niemandem etwas weggenommen und langfristig werden wir
       alle davon profitieren. Dafür müssen Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit
       mehr zusammengedacht werden. Eine fehlende Sozialpolitik und das Erstarken
       rechter Parteien bei der Europawahl hängen kausal zusammen.
       
       Viele Menschen lehnen Klimaschutzmaßnahmen gerade aus diesem Grund ab und
       sagen: Klimaschutz kostet zu viel. Wie kann Fridays for Future, als
       weitgehend bürgerliche Bewegung, sozial gerechten Klimaschutz stärker in
       den Diskurs einbinden? 
       
       Ich merke vor allem in meinem persönlichen Umfeld, dass weniger
       privilegierte Menschen keine Kapazität haben, sich an Protesten der
       Klimabewegung zu beteiligen. Das kann ich gut verstehen: Wenn Menschen
       durch den Rechtsruck vermehrt rassistischen Anfeindungen ausgesetzt sind
       oder sich in finanziell schwierigen Situationen befinden, haben sie keine
       Lust und Energie, für den Klimaschutz auf die Straße zu gehen.
       
       Das ist kein exklusives Problem der Klimabewegung, sondern ein
       gesamtgesellschaftliches. Außerdem zeigt es, dass Klimaschutz und
       Demokratieschutz Hand in Hand gehen müssen. Menschen, die von
       Marginalisierung betroffen sind, müssen – auch in der Klimabewegung – mehr
       zu Wort kommen, damit ein sozial gerechter Klimaschutz gelingen kann. So
       können auch Menschen, die Angst vor Veränderung und den damit
       einhergehenden finanziellen Belastungen haben, mitgenommen und eingebunden
       werden.
       
       Im Wahlkampf 2019 spielte die Klimakrise noch eine entscheidende Rolle. Wie
       kann es weitergehen, jetzt wo das Momentum der Klimabewegung vorbei zu sein
       scheint? 
       
       [3][Klimaschutz ist kein Momentum], sondern muss unabhängig von
       zivilgesellschaftlicher Mobilisierung betrieben werden. Dass die [4][Grünen
       keine guten Ergebnisse erzielen], ändert nichts daran, dass wir als
       Bewegung weiterkämpfen müssen. Um dafür zu mobilisieren, braucht es viel
       Aufklärung. Ich glaube, dass wir einige Privilegien, die wir zurzeit
       genießen, aufgeben müssen. Das wird am Anfang zwar hart sein. Im Grund
       bietet Klimaschutz Menschen langfristig aber eine stärkere Lebensqualität.
       
       Dieser direkte Zusammenhang muss in der Debatte mehr betont werden. Dafür
       ist auch wichtig, Plattformen wie Tiktok vermehrt positiv zu bespielen,
       gerade um junge Menschen zu erreichen. Außerdem ist wichtig, die Hoffnung
       nicht zu verlieren. Auch wenn rechte Parteien erstarken und weniger
       Menschen für den Klimaschutz protestieren, darf man nicht vergessen,
       welches zivilgesellschaftliche Engagement es in den letzten Jahren gab.
       
       Was können radikalere Formen des Klimaprotests, wie etwa Hungerstreiks,
       dazu beitragen? 
       
       Ich finde es erschreckend, dass Menschen denken, Hungerstreiks seien das
       letzte Mittel, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. In einer
       Demokratie gibt es viele Wege, um das zu tun, [5][Hungerstreiks halte ich
       für den völlig falschen Weg]. Dass solche Proteste der Bewegung schaden,
       würde ich trotzdem nicht sagen. Radikalere Protestformen gab es in der
       Umweltbewegung schon immer, etwa als sich
       Antiatomkraftaktivist:innen an Bahngleise ketten. In der Debatte
       hat es der Antiatomkraftbewegung nicht unbedingt geschadet. Auch wenn
       Hungerstreiks nicht das richtige Mittel sind, um auf die Klimakrise
       aufmerksam zu machen, sind sie nachzuvollziehen und legitim.
       
       Wie können junge Menschen, die Ihre Hoffnung auf eine klimagerechte Zukunft
       nicht teilen, weitermachen? 
       
       Ich kann diese Form der Resignation erst einmal gut verstehen. Aber auch
       wenn man resigniert ist, kann man auf der Straße stehen und demonstrieren.
       Denn einfach aufzugeben, verbessert unsere Situation definitiv nicht.
       Außerdem ist es wichtig, sich bewusst zu machen, was wir junge Menschen
       durch Klimaproteste schon erreicht haben: Fridays for Future hat den
       Kohleausstieg signifikant vorangetrieben, wir haben das Klimaschutzgesetz
       eingeklagt und die [6][Umsetzung des Green Deal auf EU-Ebene] mit
       vorangetrieben. Das ist nicht nichts. Diese Erfolge gehen aber oft unter.
       
       Das hängt auch damit zusammen, dass der Erfolg der Klimabewegung nicht
       immer sofort messbar ist, wenn politische Entscheidungen nicht vom einen
       auf den anderen Tag beeinflusst werden. Wir jungen Menschen sollten uns
       also nicht frustriert in unsere Kämmerchen zurückziehen und uns [7][rechte
       Propaganda auf Tiktok] reinziehen. Es ist wichtig, Demokratie und
       Klimagerechtigkeit weiter aktiv einzufordern.
       
       19 Jun 2024
       
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