# taz.de -- Grüne bei der Europawahl: Absturz mit Ansage
       
       > Die Grünen schmieren bei der Europawahl ab. Ein Grund: Unzufriedenheit
       > mit der Ampel. Aber auch das Thema Klimaschutz rutschte in den
       > Hintergrund.
       
 (IMG) Bild: Um rund acht Prozent eingebrochen: Schlechte Stimmung auf der Wahlparty in Berlin am 09.06.2024
       
       Lange Gesichter bei den Grünen im Europaparlament in Brüssel: Der Wahlabend
       begann mit schlechten Zahlen aus Österreich, wo der erste Trend herbe
       Verluste von vier Prozentpunkten auf rund 10 Prozent der Stimmen andeutete.
       Die grüne Spitzenkandidatin, die 23-jährige Klimaaktivistin [1][Lena
       Schilling], hatte ihren Wahlkampf komplett versemmelt und wurde nun wie
       erwartet abgestraft.
       
       Danach warteten die Grünen, die sich in einem viel zu kleinen Saal in der
       4. Etage bei veganen Mini-Hamburgern und Rohkost versammelt hatten,
       gespannt auf die ersten Trendmeldungen aus Deutschland. Die Stimmung fiel
       sofort auf den Nullpunkt, als ein Minus von 8,5 Prozentpunkten gegenüber
       2019 angekündigt wurde. Ein schockiertes „Oh, no“ raunte durch den Saal.
       
       Die ersten Zahlen seien enttäuschend, räumte Bas Eickhout, europäischer
       Ko-Spitzenkandidat aus den Niederlanden ein, kurz nach Bekanntgabe der
       ersten Prognosen ein.
       
       Ernüchterung herrschte auch bei der Wahlparty der deutschen Grünen in der
       Columbiahalle in Berliner-Tempelhof, wo sonst Popkonzerte stattfinden. Um
       18 Uhr, als die ersten Zahlen über die Leinwand liefen, war es
       weitestgehend still im Saal. Ein paar einzelne Gäste klatschten zwar
       verzagt, als der Wert der Grünen erschien. Zu einem richtigen Applaus wuchs
       sich das aber nicht aus.
       
       Mit Verlusten hatten die Grünen schon vor dem Wahltag gerechnet. Mit laut
       ersten Prognosen rund 12 Prozent der Stimmen fielen diese aber noch stärker
       aus als befürchtet. „Es wäre falsch, dieses Ergebnis schönreden zu wollen.
       Wir sind nicht zufrieden“, sagte Spitzenkandidatin [2][Terry Reintke] auf
       der Bühne. Über die Gründe werde man reden müssen. Fast identisch klangen
       die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour.
       
       ## Das Heizungsgesetz wirkt nach
       
       Dass die Grünen das Ergebnis der letzten Europawahl nicht wiederholen
       können, war schon lange absehbar. Mit 20,5 Prozent der Stimmen waren sie
       2019 hinter CDU/CSU auf dem zweiten Platz gelandet – ein Rekordergebnis für
       die Mitte-links-Partei. Es waren Zeiten, in denen Fridays for Future
       Millionen auf die Straßen brachten und Klimaschutz in der Bevölkerung auf
       verhältnismäßig breite Zustimmung stieß.
       
       Es ist beinahe zwei Jahre her, dass sich die Grünen in Umfragen zuletzt in
       solchen Bereichen bewegten. Nach Corona, Krieg und Inflation ist unter den
       Wähler*innen die Begeisterung für den Klimaschutz eingebrochen. Von
       eigenen Fehlern beim Heizungsgesetz – vielfach als zu radikal wahrgenommen
       – hat sich die Partei bei den Zustimmungswerten bis heute nicht erholt.
       
       Auf der anderen Seite könnten sich gerade wegen vieler Kompromisse, in der
       Klimapolitik wie in anderen Bereichen, aber auch ehemalige
       Kernwähler*innen abgewendet haben. Und über allem schwebt die
       allgemeine Unzufriedenheit mit den Ampelparteien.
       
       All das war bei den Grünen im Vorfeld des Europawahlabends eingepreist. Sie
       selbst hatten zwei alternative Kriterien für Erfolg und Misserfolg angelegt
       als den Vergleich zu 2019: Sie verwiesen schon in den letzten Monaten immer
       wieder darauf, in Umfragen immerhin als einzige Ampelpartei nicht
       schlechter dazustehen als bei der Bundestagswahl 2021. 14,6 Prozent der
       Stimmen holten sie damals. Die Prognosen vom Sonntag lagen nun auch unter
       diesem Wert.
       
       ## Ziel: VOR die AfD kommen
       
       Dazu kam als zweites Ziel, vor der AfD zu landen. „Grün vor Blau“, hatte
       die Partei-Geschäftsführerin Emily Büning gefordert. Hochrechnungen zufolge
       haben die Grünen auch dieses Wahlziel verfehlt. In der Berliner
       Columbiahalle machte sich das Gefühl breit, dass der Erfolg der Rechten an
       diesem Abend sogar noch mehr schmerzte als der eigene Misserfolg. Und im
       Speziellen: Dass gerade bei den Jungwähler*innen die Grünen enorm
       verloren, die AfD aber gewonnen hat.
       
       Und da landete die Ökopartei laut den Hochrechnungen auch noch hinter der
       SPD. Für die Stimmung ist die Reihenfolge etwas mehr als ein Jahr vor der
       Bundestagswahl interessant – allein schon hinsichtlich der Frage, ob die
       Grünen noch mal einen Kanzlerkandidaten aufstellen können oder ob das
       vermessen wirken würde.
       
       Dass sich die Zeiten seit der letzten Europawahl geändert haben, ist nicht
       nur dem Wahlergebnis der Grünen anzumerken. Man sah es auch an ihrem
       Wahlkampf. Den Klimaschutz stellte die Ökopartei anders als 2019 nicht in
       den Mittelpunkt. Stattdessen ging es in erster Linie um die Verteidigung
       der Demokratie und den Kampf gegen rechts.
       
       Zwar litten die Grünen in den letzten Monaten unter teils tätlichen
       Angriffen von rechts. Ihren Wahlkampf schränkte das ein. Allerdings
       profitierte die Partei zunächst auch von der Stimmung, die seit
       Jahresbeginn von Demos für die Demokratie ausging. Die Parteizentrale
       verzeichnete eine Eintrittswelle, auf Wahlplakaten dominierten infolge
       dessen Motive gegen den Rechtsruck. An der Wahlurne zahlte sich das jetzt
       aber offenbar nicht entscheidend aus.
       
       Wenn es im grünen Wahlkampf doch ums Klima ging, dann in anderer Form als
       noch bei der Bundestagswahl 2021. Damals zeigte die Partei in einem
       Werbespot Annalena Baerbock in einem abgestorbenen Wald im Harz stehend,
       warnte mit dystopischen Aufnahmen vor den Folgen des Klimawandels.
       
       ## Nebenrolle für Asylpolitik
       
       Diesmal warben sie dafür, mit Klimaschutz den Wohlstand zu sichern. Dazu
       passend blieb von Spitzenkandidatin Reintke vor allem hängen, dass sie aus
       dem Ruhrgebiet stammt und weiß, wie ein Stahlwerk aussieht. Ansonsten
       führte sie einen unauffälligen Wahlkampf, sichtbar darauf bedacht, wenig
       Angriffsfläche zu bieten.
       
       Nur eine Nebenrolle spielte im Wahlkampf der Grünen schließlich die
       [3][Asylpolitik] – obwohl sie laut Umfragen für viele Wähler*innen
       entscheidend war. Asyl und Migration sieht man in der Partei aktuell
       offenbar nicht als Gewinnerthemen an. Erst auf den letzten Wahlkampfmetern
       setzten sich die Grünen in diesem Bereichen noch vernehmbar von der
       Konkurrenz ab: Seit dem tödlichen Messerangriff von Mannheim forderten
       andere Parteien einschließlich der SPD über Abschiebungen nach Afghanistan.
       Die Grünen widersprachen. Lieber wäre es ihnen aber sichtbar gewesen, hätte
       es für das Thema weniger Aufmerksamkeit gegeben.
       
       9 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
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