# taz.de -- Klimakrise und Tourismus: Die Natur zeigt ihre Krallen
       
       > Die Hitzetoten der vergangenen Woche zeigen: Wer mittags nicht auf
       > Wanderungen oder Pilgerfahrten verzichten will, gefährdet sich und andere
       > massiv.
       
 (IMG) Bild: Ungeschützter Sonnenverkehr geht nicht mehr
       
       Oh Schreck, ein Fleck. Auf dem Kissenbezug trübt ein mitteldunkles,
       ockergelbes unförmiges Etwas die strahlend reine Blütenweiße ein. Kein
       Haushaltsrezept (Essig, Natron, Backpulver) hilft, kein Bleichmittel, kein
       Handgekochtes. Die Flecken beweisen am Ende einer jeden Behandlung immer
       wieder ihre ockergelbe Resilienz.
       
       Wer mit Touristen in Strandnähe zu tun hat, kennt das Phänomen seit einigen
       Jahren und hat einen dementsprechend höheren Verschleiß an Bettwäsche.
       Flecken gab es zwar immer, aber erstens nicht so oft und zweitens nicht so
       resistent. Und ja: Es handelt sich um schmierige Spuren der
       Klimakatastrophe.
       
       Denn es geht um Sonnencreme. Genauer gesagt, um den UV-Filter, der
       öllöslich sein muss und der seine Eigenfärbung auf Textilien hinterlässt.
       
       Mit der immer stärker werdenden Hitze steigt die UV-Strahlung und damit der
       Einsatz von Sonnencreme. Natürlich nicht nur: Urlauber sind von früh bis
       spät von Kopf bis Fuß auf Sonnenschutz eingestellt. Denn seit wir wissen,
       dass ungeschützter Sonnenverkehr nicht nur Sonnenbrand, sondern auch
       Hautkrebs verursacht, [1][raten Experten], keinen Quadratmillimeter Haut
       der Sonne auszusetzen, und wenn, dann nur mit LSF 50, egal ob das Produkt
       vor 5 Jahren abgelaufen ist oder nicht. Viel helfe viel. Nachteil: je höher
       der Lichtschutzfaktor, umso hartnäckiger die Ockerflecken in den Laken.
       
       ## Neue Regeln für die Ferienwohnung
       
       Nun hat die [2][Stiftung Warentest] mal wieder festgestellt, dass
       Sonnencreme Mist enthält. Weichmacher, die potenziell krebserregend sind,
       wurden in allerlei handelsüblichen Cremes gefunden. Der Schutz vor der
       Klimakatastrophe ist eben leider auch kein Mittel ohne Nebenwirkungen. So
       ist das krebserregende Benzophenon, das als chemischer Filter gegen
       UV-Strahlung in die Schmiere gemischt wird, erst seit vergangenem Jahr in
       der EU verboten. Hingegen sind die Wirkstoffe Octocrylen, Oxybenzon und
       Octinoxat noch immer zugelassen, gelten aber als Korallen-Killer Nummer
       eins.
       
       Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie neue Regeln in ihrer Ferienwohnung
       vorfinden. Neben der Mahnung, keine Hygieneartikel ins Klo zu werfen und
       die Nachtruhe ab 22 Uhr einzuhalten, wird künftig vielleicht auch stehen:
       „Bitte nicht mit Sonnencremematsche auf der Haut ins Bett legen“ oder auch
       schlicht: „Vor dem Schlafen duschen!“
       
       Grundsätzlich ist es ja leider so, dass nicht nur das Klima, sondern auch
       der Massentourismus immer mehr aus dem Ruder läuft. Der Massentourismus ist
       die Schwerindustrie des 21. Jahrhunderts – es gibt kaum eine zutreffendere
       Aussage über unser Zeitalter als diesen Vergleich des italienischen
       Soziologen und Journalisten [3][Marco d’Eramo]. Dabei geht es nicht darum,
       Touristen anzuklagen, weil sie Touristen sind. Wir sind alle Touristen. Es
       geht darum, Staaten in die Verantwortung zu nehmen, den Tourismus, in den
       sie investieren, einzuhegen.
       
       Kritisierten die Sex Pistols einst noch den Tourismus als [4][„Urlaub im
       Elend anderer Leute“], sind heute die einstmals elenden Gesellschaften
       durch den Tourismus zu einigem Wohlstand gekommen. Der Tourist, der die
       Sehnsucht nach der „Befreiung von der industriellen Welt“ in den
       abgelegenen Naturschönheiten suchte, [5][brachte ebenjene
       Industrialisierung dorthin], wo sie bisher noch gar nicht war. Daran ist
       nicht alles schlecht, auch Einheimische profitieren von Kanalisation,
       asphaltierten Straßen, Mieteinnahmen und Jobs.
       
       ## Hitzetote überall
       
       In den 60er Jahren räumten die Familien ihre Wohnungen, zogen für den
       Sommer in die Garage oder unters Dach. Heute hat dieses Konzept weltweit
       die Städte erobert und heißt Airbnb. Ob Berlin, Ibiza oder Apulien – wir
       sind nicht nur alle Touristen, wir sind inzwischen auch alle Opfer des
       Tourismus.
       
       Zu den bekannten Folgen des Overtourism, die ganze Städte in den Kollaps
       treiben, kommt nun auch noch die Klimakatastrophe und fordert ihre Opfer
       unter Urlaubern. Mindestens sechs Hitzetote in den letzten 2 Wochen in
       Griechenland und etwa 1.000 Tote beim [6][Pilgerausflug in Mekka].
       
       [7][Es ist leicht, sich über Touristen lustig zu machen], die sich
       überschätzen, sich ungeduscht ins Bett legen und alles sowieso immer besser
       wissen als die Einheimischen. Zwar ist das meiste richtig, vor allem
       Letzteres: Die Fensterläden im Süden sind nicht etwa aus pittoresken
       Gründen tagsüber geschlossen, sondern weil sie effektiv Hitze in den
       Wohnungen abhalten. Dass der Tourist die Läden immer sperrangelweit offen
       stehen lässt, weil er die Aussicht aufs Meer genießen will, kann man ihm
       einfach nicht ausreden – und dann klagt er über Kopfweh. Er will nicht
       akzeptieren, dass die Natur doch stärker ist als der Mensch. Auch wenn das
       ein paar Jahrzehnte lang anders aussah.
       
       ## Strandurlaub wird ein Winterspaß
       
       Und dennoch: Staaten oder Gemeinden, die Massentourismus fördern, tragen
       auch eine Verantwortung für den Schutz ihrer Gäste. Warnschilder vor Hitze
       in touristischen Regionen müssen genauso zur Regel werden wie Warnschilder
       vor steilen Klippen, gefährlichen Buchten oder die
       Bikini-Verbote-Piktogramme an heiligen Stätten. Speziell für die besonders
       gefährdete Gefährdergruppe der Männer über 50 sollten sichtbare
       Anzeigetafeln installiert werden: nicht allein loswandern, nicht in
       Badelatschen, nicht in der Mittagshitze, nicht mit wenig Wasser. Oder auch
       solche: „Achtung, Achtung! Die Natur ist stärker als Sie. Auch wenn Sie
       sich immer noch wie 20 fühlen: Sie sind es nicht – und es würde Ihnen auch
       nichts helfen.“
       
       Nicht nur die Natur zeigt ihre Krallen. Auch die Menschen beginnen sich zu
       wehren. Vergangene Woche [8][besetzten Einheimische auf Mallorca die als
       Instagram-Bucht bekannte Caló d’es Moro], um gegen den Massentourismus zu
       protestieren; [9][und im türkischen Ephesos vertrieben hunderte
       Einheimische die Gäste eines Kreuzfahrtschiffs aus der antiken Ruine.]
       
       Fest steht: Der Tourismus wird sich grundlegend ändern, und zwar schnell.
       Der Strandurlaub wird bestenfalls ein Winterspaß. Der Sommer wird zu der
       Saison werden, in der wir uns alle zu Hause einschließen, Brettspiele
       spielen und die sonnencremebefleckte Bettwäsche aussortieren.
       
       22 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=4MJVDW6zkks
 (DIR) [2] /Stiftung-Warentest-zu-Sonnencremes/!6018211
 (DIR) [3] /!5497969/
 (DIR) [4] https://www.youtube.com/watch?v=2Ah1JM9mf60
 (DIR) [5] /Europas-vernachlaessigtes-Zentrum/!5615901
 (DIR) [6] /Hunderte-Tote-in-Mekka/!6018476
 (DIR) [7] /Das-schlechte-Gewissen-reist-mit/!5648655/
 (DIR) [8] https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/buntes-kurioses/id_100428596/mallorca-einheimische-besetzen-instagram-bucht-calo-d-es-moro.html
 (DIR) [9] https://www.tagesspiegel.de/internationales/aufstand-in-ephesos-hunderte-turken-verjagen-touristen-von-historischer-statte-11859941.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Doris Akrap
       
       ## TAGS
       
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