# taz.de -- Die Wahrheit: Emma im Schlafzimmer
       
       > Die Tierwelt mag ja ganz niedlich sein, als unerwartete Gäste sind sie im
       > eigenen Haus eher unerwünscht. Ausnahmen wie die hier bestätigen die
       > Regel.
       
       Áine bückte sich, um ein Blatt aufzuheben, das vor dem Kamin lag. Der Wind
       hatte es offenbar durch den Schornstein ins Haus geweht. Doch plötzlich
       bewegte sich das Blatt und entpuppte sich zu Áines Schrecken als
       Fledermaus. Was tun? Wir nahmen sie und ihre drei Verwandten, die sich bis
       dahin versteckt hatten, in unsere Familie auf.
       
       Es war zu beiderseitigem Vorteil. Im Wohnzimmer, das törichterweise mit
       einem Wollteppich ausgelegt ist, hatten sich Motten breitgemacht. Offenbar
       schmeckte ihnen der Teppich, und solange der löchrige Fetzen noch Nahrung
       bot, fühlten sich die Motten wohl. Das änderte sich mit dem Einzug der
       Fledermäuse.
       
       Die kümmerten sich um die Wollfresser, wodurch die Situation zu Gunsten des
       Teppichs verschoben wurde. Es war eine glückliche Zeit. Sie nahm ein jähes
       Ende, als sich eine Möwe durch die offene Terrassentür ins Haus verirrte.
       Da der Vogel nichts über geschützte Arten wusste, nahmen die Fledermäuse
       Reißaus, und wir ebenfalls, denn mit einer Möwe, die sich eingesperrt
       fühlt, ist nicht zu spaßen. Das klobige Tier war inzwischen ins
       Schlafzimmer vorgedrungen, wo es gegen eine Scheibe flog, die mit einem
       lauten Knall zerbarst.
       
       Wir tauften die Möwe auf den Namen Emma, analog zu Christian Morgensterns
       „Möwenlied“, aber auf den zweiten Teil der Strophe verzichteten wir: „Die
       Möwen sehen alle aus / als ob sie Emma hießen. / Sie tragen einen weißen
       Flaus / und sind mit Schrot zu schießen.“ Wir warteten stattdessen in
       sicherer Entfernung, bis Emma den Ausgang gefunden hatte.
       
       ## Möwen als Mörder
       
       In anderen Gegenden sind die Probleme mit dem Federvieh ungleich größer. In
       Dublin sind seit vorigem Jahr 346 Beschwerden bei der Stadtverwaltung
       eingegangen. Die Möwen zerfetzen Müllsäcke, die abends für die Müllabfuhr
       am Straßenrand abgelegt werden. Dann kommen die Ratten und verteilen den
       Unrat auf der Straße und in den Vorgärten.
       
       Morgens greifen die Möwen Lieferwagen der Bäckereien an, es geht zu wie in
       Alfred Hitchcocks Film „Die Vögel“. Aus einem Teich griffen sie sich 13
       Entenküken und ermordeten sie. Dass die Viecher hinterhältig sind, weiß ich
       aus Erfahrung. Sie fressen sich mit Brombeeren voll und steuern dann
       geschickt Wäscheleinen an, um ihre Kacke auf blütenweißer Bettwäsche
       abzuladen.
       
       Der Ornithologe Stephen Newton sagt, es leben rund 10.000 Möwenpärchen in
       Irlands Städten, wo sie sich von Hamburgern und Pommes frites ernähren,
       weil es nicht mehr genügend Fische im Meer gebe. Er rät, sie nicht zu
       füttern und Müll zu vermeiden. Morgensterns Schrothinweis erscheint mir
       allemal effektiver.
       
       Emma hat unser Haus inzwischen verlassen, aber die Fledermausfamilie hat
       sich nicht wieder blicken lassen. Dafür aber die Motten. Und denen kommt
       man mit Schrot nicht bei.
       
       24 Jun 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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