# taz.de -- CDU nutzt einen Begriff obsessiv: Ideologisch betrachtet
       
       > Kaum etwas nervt im politischen Diskurs so wie das „Ideologie“-Gequake.
       > Dabei ist es vor allem ein Zeichen von Denkfaulheit.
       
 (IMG) Bild: Schon klar: Ideologen sind immer nur die anderen. Und was wenn nicht?
       
       Es gibt wirklich wenige Dinge, die mir im politischen Diskurs so auf den
       Keks gehen wie der Ideologie-Vorwurf. Die CDU gebraucht ihn hier gerade
       obsessiv, egal auf welcher Ebene, in der Stadtpolitik, wo es heißt:
       „Straßensperrungen aus rein ideologischen Gründen lehnen wir ab!“, genauso
       wie in der Landespolitik, wo der Justizministerin unterstellt wird, sie
       wolle aus rein „ideologischen Gründen“ den offenen Vollzug stärken.
       
       Es gab ja mal Zeiten, da dachte man bei dem Wort „Ideologie“ vor allem an
       die großen geschlossenen Denk- und Welterklärungssysteme, Religionen,
       Faschismus, Kommunismus, alles, was so einen absoluten Wahrheitsanspruch
       verficht und glaubt, auf alles eine Antwort zu haben.
       
       Aber von welcher Ideologie ist nun hier die Rede? Es ist mir ein Rätsel.
       Also vor allem ist mir eigentlich ein Rätsel, wie man immer noch glauben
       kann, man müsste nur dieses Zauberwörtchen „ideologisch“ aussprechen und –
       Zack! – hat sich jede weitere Diskussion erledigt und man braucht gar keine
       Argumente mehr.
       
       Aber natürlich ist die rhetorische Figur eine andere. Was hier gemeint ist,
       ist ja: Die anderen rennen irgendwelchen spinnerten Ideen hinterher, wir
       nicht, wir machen einfach nur, was vernünftig, normal und pragmatisch ist.
       Das Dumme ist nur: Politik, die keine Idee hat, was sie eigentlich
       erreichen möchte, ist halt keine Politik, sondern Verwaltung.
       
       Nun könnte man sagen: Passt doch, was anderes wollte die CDU ja eh nie, als
       irgendwie am Status Quo herumzuverwalten. Ist ja auch irgendwie logisch,
       wenn man zu denen gehört, denen es damit ganz gut geht. Aber auch dieser
       Status Quo, in dem es einigen gut geht und anderen halt nicht so, muss
       irgendwie gerechtfertigt werden.
       
       ## In Wirklichkeit ist jede Politik ideologisch
       
       Und spätestens da kommen eben so Dinge ins Spiel wie Wertvorstellungen,
       Menschenbild, eine Idee davon, warum die Welt so ist, wie sie ist und wie
       sie sein sollte. Das sind aber alles Dinge, die von der modernen
       Wissenssoziologie im Feld der politischen Ideologie verortet werden. Mit
       anderen Worten: Politik kann gar nicht unideologisch sein.
       
       Oder um es auf die eingangs erwähnten Anwendungsbeispiele zu beziehen: Wenn
       man dem politischen Gegner unterstellt, er propagiere aus ideologischen
       Gründen die Resozialisierung von Gefangenen, dann müsste man sich
       eingestehen, dass die Gegenposition genauso ideologisch ist. Weil sie sich
       eben aus einem Welt- und Menschenbild speist, das Bestrafen, Disziplinieren
       und eine harte Hand viel wichtiger findet.
       
       Wenn man den Grünen eine Anti-Auto-Ideologie unterstellt, dann sollte man
       sich bewusst machen, dass die Pro-Auto-Position natürlich genauso
       ideologisch ist. Nur weil in der deutschen Verkehrspolitik jahrzehntelang
       galt, dass der Autoverkehr Vorrang hat, wird daraus ja noch kein
       Naturgesetz.
       
       ## Setzung stößt an Grenzen
       
       Es ist eine politische Wertung, dass man individuelle Mobilität,
       technischen Fortschritt und Wirtschaftskraft allein der Automobilindustrie
       zugeordnet hat und demgegenüber die Interessen anderer Verkehrsteilnehmer
       und die Lebensqualität von Stadtbewohnern eher vernachlässigbar fand.
       
       Nun stößt diese Setzung offensichtlich an ihre Grenzen: Die PKW-Dichte ist
       so hoch, dass man – egal wie viel Straßenraum man ihm noch widmet – niemals
       zu diesem mythischen Zustand kommt, in dem der Autoverkehr stets fließt und
       jeder einen Parkplatz bekommt, wenn er ihn braucht. Der knappe Raum muss
       also klug verteilt werden. Dabei sind verschiedene Interessen gegeneinander
       abzuwägen, die man in einem demokratischen Prozess miteinander aushandeln
       müsste.
       
       Das wird aber schwierig, wenn man ausgerechnet die größte Fraktion – und
       nur diese – zu ideologischen Spinnern abstempelt und sich selbst in der
       selbstgerechten Illusion suhlt, unideologisch zu sein. Aber da gilt wohl
       immer noch, was der britische Literaturtheoretiker Terry Eagleton einmal
       sagte: Ideologie ist wie Mundgeruch – etwas, was immer nur die anderen
       haben.
       
       30 Jun 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nadine Conti
       
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