# taz.de -- das wird: Mit den Stimmen ganz realer Geister
       
       > Das NDR-Hörspiel „Dschinns“ bezaubert. Wie schon Fatma Aydemirs Roman
       > balanciert es zwischen Dies- und Jenseits
       
       Von Benno Schirrmeister
       
       Manche Theaterstücke werden erst im Radio richtig gut. Das gilt ganz sicher
       für Selen Karas [1][Dramatisierung] von Fatma Aydemirs grandiosem Roman
       „Dschinns“. Sie läuft ab 19. Juni als Hörspiel im NDR und kommt dabei viel
       mehr zu sich selbst, als es auf der Bühne möglich war: Schon der
       Uraufführung in Mannheim war bescheinigt worden, zu wenig Theater und zu
       [2][sehr Hörspiel zu sein]. Das liegt weniger am mangelnden Geschick der
       Bearbeitung, denn an ihrem Respekt gegenüber der Vorlage. Aydemirs Roman
       nämlich zeichnet sich durch eine durch und durch realistische Erzählhaltung
       aus. Und trotzdem verleiht ihre Prosa der Geschichte der Familie Yılmaz,
       die der Roman aufblättert, ein geradezu spiritistisches Fluidum. Das kann
       sich in einem bilderlosem Medium viel besser entfalten als auf irgendeiner
       Schaubühne.
       
       Denn Dschinns, die Titelfiguren, sind eindeutig uneindeutige Geister.
       Vielleicht ist es erst der Kontakt zu ihnen, der Menschen menschlich macht.
       „Wesen aus rauchlosem Feuer“ nennt sie der Koran, und sie sind eng verwandt
       mit dem, was eine säkulare Welt als Stimme im Kopf oder Bauchgefühl
       somatisiert. Die großartige Şiir Eloğlu spricht sie alle, und ihr glückt
       dabei eine tolle Balance zwischen Hauch und Präsenz, zwischen Anteilnahme
       und spöttischer Distanz, die durch die unterschiedlichen Mikrofonstandorte
       auch räumlich nachvollzogen wird. Jede Erzählstimme und jede lebendige
       Person des Stücks steht ja im Kontakt mit einem Dschinn. Vielleicht gilt
       das sogar für die rassistischen Bundespolizisten, die, wahrscheinlich weil
       die Uniformhose im Schnitt kneift, Hakan Yılmaz im fünften Kapitel auf der
       Autobahn stoppen. Nur bleiben ihre halt stumm: Allein schon Tilmann Strauß
       mit verkniffenem bayrischen Akzent das Wort „Atem-Alkoholtest“ sagen zu
       hören, lässt bestürzend tief in den leeren Abgrund blicken, den man
       beschönigend als deutsche Seele bezeichnet. Und angesichts dessen Hakan,
       der Widersborstige, der doch sehr wohl ein Bild von sich als starker Mann
       pflegt, verzweifelt. Glitzern da nicht Tränen der Wut und Resignation in
       der Stimme, die Hassan Akouch der Rolle leiht?
       
       Ohne jede raunende Geheimnistuerei, ganz prosaisch hatte sich schon das
       Buch auf der Schwelle zwischen Dies- und Jenseits einen Erzählraum
       geschaffen: Es beginnt mit dem Tod des Familienvaters Hüseyin in Istanbul.
       Der hat sich dort, nach Jahrzehnten zermürbender, oft erniedrigender Arbeit
       in Deutschland eine Eigentumswohnung geleistet, mit Bosporus-Blick, das
       Ziel seines Lebens. Als er sie am ersten Tag seines Ruhestands stolz in
       Besitz nimmt, trifft ihn der Schlag: Vedat Enrincins Todesröcheln ist auf
       sehr gute Weise unangenehm. Mit seiner Beerdigung, die ungeschildert
       bleibt, sind alle Handlungsstränge verknüpft. Alle Familienmitglieder –
       migrantische und postmigrantische Generationen – sollen und wollen sich an
       seinem Grab versammeln. Fast keiner schafft‘s. Das ist komisch, obwohl es
       so unendlich traurig ist, und hat auch mit Rassismus zu tun, strukturellem
       und offenem, erfahrenem, und den bleibenden Wunden, die er schlägt.
       
       Man müsste noch weiter über den Cast schwärmen. Aber dann bliebe kein
       Platz, um die raffinierte Charakteristik der Personen durch Dirk
       Dresselhaus‘ Komposition zu loben. Die ermöglicht auch den virtuosen Umgang
       mit Zeitebenen: Rückblicke und Epochenwechsel sind für Hörspiele eine
       besondere Herausforderung. Hier gelingt es, mit fast tänzerischer
       Leichtigkeit durch die gut fünf Jahrzehnte der Erzählung zu springen.
       Trotzdem bleiben die Hörer*innen immer orientiert, werden Sie merken.
       Denn diese im Rundfunk auf zwei, im Podcast auf sechs Folgen aufgeteilte
       Produktion ist ein echtes Radioereignis, das lange nachhallt. Das sollten
       Sie nicht verpassen.
       
       19 Jun 2024
       
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