# taz.de -- Politische Sprache: Terrorist sein wäre kinderleicht
       
       > Die Sicherheit bei der EM hat noch Luft nach oben. Über einen
       > Spontanbesuch im Berliner Olympiastadion, Baerbock und einen vernünftigen
       > Merz.
       
 (IMG) Bild: Pyrotechnik ist noch immer möglich – trotz Verboten
       
       Diese Woche habe ich mich bei der Uefa eingeschleust. Österreich gegen
       Polen in Berlin, also mal schnell mit dem Rad [1][zum Olympiastadion], ein
       bisschen EM-Atmosphäre vor dem Stadion aufnehmen. Es läuft schon die zweite
       Halbzeit, da entdecke ich, wie ein Mann einen der altmodischen Eingänge aus
       Eisenstreben ein bisschen aufschiebt und rausgeht. Ich warte ab, bis der
       Security-Mann dahinter kurz abgelenkt ist, schlüpfe durch, finde einen
       Tribünenaufgang ohne Security, wo man eigentlich noch mal sein Ticket
       vorzeigen muss, und eine Minute später stehe ich inmitten von
       österreichischen und polnischen Fans. Das Spiel interessiert mich weniger,
       sondern ich sauge die Farbenpracht und die überwältigende Geräuschkulisse
       von über 70.000 Zuschauern auf.
       
       Wäre ich Terrorist, hätte ich problemlos drei Pistolen unter Gürtel und
       T-Shirt verstecken und ein Blutbad anrichten können (liebe
       Sicherheitsbehörden, Konjunktiv!). Und wäre ich Terrorist, hätte ich
       sicherlich problemlos noch drei Komplizen ins Stadion einschleusen können.
       Innere Sicherheit ist die graue Maus der Politik. So richtig interessiert
       sich die Öffentlichkeit dafür nur, wenn etwas schiefgeht. Dann sind die
       InnenpolitikerInnen rhetorisch zur Stelle: „lückenlose Aufklärung“, „mit
       aller Härte“, „nie wieder“, was man so sagt, um von den Fehlern des
       Apparats, den man zu verantworten hat, abzulenken.
       
       Auf dem Rückweg musste ich an Nancy Faeser denken. Kurz vor der EM
       versprach die Innenministerin, dass [2][die Sicherheit während des Turniers
       „oberste Priorität“ habe]. Sicherheitspolitik ist zu einem Teil Symbolik,
       rhetorische Beruhigung für die Massen und öffentliches „Präsenz-Zeigen“.
       Präsenz zeigten rund ums Stadion Hundertschaften von Polizisten, die
       gelangweilt in ihren Mannschaftswagen herumsaßen und an ihren Handys
       spielten, während sie die privaten Security-Leute am und im Stadion allein
       lassen mussten (Stadien sind während der EM Uefa-Territorium).
       
       Es stünde uns Medien gut an, die Floskeln, die PolitkerInnen tagein, tagaus
       so von sich geben, mal ein bisschen intensiver zu hinterfragen – auch die
       vermeintlich selbstverständlichen Statements und nicht nur die sogenannten
       Aufreger, die Social Media täglich hochspült. Aufschlussreiche Rhetorik bot
       diese Woche mal wieder Annalena Baerbock. Wikileaks-Gründer Julian Assange
       ist nach über 13 Jahren überraschend ein freier Mann. O-Ton Baerbock: „Ich
       kann nur sagen, dass ich sehr froh bin, dass dieser Fall, der überall auf
       der Welt sehr emotional diskutiert wurde und viele Menschen bewegt hat,
       dass er nun endlich eine Lösung gefunden hat.“
       
       ## Wertegeleitete Außenpolitik?
       
       Ein typischer Baerbock-Satz mit dem für sie obligatorischen Gefühls-Modul.
       Interessanter wäre zu wissen, warum sich Baerbock als Außenministerin eher
       wenig für Assange interessiert hatte, wie eine Recherche [3][des Kollegen
       Michael Sontheimer in der taz] vor einem halben Jahr gezeigt hat.
       Wertegeleitete Außenpolitik, war da was?
       
       Einen Tiefpunkt politischer Rhetorik lieferten diese Woche Politiker von
       CDU/CSU: Via Bild am Sonntag bellte CSU-Mann Alexander Dobrindt die
       ukrainischen Flüchtlinge an: „Arbeitsaufnahme in Deutschland oder Rückkehr
       in sichere Gebiete der Westukraine.“ Der CDU-Innenminister in Brandenburg
       griff in eine noch tiefere Schublade und sprach von „fahnenflüchtigen
       Ukrainern“, die „alimentiert“ würden. Übersetzt: die Ukrainer, das
       arbeitsscheue Gesindel, das nicht kämpfen will.
       
       Da wollen sie wohl ein paar Sympathiepunkte von der AfD-Klientel abfischen,
       anstatt konkret dafür zu sorgen, dass die UkrainerInnen in Arbeit kommen
       (und ehrlicherweise zuzugeben, dass es wegen fehlender Sprachkenntnisse und
       Kinderbetreuung eben nicht für alle funktionieren wird). Es passieren
       jedoch noch Überraschungen: Friedrich Merz sagt laut Süddeutscher Zeitung
       in einer Unions-Fraktionssitzung: „Wir brauchen sie (für den
       Arbeitsmarkt).“ Das zu erreichen sei aber „eine Aufgabe der Politik und
       nicht in erster Linie eine Aufgabe der Flüchtlinge“. Ich hätte nicht
       gedacht, dass Merz, was politische Sprache (und Inhalte) angeht, eine
       Stimme der Vernunft sein kann.
       
       28 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Olympia-1936-in-Berlin/!5322416
 (DIR) [2] https://www1.wdr.de/sport/fussball/fussball-em-sicherheit-100.html
 (DIR) [3] /Annalena-Baerbock-und-Julian-Assange/!5966758
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gunnar Hinck
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Der rote Faden
 (DIR) Sprache
 (DIR) Innere Sicherheit
 (DIR) Fußball
 (DIR) Pyrotechnik
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Grenzkontrollen
 (DIR) Kolumne Der rote Faden
 (DIR) Kolumne Der rote Faden
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Baerbocks Kurzstreckenflug: Desaströse Signale
       
       Außenministerin Baerbock flog mal kurz von Frankfurt nach Luxemburg – ein
       Wahnsinn. Besser als die Aufregung darüber wären aber teurere Flüge für
       alle.
       
 (DIR) Grenzkontrollen zu Polen: Wer steht für Europa?
       
       Brandenburgs Grüne haben die Verlängerung der Kontrollen an der Grenze zu
       Polen kritisiert. Zustimmung bekommen sie nur aus dem Nachbarland.
       
 (DIR) Soziale Ungleichheit: Wie wär's mal mit der Klassenfrage?
       
       Linke streiten lieber über Kulturkampf-Themen als über soziale und
       wirtschaftliche Konflikte. Das geschieht oft auch aus reiner
       Bequemlichkeit.
       
 (DIR) Filmklassiker: Die Brüste der Minderjährigen
       
       Unter uns: Spielfilme waren früher besser, packender, raffinierter. Wenn es
       da nicht das Problem mit dem Sexismus und der Übergriffigkeit gäbe.