# taz.de -- Wasserversorgung in Berlin: Auf dem Trockenen?
       
       > Alles, was flussauf der Spree etwa in den Kohlegruben der Lausitz
       > passiert, muss Berlin interessieren. Die Stadt fördert ihr Trinkwasser
       > aus dem Fluss.
       
 (IMG) Bild: Der Weg des Wassers: die Spree in Berlin
       
       Um zu wissen, wie es um Berlin bald stehen könnte, lohnt sich der Aufstieg
       auf den Aussichtsturm im Cottbuser Stadtteil Merzdorf. 250 Kilometer
       spreeaufwärts der Hauptstadt bietet sich am künftigen Stadthafen ein Blick,
       von dem viele in Cottbus träumen. Wo bis 2015 Bagger und Förderbänder die
       Kohle aus dem Tagebau Cottbus-Nord gekratzt haben, entsteht Brandenburgs
       größter künstlicher See. Sein Name: der Cottbuser Ostsee.
       
       Bis zum nächsten Jahr soll die 19 Quadratkilometer große Grube vollgelaufen
       sein und das neue Naherholungsgebiet der Lausitzmetropole entstehen – mit
       Hafenviertel, Badestränden, Radweg und der Seevorstadt, die den Ostsee mit
       der Cottbuser Innenstadt verbindet.
       
       So schön kann der Kohleausstieg sein. Eine Tagebaufolgelandschaft als
       Versprechen einer blühenden Seenlandschaft. Auch wenn es mit dem
       Volllaufen, wie man inzwischen weiß, auch ein paar Jährchen länger dauern
       könnte.
       
       In Berlin gruseln sie sich inzwischen bei diesem Gedanken. [1][Von „großen
       wasserwirtschaftlichen Herausforderungen“ spricht Berlins Regierender
       Bürgermeister Kai Wegner (CDU)] und meint damit nicht nur das Spreewasser,
       mit dem der Ostsee geflutet wird und das in Berlin nicht mehr zur Verfügung
       steht. Wegner sorgt sich auch über die Folgen des Kohleausstiegs für die
       Trinkwasserversorgung in der Hauptstadt. Zwei Drittel des Wassers, das bei
       den fast 4 Millionen Berlinerinnen und Berlinern aus dem Hahn fließt,
       stammt aus dem Uferfiltrat von Spree und Havel. Sitzt Berlin bald auf dem
       Trockenen?
       
       Auf einem „Spreegipfel“, einem Krisentreffen mit seinen
       Ministerpräsidentenkollegen Dietmar Woidke (SPD) aus Brandenburg und
       Michael Kretschmer (CDU) aus Sachsen, verwies Wegner Mitte Juni mit Sorge
       auf den Pegelstand der Spree, der „stark von den Einleitungen aus den
       Tagebauregionen abhängt“.
       
       Eine Woche zuvor hatte Wegners Parteikollegin, Umweltsenatorin Ute Bonde,
       den Müggelsee besucht, Berlins größtes Trinkwasserreservoir, das von der
       Spree gespeist wird. [2][„Ein Viertel der Berliner trinkt das gute
       Uferfiltrat des Großen Müggelsees“, betonte die Senatorin]. Dabei
       appellierte Bonde auch an die Berlinerinnen und Berliner: „Wir alle sind
       aufgerufen, sparsam mit Wasser umzugehen“, sagte sie und forderte, nur noch
       volle Waschmaschinen in Gang zu setzen, kürzer zu duschen und Gärten nicht
       mehr mit Trinkwasser zu wässern.
       
       Wird die CDU plötzlich zur Verbotspartei? Was ist da los in Berlin und
       Brandenburg?
       
       ## Ein Gutachten schlägt Alarm
       
       Um zu verstehen, warum man in Berlin nervös wird, muss man vom Merzdorfer
       Turm spreeaufwärts blicken, Richtung [3][Tagebau Welzow-Süd oder weiter
       nach Sachsen], in die Tagebaue Nochten und Reichwalde.
       
       Zum Beispiel nach Steinitz, einem kleinen Dorf bei Drebkau im Landkreis
       Spree-Neiße. Aus dem noch aktiven Tagebau Welzow-Süd pumpt der
       Bergbaubetreiber Leag das Grubenwasser in die Steinitzer Fließe. Insgesamt
       5 Kubikmeter solcher „Sümpfungswässer“ fließen pro Sekunde über die
       verschiedenen Zuflüsse in die Spree.
       
       Sümpfungswässer ist ein Begriff, den Berliner Politiker wie Kai Wegner
       spätestens im Juni 2023 lernen mussten. [4][In einem Gutachten des
       Umweltbundesamtes (UBA)] war damals zu lesen, dass diese Sümpfungswässer
       die Hälfte des Spreewassers ausmachen. Im Sommer besteht die Spree
       manchmal sogar zu drei Vierteln aus abgepumptem Grundwasser. Wasser, das
       der Spree nach dem Kohleausstieg fehlen wird. [5][UBA-Chef Dirk Messner
       schlug Alarm]: „In Berlin und Brandenburg könnte im schlimmsten Szenario
       das Wasser empfindlich knapp werden, wenn nicht entschlossen gegengesteuert
       wird.“
       
       Auch ganz konkrete Maßnahmen hat das Umweltbundesamt vorgeschlagen: Der
       Cottbuser Ostsee soll zu einem Wasserspeicher werden. Um den Spreewald,
       Europas größtes Binnendelta mit seinen Hunderten Kilometern von Fließen,
       könnte eine Umleitung gelegt werden. Und aus der Elbe soll durch eine
       Überleitung Flusswasser in die Spree gepumpt werden. Seitdem steht das
       Thema Wasser auf der Tagesordnung – und eine Krisensitzung jagt die
       nächste.
       
       ## Badestrand oder Wasserspeicher?
       
       Am Cottbuser Altmarkt schüttelt Martin Kühne den Kopf. „Da wurden viele
       Erwartungen und Hoffnungen geweckt“, sagt der 75-Jährige über den Ostsee
       und seine Bedeutung für die Stadt. „Man hatte den Eindruck, dass die
       ehemalige Grube eher morgen als übermorgen zum Baden freigegeben wird. Aber
       bis der See aus dem Bergbaurecht entlassen wird, kann es bis in die 30er
       Jahre dauern.“
       
       Wenn die Cottbuser vom Ostsee träumen, mischen sich darin inzwischen auch
       Albträume. Der letzte Rückschlag ist ein Jahr her. [6][Auf einer Länge von
       40 Metern rutschen 20 Meter Seeufer die Böschung hinab]. Eine Rutschung,
       die es eigentlich nicht hätte geben dürfen, meint Martin Kühne. „Die Leag
       hat immer behauptet, dass sie ein solches Trockenszenario durchgerechnet
       hat“, sagt er. Trockenjahre, in denen kein Spreewasser in die Grube fließe,
       hieß es, würden den See nicht gefährden. „Nun sehen wir, dass man sich auf
       die Aussagen der Leag nicht blind verlassen kann.“
       
       Kühne ist ein grünes Urgestein in Cottbus. Noch vor der Wende hat er die
       Umweltgruppe Cottbus mitbegründet. Bis zur Kommunalwahl am 9. Juni saß er
       für die Grünen im Umwelt- und Bauausschuss der Stadtverordnetenversammlung.
       
       Sosehr Kühne kritisiert, dass mit dem Ostsee zu schnell zu viele Hoffnungen
       verbunden waren, so skeptisch steht er der Forderung des Umweltbundesamtes
       gegenüber, aus dem Ostsee einen Wasserspeicher zu machen. „Wenn der
       Wasserstand der Spree mit dem Wasser aus dem Ostsee reguliert werden soll,
       kommen auf den See Pegelschwankungen von 1 bis 1,70 Meter zu“, sagt er.
       „Dafür ist die Statik des Ostsees nicht berechnet.“
       
       Seit 2019 wird der einstige Tagebau geflutet – oder auch nicht. In
       Trockenzeiten darf kein Spreewasser entnommen werden. Dass er nun als
       Speicher für die Spree und Berlin dienen soll, hat die Stadtverordneten in
       Cottbus überrascht. Als 2016 der Planfeststellungsbeschluss verabschiedet
       wurde, war von einem Speicher keine Rede.
       
       Auch heute noch ist Martin Kühne skeptisch, nicht nur wegen der möglichen
       Pegelschwankungen. „Wir brauchen den Ostsee als Erholungsgebiet, um die
       Seevorstadt nicht zur gefährden“, sagt er. Als Gewinnerin des
       Strukturwandels in der Lausitz wird Cottbus wachsen, hofft er. [7][Ein
       neues, klimaneutrales Stadtquartier, das seine Fernwärme auch aus einer
       Seewasserpumpe aus dem Ostsee bezieht, wäre für die Stadt wichtig].
       
       Doch das UBA macht beim Speicher Druck. „Bislang verfügt die Region über
       ein Speichervolumen von rund 99 Millionen Kubikmeter Wasser“, heißt es in
       einer Mitteilung, die mit dem Gutachten veröffentlicht wurde. „Mit einer
       Erweiterung der Speicherkapazitäten um 27 Millionen Kubikmeter ließen sich
       Defizite in den wasserarmen Monaten teilweise auffangen.“
       
       Martin Kühne muss lachen. „Es ist wohl kein Zufall, dass die 27 Millionen
       Kubikmeter, die das Umweltbundesamt an zusätzlicher Speicherkapazität
       fordert, exakt der Menge an speicherbarem Wasser im Ostsee entspricht“,
       sagt er. Für ihn ist die Sache klar. „Das Gutachten ist maßgeblich von der
       Leag geschrieben worden.“ Als Bergbaubetreiber müsse das Unternehmen die
       Kosten für die Rekultivierung der ehemaligen Tagebaue übernehmen. „Mit
       Forderungen wie einem Speicher und einer Überleitung aus der Elbe will sich
       die Leag ihren Verpflichtungen entziehen und die Kosten auf den
       Steuerzahler abwälzen.“
       
       ## Leag: mächtig und intransparent
       
       Es ist ein heißes Eisen, das Kühne anspricht. Eines, an das sich auch die
       Politik nicht wirklich herantraut.
       
       In ihrer Erklärung beim „Spreegipfel“ Mitte Juni fordern Berlin,
       Brandenburg und Sachsen „ein gemeinsames, schnelles, zielgerichtetes,
       abgestimmtes und vor allem nachhaltiges Handeln der Politik, Behörden,
       Bergbauunternehmen und Gesellschaft“. Vor diesem Hintergrund sei deshalb
       „der Bund in der Pflicht, nötige wasserwirtschaftliche Anpassungen
       finanziell abzusichern.
       
       [8][Von der Leag, dem mächtigen Player in der Lausitz], ist im Papier also
       nur von einem „Bergbauunternehmen“ die Rede. Ganz anders sieht das
       Kollektiv „Correctiv“ die Rolle der Leag. Von einem „Monopolisten“ ist in
       einer [9][Recherche die Rede], die auch als [10][Bühnenstück am Cottbuser
       Staatstheater] inszeniert wurde. Weil die Behörden nicht eingreifen, könne
       die Leag „bisher und in Zukunft ungehindert Grund- und Trinkwasser nutzen“.
       Damit gefährde „der größte Wassernutzer Brandenburgs auch die
       Trinkwasserversorgung von Berlin“.
       
       Tatsächlich wird über den Wasserbedarf der Leag – anders als über den von
       Tesla in Grünheide – wenig diskutiert. Dabei steht das Bergbauunternehmen,
       das einem tschechischen Milliardär gehört, unangefochten auf Platz eins
       der Brandenburger Wassernutzer, wie die Antwort des [11][Brandenburger
       Umweltministeriums] und des [12][Landesamts für Umwelt] auf eine
       [13][Anfrage der grünen Landtagsabgeordneten Isabell Hiekel] ergeben hat.
       44 Millionen Kubikmeter Wasser hat die Leag 2021 gefördert. Tesla dagegen
       steht mit den 1,8 Millionen Kubikmetern, die das Land erlaubt, auf Platz
       neun.
       
       Aus dem inzwischen stillgelegten Tagebau Jänschwalde hat die Leag sogar
       viermal so viel Grundwasser abgepumpt, wie erlaubt war. Doch die
       Genehmigungsbehörde, das Brandenburger Landesamt für Bergbau, Geologie und
       Rohstoffe LBGR in Cottbus, ist offenbar machtlos. „Wir können die aktuelle
       Wasserentnahme nicht stoppen“, sagt LBGR-Chef Sebastian Fritze auf eine
       Anfrage von Correctiv. „Es besteht sonst die Gefahr, dass die Grube
       zusammenfällt.“
       
       Was aber hat das alles mit der Spree und der Gefahr für die Berliner
       Wasserversorgung zu tun? Kritiker vermuten inzwischen, dass das
       Umweltbundesamt mit seinem Gutachten das Ausmaß einer Wasserkrise an die
       Wand gemalt hat, die durch Fakten nicht gedeckt ist. Und dass die
       vorgeschlagenen Maßnahmen teuer für den Steuerzahler sind, die Leag aber
       entlasten.
       
       Tatsächlich arbeiten zwei der Ingenieurbüros, die das fast 500.000 Euro
       teure Gutachten verfasst haben, eng mit der Leag zusammen.
       [14][Umweltverbände wie der Nabu, die Grüne Liga oder der BUND haben das
       Gutachten deshalb schon kurz nach seiner Veröffentlichung als „tendenziös“
       bezeichnet.] Auch vor dem „Spreegipfel“ in der Sächsischen Landesvertretung
       in Berlin haben sie demonstriert.
       
       UBA-Präsident Dirk Messner verteidigte das Gutachten dagegen mit dem
       Hinweis auf die Datenlage. [15][„Wir hatten sehr wenige Bewerber, die
       dieses Gutachten erarbeiten wollten, weil sich ein Großteil der
       erforderlichen Daten in privater Hand befinden, so zum Beispiel beim
       Tagebaubetreiber Leag“], sagte Messner dem RBB. Das Monopol an Daten macht
       es der Leag ganz offensichtlich leicht, die eigenen Interessen in der
       Politik durchzusetzen.
       
       Auch deshalb steht die Frage im Raum: Droht Berlin tatsächlich eine
       Wasserkrise? Braucht es wirklich eine Überleitung von der Elbe in die
       Spree?
       
       Isabell Hiekel, die die Anfrage zum Wasserverbrauch gestellt hat, kennt die
       Kritik der Umweltverbände. Anstatt einen Wassernotstand herbeizureden,
       fordert sie eine ehrliche Bestandsaufnahme: „Wir müssen uns fragen, was wir
       an Wasser haben, was wir fördern wollen und was wir uns leisten können“,
       sagt Hiekel der taz.
       
       Seit Langem setzt sich die Grünen-Politikerin dafür ein, das Wasser länger
       in der Landschaft zu halten, plädiert für die Wiedervernässung von Mooren
       und fordert mehr Tempo beim Waldumbau, denn Mischwälder verdunsten weniger
       Wasser als Kiefernplantagen.
       
       Auch ein Umdenken bei der Flutung von Tagebauen verlangt Hiekel. „Große und
       flache Seen wie der Ostsee verdunsten mehr Wasser als kleine und tiefe.“
       Die Leag dagegen hält am Plan fest, neben dem Ostsee auch den noch größeren
       Tagebau Welzow-Süd mit Spreewasser zu fluten.
       
       „Das ist der Grund, warum die Leag unbedingt die Überleitung aus der Elbe
       will“, vermutet Hiekel. Für die Wasserversorgung von Berlin sei das nicht
       nötig. Deshalb gebe es keinen Grund, warum die öffentliche Hand das 500
       Millionen Euro teure Projekt finanzieren müsse.
       
       Das Wasser des Cottbuser Ostsees als Speicher zu nutzen findet Hiekel
       dagegen sinnvoll. Anders als der Cottbuser Grüne Martin Kühne findet die
       grüne Landtagsabgeordnete: „Es gibt keinen Konflikt zwischen Naherholung
       und Speicher.“
       
       ## Berlin lebt von der Spree
       
       Berlin, heißt es in einem bis heute gerne gebrauchten Bonmot, sei aus dem
       Kahn gebaut. Soll heißen, ohne die Furt über die Spree an der heutigen
       Mühlendammbrücke gäbe es das 1237 erstmals erwähnte Berlin nicht. Und auch
       nicht die spätere Metropole, denn die Baustoffe für die seit 1871 rasant
       wachsende Reichshauptstadt kamen zumeist über den Wasserweg in die Stadt.
       
       Doch nicht nur das Wachstum Berlins haben Spree und Havel ermöglicht. Die
       beiden Flüsse sichern bis heute die Trinkwasserversorgung der Stadt. Am
       nördlichen Ufer des Müggelsees, auf dem die Umweltsenatorin Anfang Juni die
       Berlinerinnen und Berliner zum Wassersparen aufgerufen hatte, steht das
       größte Wasserwerk Berlins. Unzählige Pumpen ziehen das Wasser aus dem See
       in die Tiefe. Auf dem Weg zum Grundwasserleiter wird es in den Sand- und
       Gesteinsschichten gereinigt und danach wieder hochgepumpt. [16][Mehr als 60
       Prozent des Berliner Trinkwassers werden auf diese Weise aus sogenanntem
       Uferfiltrat gewonnen]. Berlin ist damit eine der wenigen Großstädte in
       Europa, die ihr Trinkwasser selbst gewinnen.
       
       Doch schon vor dem Ende des Kohleausstiegs kommt am Müggelsee vor allem in
       Hitzesommern wenig Wasser an. An manchen Tagen fließt die Spree sogar
       rückwärts. Manche nennen die Spree deshalb auch einen „Flussdarsteller“.
       Was wird erst sein, wenn der Spree nach dem Kohleausstieg die
       Sümpfungswässer fehlen?
       
       [17][Gesche Grützmacher] hat das Gutachten des Umweltbundesamtes nicht
       überrascht. „Im Rahmen des [18][Masterplans Wasser] hat der Senat die
       verschiedenen Szenarien durchgespielt“, sagt die Leiterin der Abteilung
       Wasserversorgung bei den [19][Berliner Wasserbetrieben]. Wenn weniger
       Spreewasser in den Müggelsee fließe, falle der See nicht trocken. „Wir
       haben eine Stauhaltung, damit wird der Wasserspiegel konstant gehalten.
       Wenn weniger durchfließt, fließt es dann halt langsamer ab.“
       
       Und wenn nur noch ein Viertel des Spreewassers in den Müggelsee kommt, wie
       es das Gutachten für heiße Sommer vorhersagt?
       
       „Auch bei diesem Worst Case“, betont Grützmacher, „wird Berlin nicht auf
       dem Trockenen liegen.“ Mindestens zwei Jahre sei die Trinkwasserversorgung
       in diesem Fall gesichert. „Die Dramatik für Berlin ist also nicht so, dass
       wir morgen mit den Maßnahmen beginnen müssen, die das Umweltbundesamt
       vorschlägt. Wir können noch überlegen, welche dieser Maßnahmen überhaupt
       sinnvoll sind.“
       
       Das sind andere Töne als die, die die Politik anschlägt. Stehen nicht nur
       Grüne und Umweltverbände, sondern auch die Berliner Wasserbetriebe dem
       UBA-Gutachten skeptisch gegenüber?
       
       Gesche Grützmacher drückt sich diplomatisch aus: „Es ist ganz normal, dass
       man erst einmal das Problem aufzeigt und sagt: Hier laufen wir in ein
       Defizit.“ In einem nächsten Schritt müsse man dann verschiedene
       Lösungsmöglichkeiten aufzeigen und auf ihre Machbarkeit und
       Finanzierbarkeit prüfen.
       
       Wie die Brandenburger Grünen will Grützmacher auch die bisherige Praxis der
       Flutung auf den Prüfstand stellen. „Da ist entscheidend, dass möglichst
       wenig verdunstet.“ Das Argument, dass das die Rekultivierung für die Leag
       teurer mache, lassen die Wasserbetriebe nicht gelten. „Das mag sein, aber
       das gehört zur Rekultivierung dazu, dass ein Zustand hergestellt wird, wo
       die Nachteile für den Wasserhaushalt möglichst gering gehalten werden“,
       sagt Grützmacher.
       
       Vor allem für die Flutung von Welzow-Süd wäre dies eine entscheidende
       Stellschraube. Eine andere Modellierung der Tagebauseen wird im Gutachten
       des Umweltbundesamtes dagegen nicht thematisiert. Auch nicht das politische
       Ziel der Brandenburger Kenia-Koalition, mehr Wasser in der Landschaft zu
       halten. Wäre eine Überleitung von der Elbe in die Spree womöglich gar nicht
       nötig, wenn Brandenburg seine Hausaufgaben macht?
       
       „Das ist eine gute Frage, das wüsste ich auch gerne“, sagt Grützmacher.
       „Deshalb brauchen wir eine detaillierte Auswertung der verschiedenen
       Maßnahmen. Generell halte ich es für sinnvoll, die Euros nicht in neue
       Bauwerke, also in Beton, zu stecken. Wenn man es anders schafft, wäre es
       toll.“
       
       ## Leag lässt Fragen unbeantwortet
       
       Vom Aussichtsturm in Merzdorf werden bald Bagger zu sehen sein. Bei der
       Sanierung der Rutschung wird auch ein Teil der geplanten Promenade und des
       Ostsee-Radwegs um 50 bis 70 Meter zurückweichen müssen. Was laut Leag gar
       nicht hätte passieren dürfen, kostet das Unternehmen nun zusätzliche
       Millionen. Erst wenn der Ostsee aus dem Bergbaurecht entlassen wird, ist
       die Leag aus dem Rennen.
       
       Es ist ein Rennen, bei dem es nicht nur um Millionen, sondern um Milliarden
       geht. Alleine für die Sanierung der nach der Wende geschlossenen Tagebaue
       in Ostdeutschland hat der Bund 12 Milliarden Euro zahlen müssen. Inzwischen
       sprechen Experten bereits von „Ewigkeitskosten“. Kosten, für die beim
       Kohleausstieg nun die private Leag aufkommen muss.
       
       Mit einer vom Bund finanzierten Überleitung von der Elbe in die Spree wäre
       das Unternehmen einen Teil der Kosten los. Zumindest dann, wenn mit dem
       Überschuss an Wasser der Tagebau Welzow-Süd geflutet werden würde. Noch
       aber ist unklar, ob es dazu überhaupt kommen wird. Sachsens grüner
       Umweltminister Wolfram Günther steht der geforderten Elbüberleitung
       skeptisch gegenüber. Er betont, dass auch die Elbe wenig Wasser führe.
       
       Wie die Wasserbetriebe fordern deshalb die Brandenburger Grünen eine neue
       Berechnung des Wasserbedarfs nach dem Kohleausstieg. Auch im
       Kohleausstiegsgesetz ist von einer detaillierten Modellierung die Rede. Ob
       die Leag dafür ihre Daten zur Verfügung stellt, ist allerdings offen. Einen
       Fragenkatalog der taz zum Thema ließ das Unternehmen unbeantwortet.
       
       Derweil zeichnet sich am Horizont schon das nächste Krisenthema ab. Kaum
       war bekannt, dass die Leag vom Bund 1,2 Milliarden Euro als Entschädigung
       für den Kohleausstieg bekommen wird, wurde der Konzern umstrukturiert.
       Unter einer Holding firmieren nun eine bald defizitäre Kohlensparte und
       eine Sparte für erneuerbare Energien, mit der viel Geld verdient werden
       kann.
       
       Eine „Bad Bank“ nennen die Grünen die Kohlesparte inzwischen und fürchten,
       die Holding könne sie in die Insolvenz schicken. Dann müsste das
       Versprechen von der neuen Lausitzer Landschaft ganz aus Steuergeldern
       finanziert werden.
       
       Die Grünen dagegen wollen mit dem Geld für die Leag eine
       Braunkohlefolgekostenstiftung gründen, um die Rekultivierung finanziell
       abzusichern.
       
       Doch darüber haben die drei Ministerpräsidenten auf ihrem „Spreegipfel“
       nicht beraten.
       
       30 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://brandenburg.de/cms/detail.php/detail.php?gsid=brandenburg_06.c.843253.de
 (DIR) [2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/berlins-wasserversorgung-im-klimawandel-fur-die-spree-reichts-in-der-havel-droht-ebbe-11757902.html
 (DIR) [3] https://www.leag.de/de/geschaeftsfelder/bergbau/tagebau-welzow-sued/
 (DIR) [4] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/wasserwirtschaftliche-folgen-des
 (DIR) [5] https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/spree-droht-nach-kohleausstieg-in-der-lausitz
 (DIR) [6] https://www.lr-online.de/lausitz/cottbus/cottbuser-ostsee-arbeiten-am-schlichower-damm-verzoegern-sich-aufgrund-einer-neuen-rutschung-70782101.html
 (DIR) [7] https://cottbuser-ostsee.de/seevorstadt/
 (DIR) [8] https://www.leag.de/de/
 (DIR) [9] https://correctiv.org/aktuelles/kampf-um-wasser/2023/12/01/alles-fuer-die-kohle-wie-ein-konzern-unser-wasser-abgraebt/
 (DIR) [10] https://correctiv.org/in-eigener-sache/2023/09/25/correctiv-recherche-im-theater/
 (DIR) [11] https://mluk.brandenburg.de/mluk/de/
 (DIR) [12] https://lfu.brandenburg.de/lfu/de/
 (DIR) [13] https://polit-x.de/en/documents/17482757/germany/federal-states/brandenburg/landtag/documents/antwort-2023-08-09-wasserentnahmen-in-brandenburg
 (DIR) [14] https://www.grueneliga.de/index.php/de/themen-projekte/braunkohle/1395-umweltverb%C3%A4nde-tagebaubetreiber-in-die-pflicht-nehmen
 (DIR) [15] https://www.rbb24.de/studiocottbus/politik/2023/07/brandenburg-lausitz-wasser-studie-umwelt-bundesamt-verbaende-kritik.html
 (DIR) [16] https://www.bwb.de/de/berlin-hitze-braunkohleausstieg-klimawandel-trinkwasserversorgung.php
 (DIR) [17] https://www.bwb.de/de/sorgsam-waessern.php
 (DIR) [18] https://www.berlin.de/sen/uvk/umwelt/wasser-und-geologie/masterplan-wasser/
 (DIR) [19] https://www.bwb.de/de/index.php
       
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 (DIR) Hurrikan verwüstet Karibkinsel: Klimawandel treibt Wirbelsturm an
       
       Hurrikan „Beryl“ hat auf Union Island 90 Prozent der Häuser beschädigt.
       Noch nie wurde ein Hurrikan der Stärke 5 so früh registriert.
       
 (DIR) Die Lausitz im Strukturwandel: Unter dem See liegt der Tagebau
       
       Bis spätestens 2038 soll Schluss sein mit dem Kohleabbau in der Lausitz.
       Die Region, die alles auf das schwarze Gestein ausgerichtet hat, versucht
       den Strukturwandel.
       
 (DIR) Braunkohleabbau in Ostdeutschland: Kohlekonzerne sollen Lausitz retten
       
       Die Gebiete der ostdeutschen Tagebaue drohen nach ihrem Ende zu
       vertrocknen. Der Kohlekonzern Leag soll dafür Milliarden zahlen, fordern
       die Grünen.
       
 (DIR) Machenschaften mit dem Braunkohle-Aus: Das Geld darf nicht verschwinden
       
       Ein tschechischer Konzern will das deutsche Braunkohlegeschäft auslagern.
       Jetzt heißt es aufpassen, dass die Milliardenrücklagen nicht mit abwandern.