# taz.de -- Autor Linus Giese über Menstruation: Blut hat kein Geschlecht
       
       > Nach Jahren ohne Periode kehrt das Menstruationsblut unseres Autors
       > unerwartet zurück. Über den komplizierten Umgang mit Menstruation als
       > trans* Mann.
       
 (IMG) Bild: Menstruation macht nicht weniger männlich
       
       Passenderweise schreibe ich diesen Text, während [1][ich menstruiere].
       Diesen Satz zu schreiben fühlt sich komisch an, weil ich fast fünf Jahre
       lang keine Menstruation mehr hatte. Dieser Satz fühlt sich auch komisch an,
       weil ich mir vorstelle, was andere Menschen denken, wenn sie ihn lesen: ein
       Mann, der menstruiert? Ja, so etwas gibt es tatsächlich.
       
       Mein Coming-out als [2][trans* Mann] ist mittlerweile sieben Jahre her,
       kurze Zeit später begann ich, Testosteron zu nehmen. Ein paar Monate danach
       sollte ich meine letzte Menstruation haben. Ich erinnere mich daran, wie
       ich diesen Moment gefeiert habe: Endlich nie wieder in die Abteilung für
       Damenhygiene gehen! Doch fünf Jahre später kehrte das Blut zurück, zunächst
       nur als schwache Spur auf dem Toilettenpapier.
       
       Zuerst habe ich gar nicht an meine Menstruation gedacht, erst bei einer
       Untersuchung in meiner BVU-Praxis (die Abkürzung steht für
       Brust-Vulva-Uterus, ich habe mir im Laufe der letzten Jahre versucht
       abzugewöhnen, von [3][Frauenärzt*innen] zu sprechen, denn diese Praxen
       sollten auch ein Ort für mich sein und ich bin nun mal keine Frau) wurde
       festgestellt, dass es sich um Menstruationsblut handelt.
       
       Das war ein Schock. Eine medizinische Erklärung dafür, wieso meine
       Menstruation trotz Testosteron zurückgekommen ist, gab es nicht. Auf der
       Suche nach Antworten, fing ich an zu googeln und fand heraus, dass auch
       andere trans* Männer diese Erfahrung machen. In Foren erzählen sie, wie bei
       ihnen nach Jahren die Menstruation wieder zurückkam.
       
       Andere berichten, ihre Menstruation habe trotz Testosteron nie wirklich
       aufgehört. Es gibt auch trans* Männer, die keine Hormontherapie machen und
       deshalb weiterhin ihre Menstruation bekommen.
       
       ## Überschwemmt von Traurigkeit
       
       Zu dieser Gruppe gehöre ich mittlerweile auch. Seit Anfang des Jahres
       pausiere ich aus gesundheitlichen Gründen mit Testosteron. Schlimmer kann
       es sowieso nicht mehr werden, dachte ich – ich hatte zumindest keine Angst
       davor, dass meine Menstruation wieder zurückkehren könnte, denn die war ja
       eh wieder da.
       
       Doch aus der leichten Blutung, die mich noch durch das vergangene Jahr
       begleitet hatte, wurde seit Januar ein richtiger Sturzbach. In den ersten
       Tagen meiner Menstruation, brauche ich oft mehrere Binden – wenn ich
       morgens aufwache, kommt es nicht selten vor, dass meine Schlafanzughose und
       das Bettlaken trotzdem voller Blut sind. Dazu kommen die Schmerzen. Meine
       Menstruation ist für mich nicht mehr ohne Schmerzmittel zu überstehen.
       
       Ich leide unter Schwindel, Hitzewallungen, geschwollenen Lymphknoten – doch
       fast noch schlimmer ist, was in den zwei Wochen vor meiner Periode
       passiert. In dieser Zeit werde ich überschwemmt von einer kaum zu
       ertragenden Traurigkeit.
       
       ## Fragile Identität
       
       In dieser Traurigkeit steckt – glaube ich – auch der Schmerz darüber, dass
       mein Körper nicht so funktioniert, wie ich mir das wünsche. Als ich meine
       Periode zum ersten Mal bekam, wusste ich nicht, wie mir geschah, ich
       erinnere mich nur noch an die Ohnmacht, an die Hilflosigkeit und daran, wie
       ich in der Badewanne stand und mir das Blut am Bein herunterfloss.
       
       Wenn ich meine Periode heutzutage bekomme, fühlt es sich genauso an wie
       damals. Ich bin überzeugt davon, dass meine Menstruation mich nicht weniger
       „männlich“ macht – und doch nehme ich meine Identität während der
       Menstruation als besonders fragil wahr.
       
       Zu diesem Gefühl tragen viele Kleinigkeiten bei, zum Beispiel auch, dass es
       auf vielen Männertoiletten weniger Einzelkabinen gibt, in denen dann oft
       die Mülleimer fehlen. Wenn ich auf einer Männertoilette die Verpackung
       einer Binde öffne, kommt mir das wie das lauteste Geräusch auf der Welt
       vor.
       
       ## Nur cis Frauen machen Tampon-Werbung
       
       Es fällt mir auch schwer, plötzlich wieder Binden und Tampons kaufen zu
       müssen. Als ich das letzte Mal im Supermarkt vor einem Aufsteller mit
       Binden stand, auf dem augenscheinlich drei cis Frauen abgebildet waren,
       habe ich mich gefragt, ob es einfacher für mich wäre, wenn ich dort zwei
       cis Frauen und einen trans* Mann sehen würde?
       
       In den Foren, in denen ich mitlese, gibt es trans* Männer, die ihre
       Regelblutung als „shark week“ bezeichnen (weil das männlicher klingt) oder
       sich vorstellen, dass sie bluten, weil sie in einem Kampf verwundet wurden
       – doch ich glaube nicht, dass mir das helfen würde.
       
       Der Versuch, aus der Periode eine universelle – und nicht mehr nur rein
       weibliche – Erfahrung zu machen, ist nicht nur ein sprachliches Anliegen,
       sondern auch ein existenzielles: Viele trans* Männer trauen sich nicht zu
       gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen zu gehen, weil sie an diesen Orten
       nicht mitgedacht werden.
       
       Oft ist schon das Aufrufen im Wartezimmer eine schmerzliche Erfahrung.
       Selbst in einer Stadt wie Berlin ist es nicht einfach, BVU-Praxen zu
       finden, die auf trans* Menschen spezialisiert sind – und spezialisierte
       Praxen nehmen oft keine Neu-Patient*innen mehr auf.
       
       ## Es braucht neue Studien
       
       Ich habe mir einen Termin in der Praxis „obenrum – untenrum“ gemacht, die
       auf ihrer Homepage verspricht, dass sie „alle Geschlechter“ betreuen,
       beraten und untersuchen. Der Haken: Es ist eine Privatpraxis. In den
       anderen Praxen, in denen ich letztes Jahr gewesen bin, habe ich auf die
       Frage, warum meine Menstruation zurückgekehrt ist, keine Antwort bekommen.
       Was sicherlich auch daran liegt, dass es – bisher – noch kaum
       wissenschaftliche Forschung zur Menstruation bei trans* Männern gibt.
       
       Wir bräuchten ganz dringend Studien, die untersuchen, wie sich Testosteron
       auf die Menstruation auswirkt, welche kurz- und langfristigen Effekte es
       gibt, zu welchen hormonellen Schwankungen es kommen kann und – das ist
       wahrscheinlich die zentrale Frage – welche Aspekte die Wiederkehr der
       Menstruation begünstigen können.
       
       Es bräuchte auch Studien zur Qualität der Gesundheitsversorgung und der
       Unterstützung, die trans* Männer im Zusammenhang mit der Menstruation
       erhalten können.
       
       Wie ist die Qualität der medizinischen Beratung, wie ist die Zugänglichkeit
       von Produkten für die Menstruationshygiene, wie steht es um die Kompetenz
       von Gesundheitsdienstleistern bei diesen Fragen. Genauso wichtig wären
       Studien über die Auswirkung der Menstruation auf die mentale Gesundheit von
       trans* Männern, inklusive Stress, Angst und Depressionen im Zusammenhang
       mit der Menstruation.
       
       ## Der Scham den Kampf ansagen
       
       Warum gibt es diese Studien bisher nicht? Das hat wahrscheinlich mit dem
       sogenannten Gender Health Gap zu tun. Es ist kein Zufall, dass über das
       Thema Erektionsstörung in den vergangenen 35 Jahren fast viermal so viele
       Fachartikel publiziert worden sind wie über Menstruationsschmerzen.
       
       In meiner BVU-Praxis wurde mir die Pille verschrieben – und alternativ die
       Spirale empfohlen. Beides kommt für mich derzeit nicht in Frage. Was bleibt
       mir noch, um nicht mehr das Gefühl haben zu müssen, zwei Wochen im Monat in
       einer beängstigenden Dunkelkammer verbringen zu müssen?
       
       Ich versuche meinen eigenen Weg zu finden. Gerade suche ich nach
       Boxershorts, in die auch Binden gut passen, ohne ständig zu verrutschen.
       Ich habe mir eine App heruntergeladen, um meinen Zyklus zu tracken (die
       gibt es mittlerweile auch immer öfter geschlechtsneutral!), von einem
       Freund wurde mir empfohlen, Mönchspfeffer auszuprobieren, und ich habe auch
       gemerkt, dass es mir hilft, zu entspannenden Yoga-Kursen zu gehen, wenn der
       größte Schmerz vorbei ist.
       
       ## Kampfansage an die Scham!
       
       Die Erkenntnis, dass es keine einfache Lösung gibt, ist schmerzhaft. Neben
       dem Blut, dem [4][Schmerz und der Traurigkeit] ist da auch ganz viel Scham.
       Es beschämt mich, plötzlich wieder Treffen absagen zu müssen, weil ich
       meine Tage habe. Es beschämt mich, meiner Wandergruppe zu sagen, dass ich
       wegen meinen Tagen nicht mit schwimmen gehen kann.
       
       Ich schreibe diesen Text auch, um meiner Scham den Kampf anzusagen! Um
       nicht ganz alleine gegen die Scham kämpfen zu müssen, würde ich mir
       wünschen, dass es uns irgendwann gelingen wird, die Periode nicht mehr zu
       etwas ausschließlich Weiblichem zu machen.
       
       Und den Blick dafür öffnen, dass nicht nur cis Frauen menstruieren können,
       sondern auch trans* Männer und nicht-binäre Menschen.
       
       8 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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