# taz.de -- Meduza-Auswahl 20. – 26. Juni: Selbstzensur gegen Repression
       
       > Russische Zensur nimmt zu, doch Nachwuchsjournalisten schreiben weiter
       > über den Krieg. Wer ist der Anti-Putin-Aktivist Charitonenko? Texte aus
       > dem Exil.
       
 (IMG) Bild: Matrioschka-Puppen mit den Gesichtern von Putin, Lenin, Stalin, Trump und Xi
       
       Das [1][russisch]- und [2][englischsprachige] Portal Meduza zählt zu den
       wichtigsten unabhängigen russischen Medien. [3][Im Januar 2023 wurde Meduza
       in Russland komplett verboten]. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme
       gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März 2023 unter
       [4][taz.de/meduza] immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber
       Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der [5][taz Panter Stiftung]
       gefördert. 
       
       In der Woche vom 20. bis zum 26. Juni 2024 berichtete Meduza unter anderem
       über folgende Themen:
       
       ## Selbstzensur, um Repression zu vermeiden
       
       Seit Beginn des Ukraine-Krieges hat der Kreml sein Vorgehen gegen
       unabhängige Medien und die Zensur im ganzen Land verschärft. Dennoch
       gelingt es einigen russischen Journalismusstudenten, in ihren
       Abschlussarbeiten über den Krieg, die Proteste und die sogenannten
       „ausländischen Agenten“ zu schreiben. [6][Meduza hat eine gekürzte Fassung]
       eines russischsprachigen Berichtes in englischer Übersetzung des Sankt
       Petersburger Magazins [7][Bumaga] veröffentlicht. Sie zeigt, wie die
       Studenten die Themen wählen, wie sie und ihre akademischen Berater mit der
       Zensur umgehen und welche Risiken die Studierenden eingehen, wenn sie ihre
       Arbeiten vor Ausschussmitgliedern verteidigen.
       
       Den Studenten ist es zwar nicht gänzlich verboten, Themen zu wählen, die
       mit der russischen Opposition und den Antikriegs-Narrativen zu tun haben,
       aber sie werden subtil gewarnt, dass dies zu Problemen führen könnte. „Mein
       Freund wollte analysieren, wie politische Persönlichkeiten ihre Konten in
       den sozialen Medien verwalten, und entschied sich zunächst für
       Oppositions-Figuren, aber man riet ihm davon ab“, berichtete ein Absolvent.
       Die meisten entscheiden sich für neutrale Themen.
       
       Im Jahr 2024 können Journalismusstudenten immer noch Veröffentlichungen von
       Medien analysieren, die als „ausländische Agenten“ bezeichnet werden.
       Beispiele: Absolventen berichten, dass es in diesem Jahr immer noch
       Arbeiten gibt, die Material von Meduza, Dozhd (TV Rain) und Bumaga
       zitieren. Jedoch: „ausländische Agenten“ dürfen nicht mehr in den Titeln
       von Diplomarbeiten erwähnt werden. Im Jahr 2023 protestierten Studenten des
       Fachbereichs Journalismus der Sankt Petersburger Universität (SPbGU)
       während ihrer Abschlussfeier für die Journalistin der Nowaja Gaseta, Elena
       Milashina, die kurz zuvor in Tschetschenien schwer misshandelt worden war.
       Einem der Demonstranten wurde später die Zulassung zum Masterstudiengang
       der Hochschule verweigert.
       
       Anti-Putin-Aktivist und seine pro-demokratische Plattform 
       
       Pavel Charitonenko ist seit Langem ein offener Kritiker des Putin-Regimes.
       Seit 2019 hat der Aktivist zahlreiche Demonstrationen und Mahnwachen in
       seiner Heimatstadt Irkutsk, der Hauptstadt der russischen Oblast Irkutsk am
       Abfluss des Baikalsees, organisiert. Sein Ziel: gegen die Korruption der
       Behörden und gegen die Inhaftierung von Oppositionspolitikern in Russland
       zu protestieren. Nach dem Beginn des Ukraine-Krieges im Februar 2022
       entschied er sich, in Russland zu bleiben. Mitte Juni 2024 kündigte der
       38-Jährige seine Kandidatur für die Wahlen zur Stadtduma von Irkutsk an,
       die für September geplant sind. Die in Sibirien ansässige unabhängige
       Zeitung [8][People of Baikal ] sprach mit Charitonenko, [9][Meduza hat das
       Interview auf Englisch veröffentlicht].
       
       „Meine Hauptunterstützer sind demokratisch gesinnte, junge, aktive
       Menschen, die Veränderungen in ihrem Land wollen“, sagte Charitonenko.
       „Aber ich werde versuchen, alle zu mobilisieren, denn auf lokaler Ebene
       stehen wir alle vor den gleichen Problemen, unabhängig von Ideologie und
       politischer Präferenz.“ Falls er im September gewählt wird, verspricht
       Charitonenko, sich für eine Umschichtung der Ausgaben zur Verbesserung der
       lokalen Infrastruktur und zum Ausbau der öffentlichen Dienstleistungen in
       der Region Irkutsk einzusetzen.
       
       Stets hat er Korruption bei den bisherigen Duma-Abgeordneten der Region
       Irkutsk offen kritisiert: „patriotische“ Landschaftsbauprojekte wurden vor
       unterfinanzierten Kindergärten oder überlasteten medizinischen Kliniken
       bevorzugt. Im vergangenen November musste Charitonenko seinen Job als
       Kellner aufgeben, nachdem er in einem Interview mit dem Schweizer Sender
       SRF Putins Regime mit einer „Diktatur“ verglichen hatte.
       
       ## Zwei Soldaten, ein Dorf: Beerdigung und Abschiedsparty
       
       In den fast zweieinhalb Jahren des Ukraine-Krieges sind schätzungsweise
       mehr als 75.000 russische Soldaten auf dem Schlachtfeld gestorben.
       Soldatenbegräbnisse sind in allen Regionen Russlands an der Tagesordnung,
       auch in kleinen Dörfern, in denen viele Einwohner die Einberufung als eine
       relativ schnelle Möglichkeit sehen, Geld zu verdienen, das sie sonst nicht
       hätten. In einem kleinen Dorf in der russischen Republik Tatarstan wurden
       neulich die Spannungen unter der Bevölkerung aufgrund des Krieges
       deutlicher: Die Beerdigung eines lokalen Soldaten fand zur gleichen Zeit
       wie eine Abschiedsfeier für einen neuen Rekruten statt. Die beiden
       Veranstaltungen lagen so dicht beieinander, dass sie fast ineinander
       übergingen. Ein [10][Meduza-Korrespondent besuchte das Dorf und berichtete
       darüber] (englischer Text).
       
       „Er hat so viele Schulden – fast 150.000 Rubel (etwa 1.600 Euro). So viel
       Geld würde er hier nie verdienen können. In den Krieg zu ziehen war seine
       einzige Wahl“, flüsterte eine Frau nah an der Abschiedsfeier. Bei der
       Beerdigung unterhielten sich die Nachbarinnen darüber, wie lange nach der
       Leiche des örtlichen Soldaten gesucht wurde. „Es ist gut, dass sie ihn
       gefunden haben“, sagte eine Frau“, „besser tot gefunden als nie gefunden“.
       Die Familie des verstorbenen Soldaten hatte darum gebeten, die
       Abschiedsfeier etwas weiter vom Friedhof entfernt abzuhalten. Sie bekamen
       jedoch eine Absage, und zwar mit dem Argument, er sei „noch ein lebender
       Soldat“ und müsse „respektiert werden“. Die Mutter des verstorbenen
       Soldaten hatte keine Kraft, weiter zu argumentieren, sie sei „einfach nicht
       in der Lage, für das zu kämpfen, was sie will“.
       
       ## Rechtlosigkeit in den Universitäten der besetzten Gebiete
       
       Im März 2023 wurden 29 Universitäten in den besetzten ukrainischen Gebieten
       in das Eigentum der Russischen Föderation überführt und dem Ministerium für
       Bildung und Wissenschaft der Russischen Föderation sowie den zuständigen
       Bundesbehörden unterstellt. Die große Mehrheit von ihnen setzt heute ihre
       Arbeit fort. Meist auf Kosten des russischen Haushalts studieren
       hunderttausende Studenten an diesen Universitäten, bekommen Diplome nach
       russischem Vorbild und erhalten Zuschüsse aus Moskau für wissenschaftliche
       Forschung. Aber die Regeln des russischen Bildungswesens gelten dort nicht
       in vollem Umfang: So gibt es beispielsweise kein transparentes System der
       staatlichen Auftragsvergabe und kein obligatorisches Staatsexamen für die
       Zulassung.
       
       In einer Studie der unabhängigen russischen Initiative
       [11][T-invariant-Projekt] wurden zum ersten Mal Daten über die Leitung
       dieser Universitäten veröffentlicht. [12][Meduza durfte die Ergebnisse
       veröffentlichen] (russischer Text). Die Informationen wurden Stück für
       Stück anhand von Universitäts-Website, sozialen Netzwerken und sogar aus
       strafrechtlichen Datenbanken der ukrainischen Staatsanwaltschaft
       rekonstruiert. Die überwiegende Mehrheit der russischen Universitäten in
       den besetzten Gebieten sind ukrainische Universitäten, die entweder 2014
       oder bereits 2022 beschlagnahmt wurden.
       
       Es gibt nur fünf Ausnahmen. Dabei handelt es sich um die Staatliche
       Universität Melitopol, die 2022 auf der Grundlage mehrerer ukrainischer
       Universitäten (darunter einer privaten) gegründet wurde, die
       Donbass-Agrarakademie (die 2016 in den Mauern eines privaten
       wirtschaftlichen und humanitären Instituts mit einem eigenen Rektor an der
       Spitze gegründet wurde) und spezialisierte Hochschulen der
       Strafverfolgungsbehörden. Nach Berechnungen der ukrainischen Regierung
       wurden seit 2014 allein aus dem Donbass und der Krim 40.000 Studenten und
       3.500 Lehrkräfte entführt. Fast alle rechtmäßigen ukrainischen Rektoren
       dieser Universitäten weigerten sich, mit den Besatzungsbehörden
       zusammenzuarbeiten. Die einzige Ausnahme ist der Rektor der Staatlichen
       Akademie für Kultur und Kunst in Luhansk, der diese Universität gegründet
       hat und seit 2002 leitet.
       
       27 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [9] https://meduza.io/en/feature/2024/06/26/we-re-prepared-to-defend-our-rights
 (DIR) [10] https://meduza.io/en/feature/2024/06/25/a-tale-of-two-soldiers
 (DIR) [11] https://www.t-invariant.org/
 (DIR) [12] https://meduza.io/feature/2024/06/26/universitety-na-okkupirovannyh-territoriyah-ukrainy-zona-pravovogo-bespredela-na-kotoruyu-tratyat-milliardy-rubley-kto-upravlyaet-etimi-vuzami
       
       ## AUTOREN
       
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 (DIR) Meduza-Auswahl 13. – 19. Juni: Ringtausch für russisches Erdgas
       
       Um Transitstreits zu klären, soll wohl bald russisches Gas an Aserbaidschan
       und dessen Gas nach Europa fließen. Texte aus dem Exil.
       
 (DIR) Meduza-Auswahl 6. – 12. Juni: Zum Kämpfen gezwungen
       
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       verweigern, erst recht an die Front. Texte aus dem Exil.
       
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       Proteste. Texte aus dem Exil.