# taz.de -- Berlin Fashion Week im Juli: Die mageren Jahre sind vorbei
       
       > Am Montag startet die Berliner Fashion Week – sie ist international kaum
       > angesehen. Der Senat versucht, den Standort durch Fördermittel zu
       > stärken.
       
 (IMG) Bild: Nicht wirklich fett: Auf einer Show der Berliner Fashion Week im vergangenen Februar
       
       BERLIN taz | Berlin ist alles Mögliche – „bedeutungslos“ finden es wohl die
       wenigsten. Nur im Mode-Kontext gehen die Hauptstadt und das vernichtende
       Wörtchen Hand in Hand: „Die Big Player sind Mailand, Paris und New York.
       Gerade ist auch Kopenhagen im Kommen“, sagt Kaja Busch, selbstständige
       Modedesignerin und Kostümbildnerin. „Berlin ist als Modeindustriestadt im
       internationalen Vergleich irrelevant.“
       
       Trotzdem strömen ab Montag wieder Tausende Modeschaffende, Scouter*innen,
       Käufer*innen, Presse und Models nach Berlin, denn es ist [1][Fashion Week].
       Eine Woche lang stehen Canapés und Sekt bei Modeschauen, Pop-ups,
       Ausstellungen, Installationen und Konferenzen auf dem Programm. „Auf den
       Messen wird nur Fast Fashion verkauft“, sagt Busch. Die Shows seien
       deutlich kreativer.
       
       Aus künstlerischer Sicht sei die Fashion Week in den letzten Jahren jedoch
       „relativ uninteressant“ gewesen, findet die gebürtige Berlinerin. „Sie
       probiert zu stark, andere Fashion Weeks nachzuahmen und High Fashion zu
       sein, aber das funktioniert nicht.“ Viel interessanter wäre es, die Aspekte
       zu nutzen, die Berlin ausmachten: kulturelle Vielfalt, die Musikkultur, die
       Fähigkeit, „aus nichts etwas zu machen und Spaß zu haben“.
       
       In den Nuller Jahren und bis 2015 sei das der Fall gewesen: „Damals haben
       sich sehr interessante Labels angesiedelt. Niemand hatte eine Ahnung, wie
       man Mode in Berlin gestalten könnte, es gab keine Anleitung dafür, und alle
       haben sich gegenseitig geholfen“, erzählt Busch. Zu dieser Zeit habe Berlin
       als Modestadt auch internationale Aufmerksamkeit erlangt. Dann der Absturz:
       „Der kapitalistische Druck hat den Glow der Avantgarde zerstört.“ Die
       jungen Labels konnten sich nicht mehr finanzieren, Geldgeber überrollten
       die Fashionwelt und nahmen starken Einfluss auf die Designarbeit. Die
       Mercedes Benz Fashion Week habe stark zur Kommerzialisierung und zum Fokus
       auf große Labels beigetragen, so Busch.
       
       Der Autokonzern war seit 2007 Titelsponsor der Berlin Fashion Week, 2022
       kündigte er seinen Rückzug an. Die Pandemie hatte die Branche erschüttert,
       einige Modemessen meldeten Insolvenz an, andere gaben bekannt, nach
       Frankfurt zu ziehen. Während der Senat die Fashion Week bis dahin lediglich
       mit 300.000 bis 450.000 Euro pro Saison unterstützte, kündigten das Land
       Hessen, die Stadt Frankfurt und ihre Messegesellschaft 2021 an, über die
       folgenden drei Jahre 10 Millionen Euro in die Frankfurt Fashion Week zu
       investieren. Um sich davon nicht in den Schatten stellen zu lassen, erhöhte
       Berlin das Budget 2021 auf 3,5 Millionen Euro.
       
       Diese Unterstützung wird dringend benötigt, denn Berlin ist ein hartes
       Pflaster für Mode. „Die Berliner Kundschaft ist sexy, aber arm, die Leute
       haben kein Geld, um Slow Fashion zu kaufen“, sagt Helena Stölting. Die
       Designerin fertigt handgemachte „Slime-Fashion“ aus Überschussmaterialien,
       Resten der Leder-Industrie, Haaren, Zähnen, schleimigen Texturen und
       Farben. Ihre Stücke fangen bei 50 Euro an, erst ab 100 Euro mache es
       wirtschaftlich Sinn, handgemachte Kleidung zu verkaufen, sagt sie. Deutsche
       Kund*innen seien deutlich preissensibler als ausländische.
       
       ## Standortvorteil „arm“
       
       Doch die „Arm, aber sexy“-Hauptstadt bietet auch Standortvorteile. „Berlin
       ist für mich vor allem ein Standort, um günstig zu leben. In einer anderen
       Stadt wäre ich finanziell nicht fähig, ein kleines Label zu haben“, sagt
       Stölting. Weil es vielen in der Branche ähnlich geht, sei Berlin,
       insbesondere Neukölln, ein „toller Standort, um sich mit gleichgesinnten
       Stylisten oder Fotografen zu vernetzen und zu kollaborieren.“
       
       Weil es aber zu wenig Abnehmer*innen gibt, wandern Designer*innen, die
       mehr internationale Aufmerksamkeit erlangen, in andere Städte ab. Gleiches
       gilt für Models: „Ich habe noch nie an der Berliner Fashion Week
       teilgenommen“, sagt ein international tätiges deutsches Model der taz.
       Seinen Namen möchte er in der Zeitung nicht lesen. Sein Begründung: „Hier
       zeigen kaum international relevante Marken, es gibt auch keine jungen
       Designer, die momentan interessant sind.“
       
       Um dem entgegenzuwirken, hat der Senat tief in die Tasche gegriffen und die
       Zusammenarbeit mit dem [2][Fashion Council Germany (FCG)] aufgenommen. Ziel
       des Lobbyvereins der Modebranche ist es, durch verschiedene Initiativen
       deutsches Modedesign als Kultur- und Wirtschaftsgut zu unterstützen. In
       Kooperation mit dem FCG bietet der Senat Programme wie „Berlin
       Contemporary“ an, bei denen sich Designer*innen um eine Förderung von
       25.000 Euro bewerben können, um eine Modeschau zu realisieren.
       
       „Durch den Fashion Council bekommt die Fashion Week wieder Aufwind“, sagt
       Kaja Busch. „Eine Show zu machen, kostet mindestens 10.000 Euro, ohne
       Kollektionskosten. Das können sich viele junge Labels nicht leisten.“
       Helena Stölting betont ebenfalls, dass sich die Fashion Week durch die
       Nachwuchsförderung von „Null auf Hundert entwickelt“ habe. Zunehmend seien
       nun junge Labels vertreten, die der Club- und „Kinky-Szene“ (Fetischszene)
       Berlins entsprächen, etwa Marken wie Namilia, Haderlump, Kitschy Couture
       oder GmbH. „Es ist wichtig und angebracht, dass die Fashion Week so offen
       ist für sexuelle Themen“, meint Stölting.
       
       Diese Offenheit schätzt auch die selbstständige Agentin Elisabeth
       Brandauer. Weil Berlin sich noch in einem „Entwicklungsstadium“ befinde,
       gebe es viel Spielraum für Unkonventionelles. In den letzten Jahren gab es
       Modeschauen in der U5 und der U8, leerstehende Einkaufshallen, Innenhöfe
       und Schulturnhallen wurden in Laufstege verwandelt. „In Mailand, Paris oder
       New York gibt es so etwas schon seit 10 Jahren nicht mehr. Dort ist so viel
       Geld in der Branche, dass alles glänzt und perfekt ist. Die Modeschauen
       sind auf den höchsten technischen Standards, alles ist durchgeplant und
       folgt den Vorschriften“, sagt Brandauer.
       
       ## Wenig Vorschriften zum Körper
       
       Die gebürtige Wienerin hat in Berlin eine Castingagentur gegründet, um
       „unkonventioneller Schönheit eine Plattform zu geben“. Auch in Berlin gebe
       es den Druck, [3][einem heteronormativen Schönheitsideal zu entsprechen],
       doch er sei deutlich geringer als in anderen Modestädten. Diese
       Nonkonformität spiegele sich in den Models wider: „In Berlin herrschen die
       wenigsten Vorschriften hinsichtlich Größe, Gewicht, Tattoos oder
       Piercings.“
       
       Dabei wären einige Vorschriften nicht verkehrt. In Spanien, Italien und
       Israel etwa wurde ein Mindest-BMI (Body-Mass-Index) für Models festgelegt,
       um den Magerwahn einzudämmen. Und Frankreich erließ 2017 ein Gesetz, wonach
       jedes Laufstegmodel ein ärztliches Attest braucht, das einen BMI im Bereich
       des Normalgewichts bestätigt. Wer sich nicht daran hält, muss mit 2 bis 6
       Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von bis zu 75.000 Euro rechnen. Es
       hagelte Kritik von Designer*innen: Sie sahen darin eine Einschränkung der
       künstlerischen Freiheit.
       
       „Das wurde aber nie ernsthaft durchgesetzt“, sagt ein Model, das auf den
       Fashion Weeks in Paris, New York und Mailand läuft, der taz. Auch sie
       möchte nicht namentlich genannt werden. „Das Einzige, was eine Zeit lang
       gemessen wurde, war, dass der Hüftumfang nicht weniger als 88 Zentimeter
       beträgt.“ Das Zynische daran: „Gleichzeitig soll man nicht mehr als eine 88
       haben.“ Das Motto der Agenturen laute „Je dünner, desto besser, es sei denn
       du bist Kylie Jenner.“
       
       Denn die Marken bevorzugten Mager-Models und setzten die Maßstäbe für das
       Körperideal. Durch die kurvigen Körper der einflussreichen Jenners und
       Kardashians waren in den letzten Jahren kurvigere Köper populär geworden,
       auf dem Laufsteg habe sich das jedoch nie widergespiegelt, sagt Kaja Busch.
       „Jetzt geht der Trend wieder in Richtung super skinny“, einem Ideal, das an
       das heroin chic der 90er erinnert.
       
       „Immer noch bilden viel zu wenige Designer*innen aus eigener Motivation
       heraus diverse Körperbilder ab“, kritisiert Busch. „Die Designer*innen
       produzieren für Größe 34/36, auf den Laufstegen gibt es zwei
       Quoten-Plus-Size-Girls, die eine 42 tragen – was gar nicht wirklich Plus
       Size ist.“ Busch räumt ein, dass es eine Verbesserung gegeben habe. Aber
       die sei sehr gering und schleppend: „Es ist schwierig, Licht am Ende des
       Tunnels zu sehen.“
       
       Ähnlich verhielt es sich lange mit der Berlin Fashion Week. Doch es gibt
       Hoffnung. Und wie so oft ist Authentizität der Schlüssel zum Erfolg.
       
       1 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://fashionweek.berlin/berlin-fashion-week.html
 (DIR) [2] https://www.fashion-council-germany.org/
 (DIR) [3] /Forscherin-ueber-Body-Positivity/!5823759
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lilly Schröder
       
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