# taz.de -- Vor Stichwahl in Frankreich: Hoffen auf republikanische Disziplin
       
       > 207 Kandidaten, die für die Stichwahl in Frankreich qualifiziert wären,
       > haben verzichtet. Sie wollen damit einen Sieg der extremen Rechten
       > verhindern.
       
 (IMG) Bild: „Bardella, wir wollen dich nicht“, steht an der Wand, aber das sehen in Frankreich nicht alle so
       
       PARIS taz | Man kann es Solidarität der Demokraten nennen oder auch
       opportunistische Schadenbegrenzung: die Abwehrfront der Linksparteien mit
       Zentrums- und gemäßigten Rechtsparteien gegen [1][die extreme Rechte, die
       von ihnen als tödliche Gefahr für die parlamentarische Demokratie], und
       somit als gemeinsamer Feind, betrachtet und bekämpft wird.
       
       In Frankreich sind solche Wahlabsprachen unter der Bezeichnung
       „republikanische Disziplin“ bekannt. Sie steht vor den Stichwahlen am
       kommenden Sonntag für den Verzicht auf die Teilnahme an der Finalrunde bei
       den Parlamentswahlen.
       
       In dieser Weise hatten 2002 – als bei den Präsidentschaftswahlen mit
       Jean-Marie Le Pen erstmals ein Kandidat des Front National zur Stichwahl
       gegen den Amtsinhaber Jacques Chirac antreten konnte – die Wähler*innen
       der ausgeschiedenen Linken (fast) geschlossen gegen den Rechtsextremisten
       für Chirac gestimmt. Und in derselben Weise 2017 und 2022 für Emmanuel
       Macron gegen Marine Le Pen.
       
       In diesen drei Präzedenzfällen war jeweils die Aussicht eines Siegs der
       extremen Rechten ziemlich gering oder fast gleich null. Und trotzdem fiel
       es den linken Parteiführungen leicht, ihre Wahlempfehlung zugunsten der
       politischen Gegner Chirac und Macron zu geben.
       
       Heute ist der Wahlsieg des Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen
       nicht nur möglich, sondern höchstwahrscheinlich. Noch am Abend der ersten
       Runde am vergangenen Sonntag hatten die linken Parteien des Nouveau Front
       Populaire (Neue Volksfront) [2][ohne zu zögern angekündigt], dass sie ihre
       für die Stichwahlen qualifizierten Kandidaten überall dort zugunsten von
       Macronisten, Konservativen und Zentrumsdemokraten zurückziehen, wo ein
       RN-Kandidat dank der Konkurrenz durch schlechter platzierte linke Gegnern
       gewinnen könnte. In 89 von 91 betroffenen Wahlkreisen hat die Volksfront
       auf die Teilnahme verzichtet.
       
       Die Konservativen von Les Républicains dagegen fühlen sich nicht dazu
       verpflichtet. Für sie gilt eher die Devise „weder extrem rechts noch
       links“, da sie beide Gegner als Extreme offenbar auf dieselbe Stufe
       stellen. Nur in zwei Situationen, wo die Linke klar bessere Chancen hat,
       haben sich LR-Kandidaten zurückgezogen.
       
       ## Macron hofft auf breite nationale Einheit
       
       Präsident Macron hatte sich zum Fiasko, das ihm die vorzeitigen Neuwahlen
       beschert hatten, zunächst nicht geäußert. Und das, obwohl in Frankreich
       immer noch alle wissen wollten, was er mit seiner abrupten Entscheidung,
       nach dem Ergebnis der Europawahlen die Nationalversammlung aufzulösen,
       bezweckt hatte.
       
       Angesichts der Aussicht, dass aufgrund der Ergebnisse am letzten Sonntag
       die extreme Rechte sogar eine absolute Mehrheit erreichen könnte, rang er
       sich dann aber doch zu einer kurzen Erklärung durch. Macron drückte den
       Wunsch aus, [3][dass eine breite nationale Einheit der wirklich
       demokratischen Kräfte der Republik zustande kommen] müsse. Doch wer sollte
       mit wem zusammenkommen? Das konkretisierte der Präsident nicht.
       
       „Von Fall zu Fall“ wollten prominente Macronisten wie der frühere
       Premierminister Édouard Philippe diese Sache regeln. Er selber unterstützt
       in seinem Wahlkreis gegen die RN-Kandidatur einen Kommunisten in der
       Stichwahl. Andere wie der noch amtierende Regierungschef Gabriel Attal
       waren eher dafür, bei den Wahlabsprachen zugunsten von Linken nicht
       zwischen Sozialisten, Kommunisten, Grünen und vor allem La France insoumise
       (LFI) zu unterscheiden.
       
       Vor allem die Vorstellung, eigene Kandidaturen im Interesse der linken
       Partei LFI zurückziehen zu müssen, die von rechts und auch in der
       politischen Mitte sowie von Sozialdemokraten als „linksextrem“ bezeichnet
       wird, bereitete den Macronisten sichtlich Magenkrämpfe. Am Ende haben sie
       sich doch in mehreren Fällen dazu durchgerungen und nur in vier Wahlkreisen
       ihre Kandidaturen aufrechterhalten. Sie hoffen damit, den beim Vormarsch
       der extremen Rechten absehbaren Schaden in Grenzen zu halten.
       
       Dank diesem „disziplinierten“ Verzicht ergeben sich nun nur noch 92 statt
       ursprünglich 299 Dreieckwahlen (mit drei Finalisten) und noch zwei statt
       fünf Vierecke (mit vier Bewerbern). Diese veränderte Wahlgeometrie hat zur
       Folge, [4][dass die Aussichten des RN, eine absolute Mehrheit zu erhalten,
       bedeutend kleiner werden.]
       
       3 Jul 2024
       
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