# taz.de -- T. C. Boyle über Trump: „Hat sich die Schüsse zuzuschreiben“
       
       > T. C. Boyle gilt als einer der wichtigsten Autoren der USA. Ein Gespräch
       > über Faschismus, die Arbeiterklasse und Hoffnung wider alle Hoffnung.
       
 (IMG) Bild: Tom Coraghessan Boyle, geboren 1946 in New York, lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Kalifornien
       
       wochentaz: Mister Boyle, [1][in Pennsylvania verfehlte die Kugel eines
       Attentäters nur ganz knapp den Kopf von Donald Trump]. Viele erwischten
       sich danach bei dem Gedanken: Ach, hätte er doch getroffen. Darf man sich
       Trumps Tod wünschen? 
       
       T. C. Boyle: Ich beantworte das mal sehr politisch: Er hat sich die Schüsse
       in Pennsylvania selbst zuzuschreiben. Die Republikaner sind die Partei der
       Waffennarren. Sie wollen überhaupt keine Kontrollen. Auch die Gesetze, die
       heute automatische Waffen noch beschränken, wollen sie abschaffen. [2][Ich
       habe kürzlich ein Bild von Marjorie Taylor Greene und Lauren Boebert
       gepostet] – zwei unserer noblen Kongressabgeordneten. Sie posieren darauf
       beide mit dem gleichen AR-15-Gewehr, das auch der Schütze benutzt hat. Und
       hat Trump nicht immer wieder zu politischer Gewalt aufgerufen? Und
       versucht, die Regierung zu stürzen, indem er einen Mob auf das Parlament
       losließ? Vielleicht bekommt er jetzt etwas von dem zurück, was er sich
       immer gewünscht hat.
       
       Noch ist Trump nicht zurück an der Macht. Ein Tyrannenmord wäre es nicht
       gewesen. 
       
       Aber wir haben große Angst, dass er zurückkommt. Biden ist einer der besten
       Präsidenten, die wir je hatten. Er hat uns aus dem Desaster geführt, in das
       Trumps erste Amtszeit uns stürzte. Aber er ist sehr alt, und es geht in der
       Debatte nur noch darum, wie er im Fernsehen wahrgenommen wird. Alles, was
       die Menschen sehen, ist ein alter Kerl, der im Fernsehen herumzappelt – und
       auf der anderen Seite den großen amerikanischen Helden. Trump mit seiner
       Faust in der Luft ist jetzt wie John Wayne, den nichts aufhalten kann.
       
       Wirklich? 
       
       Ich hoffe, dass die Wähler ihn aufhalten werden, denn sonst sehen wir einer
       düsteren, faschistischen Zukunft für Amerika entgegen. Glauben Sie
       wirklich, dass der Typ, der versucht hat, die letzte Wahl für nichtig zu
       erklären, eine weitere überhaupt noch zulassen wird? Russische Soldaten
       schreiben Trumps Namen auf die Bomben, die sie über der Ukraine abwerfen.
       Weil sie wollen, dass er wieder an die Macht kommt. Er würde seinem Vorbild
       Putin erlauben, das Land komplett zu zerstören und es in einen Sklavenstaat
       zu verwandeln. Ich kann mir ja viel vorstellen, aber nichts könnte
       beängstigender sein als das, was jetzt gerade passiert.
       
       Wie könnte man Trump noch mit demokratischen Mitteln stoppen? 
       
       Indem ein Teil der Leute, die beim ersten Mal für ihn gestimmt haben, nun
       gegen ihn stimmt. [3][Das Problem dabei ist das amerikanische
       Wahlleute-System, das Electoral College]. Meine Stimme hier in Kalifornien
       mit seinen 39 Millionen Einwohnern ist praktisch bedeutungslos. Die Stimme
       von jemandem in Ohio oder einem der Hinterwäldlerstaaten zählt tausendmal
       mehr als meine Stimme. Diese Staaten haben sehr viel weniger Einwohner,
       können aber überproportional viele Wahlleute entsenden. Die schlechtesten
       Präsidenten, die wir in letzter Zeit hatten – Bush und zuletzt Trump –,
       hatten keine echte Mehrheit. Die Rechten haben die Schwächen der Verfassung
       genutzt und sich den Obersten Gerichtshof zu eigen gemacht. Ich sehe keinen
       Ausweg – es sei denn, es erheben sich alle liberal gesinnten Menschen. Die
       Frauen haben uns bei den Halbzeitwahlen 2022 gerettet. Das war nach der
       Entscheidung des Obersten Gerichts, wonach der Staat darüber bestimmen
       dürfen soll, was eine Frau mit ihrem Körper machen darf.
       
       Nach der Niederlage gegen Biden 2020 dachten wir, Trump sei als Politiker
       erledigt. 
       
       Nach dem Bierkellerputsch von 1923 dachten alle, Adolf Hitler sei erledigt.
       Aber er kam in den dreißiger Jahren zurück und gelangte mit legalen Mitteln
       ins Amt. Das ist genau das, was hier auch passieren könnte.
       
       Was ist schiefgelaufen? 
       
       Trump geht mit Rassismus und Hass hausieren. Die USA haben sich in den
       vergangenen Jahrzehnten radikal verändert. Wir sind nicht länger eine
       überwiegend weiße, christliche Nation. Das ist für die weißen, christlichen
       Nationalisten beunruhigend. Deshalb unterstützen sie – egal, was passiert –
       Trump. Die Evangelikalen stehen hinter ihm. Trotz der Tatsache, dass
       niemand weniger christlich und evangelikal sein könnte als er. Es geht
       ihnen um ihre Agenda, die darin besteht, das Liberale zu zerschlagen, den
       Multikulturalismus zu zerstören und eine Art Apartheidstaat zu errichten,
       wo eine kleine Minderheit rechtsradikaler, bewaffneter Schläger den Rest
       von uns kontrolliert.
       
       Was ist mit den Trump-Wählern, die keine überzeugten Rassisten sind? 
       
       Sie gehen der Propaganda auf den Leim. Das war schon vor Trump so. Die
       Republikaner riefen: Weg mit Obamacare! Aber wenn es die von Obama
       durchgesetzte Krankenversicherung nicht mehr gäbe, wer würde dann zahlen,
       wenn Oma krank wird oder das Kind einen Unfall hatte? Sie wissen nicht, was
       gut für sie ist, und stimmen gegen ihre eigenen Interessen. Trump bietet
       auch eine Menge Show. Auch das kennen wir von faschistischen Regierungen in
       der Geschichte. Nach dem Attentat heißt es jetzt auch noch, dieser Typ sei
       von der Vorsehung bestimmt. Es ist fast wie eine religiöse Bewegung.
       
       Was wäre in der zweiten Amtszeit Trumps anders? 
       
       Beim ersten Mal wollte er wiedergewählt werden. Doch jetzt hat ihm der
       Oberste Gerichtshof praktisch Straffreiheit in Aussicht gestellt. Es gibt
       nichts, wofür er als Präsident zur Rechenschaft gezogen werden kann. Für
       kein Verbrechen, nicht einmal für Mord. Er hat also freie Hand. Und er hat
       aus der ersten Amtszeit gelernt. Damals hatte er noch Menschen in seiner
       Regierung, die an die Demokratie, die Verfassung und die Gesetze glaubten.
       So etwas wird es nicht mehr geben. Das Ziel ist es, die Demokratie zu
       zerstören. Ich habe Nixon gehasst, ich habe Bush gehasst. Weil ihre Politik
       das Gegenteil von meiner ist. Aber wenigstens konnte man ihre
       Präsidentschaft überleben. Dies ist nun ein Griff nach der absoluten Macht.
       
       Welche Fehler haben die Demokraten gemacht? 
       
       Wir Demokraten sind Narren. Wir glauben an Recht und Ordnung. Wir glauben
       an die Verfassung. Wir glauben an die Menschenrechte, die Rechte der
       Frauen, den Schutz der Umwelt, all das alberne Zeug, das nicht zählt.
       Alles, was zählt, sind Gewehre und Springerstiefel. Trump macht keinen Hehl
       daraus, dass er in seinen Reden Naziwendungen nutzt. „Sie vergiften unser
       Blut“, sagte er zum Beispiel über Migranten. Er sagt uns genau, was kommen
       wird: Die Presse wird unterdrückt werden. Alle Leute, die versucht haben,
       ihn für seine Verbrechen zu belangen, sollen verhaftet werden.
       
       Haben Sie Angst? 
       
       Ja, schreckliche Angst.
       
       Auch um Ihre Art zu leben und Ihre Arbeit? 
       
       Wenn diese Wahl vorbei ist, werde ich nicht mehr in der Lage sein,
       Interviews wie dieses zu geben. Es wird sicher eine Weile dauern, bis es so
       weit ist, aber irgendwann wird es so sein.
       
       Auch Trump ist alt. 
       
       Ich bezweifle, dass Trump im Jahr 2028 dann abtreten wird. Er wird
       irgendeinen Grund finden, um als Präsident weiterzumachen. Und er wird ewig
       leben. Ich denke an Garcia Marquez' Roman „Der Herbst des Patriarchen“.
       Garcia Marquez hat das in Kolumbien erlebt, als er dort aufwuchs. In dem
       Roman ist der Diktator schon so lange an der Macht, wie sich der älteste
       dort lebende Mensch überhaupt zurückerinnern kann. Dann stirbt der Diktator
       eines Tages und alle tanzen auf den Straßen. Sie fühlen sich frei. Aber der
       Diktator ist nicht wirklich gestorben. Es war nur sein Doppelgänger. Er hat
       alle beim Tanzen gefilmt, um zu schauen, wer feiert – und lässt sie dann
       alle ins Gefängnis stecken. Und da sind wir jetzt.
       
       Ist Trump auch die Rache der Leute, die sich in den sogenannten
       Fly-Over-Staaten zurückgelassen fühlen? 
       
       Das ist sicher richtig. Wir bewegen uns in einer hochtechnologisierten
       Welt, einer Welt, in der man eine Hochschulausbildung braucht, um was zu
       erreichen. Und das lässt einen großen Teil der Bevölkerung zurück. Sie sind
       wütend darüber. Sie sehen, wie Einwanderer kommen und ihnen Arbeitsplätze
       wegnehmen. Und hier stimme ich übrigens mit den Republikanern überein. Wir
       müssen die Grenzen schließen, wir brauchen legale Wege der Einwanderung.
       
       Das lässt Linke aufhorchen… 
       
       Ich bin der Typ, der 1995 „América“ geschrieben hat – der Roman ist ein
       Schrei nach Mitgefühl für alle Menschen. Und dennoch: Wir sollten keine
       illegale Einwanderung zulassen, weil sie die legale Einwanderung zu einem
       Witz macht. Doch welche Partei kümmert sich um die Arbeiter, welche Partei
       gibt ihnen höhere Löhne, welche Partei gibt ihnen soziale Sicherheit? Es
       sind die Demokraten. Die Arbeiter stimmen mit Trump gegen ihre eigenen
       Interessen.
       
       Sie kommen selbst aus der Arbeiterklasse … 
       
       Ja, und ich habe viel Zeit in der Sierra Nevada in einer Arbeitergemeinde
       verbracht. Ich liebe diese Menschen, sie lieben mich. Aber bei der Politik
       kommen wir nicht zusammen. Alles, was sie kennen, ist Fox News. Sie haben
       nichts anderes. Sie reisen nicht in andere Länder. Sie lesen nichts. Sie
       kennen nur die Propaganda, die ihnen eingetrichtert wird. Wir sind an einem
       Punkt angelangt, an dem es keine Fakten mehr gibt, nur noch Meinungen und
       Propaganda. All diese Faktoren sind ein wahres Hexengebräu für die Zukunft
       unserer Demokratien. Nicht nur der amerikanischen, sondern auch Ihrer. Wenn
       Trump wieder gewählt wird, wird jedes Lebewesen auf der Erde leiden, weil
       die USA sich dann von all den grünen Initiativen Bidens verabschieden
       werden.
       
       Die Klimakrise ist auch Gegenstand ihres Romans „Blue Skies“. 
       
       Der amerikanische Beitrag zur globalen Erwärmung und die
       Umweltverschmutzung werden sich unter Trump locker verdoppeln. Und der
       Oberste Gerichtshof hat auch die Fähigkeit von Bundesbehörden
       eingeschränkt, gegen Umweltverschmutzer vorzugehen. Es wird heißer werden.
       Das Wasser wird stärker verschmutzt werden. All die bedrohten Geschöpfe,
       die wir zu retten versuchen, werden aussterben.
       
       Wenn man jetzt sagt, das Rennen um die Präsidentschaft sei gelaufen, ist
       das nicht eine sich selbst erfüllende Prophezeiung? Es kann doch noch viel
       passieren bis November. 
       
       Eine schwierige Frage für einen Zyniker und Besserwisser wie mich. Ich
       meine, wir reden darüber, was passieren wird, wenn er die Wahl gewinnt.
       Aber ich muss Hoffnung haben. Und etwas, was mir Hoffnung gibt: Die
       Mehrheit der Amerikaner ist gegen Trump. Nur ob das ausreicht, ihn von der
       Macht fernzuhalten?
       
       Auf Seiten der Demokraten werden die Stimmen immer lauter, die fordern,
       Biden gegen einen fitteren Kandidaten auszutauschen. 
       
       Ich hoffe, dass das passieren wird – und dass es bald passiert. Es gibt so
       viele großartige jüngere, energiegeladene Leute, die Trump schlagen
       könnten. Gretchen Whitmer, Gavin Newsom. In letzter Zeit gab es eine Menge
       Überraschungen, vielleicht wird es mal ein paar Überraschungen zu unseren
       Gunsten geben.
       
       20 Jul 2024
       
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