# taz.de -- Künstler protestiert gegen Wohnungsnot: Der Parasit war wieder da
       
       > Zwei Aktionskünstler haben in einer brachliegenden Signa-Baustelle
       > temporäre Räume eingerichtet, um auf Wohnungsnot hinzuweisen. Am Dienstag
       > wurde die Aktion von der Polizei beendet.
       
 (IMG) Bild: 16 wohnliche Quadratmeter von 1.200 Geschossfläche: das temporäre Wohnzimmer von Jakob Wirth im „P1“-Rohbau
       
       BERLIN taz | Am Dienstagmittag werden Jakob Wirth und Arnaud Lemonnier vom
       Hauseigentümer mit Hilfe der Polizei dazu gedrängt, ihr liebevoll
       hergerichtetes Wohnzimmer abzubauen. Enttäuscht tragen sie Sofa, Stühle,
       Teppiche, Bilder und Kaffeetassen vier Stockwerke hinunter auf die Passauer
       Straße, gegenüber dem KaDeWe.
       
       Das Wohnzimmer war Teil einer politisch-künstlerischen Intervention – fünf
       Tage dauerte sie bis zur Räumung. Am Freitag hatte Jakob Wirth im Rahmen
       von „Speculating on the Void“ seinen Hausstand in die ruhende Baustelle des
       Projekts „P1“ des [1][insolventen Signa-Konzerns verlegt]. Ohne
       Genehmigung, versteht sich. Ziel war es, auf Leerstand aufmerksam zu machen
       und „die Nutzbarkeit der Signa-Spekulations-Pleite auf ihren Gebrauchswert
       hin zu testen“.
       
       Rückblende: Am Montag, bei einem Besuch der taz, bahnt Wirth sich gekonnt
       den Weg durch die Baustelle. „Wenn jemand fragt, sind wir die Inspektoren“,
       flüstert der mit Signa-Bauhelm und oranger Warnweste ausgerüstete
       Aktionskünstler. Vorsichtig späht er um jede Ecke, schließt eigens
       eingebaute Türen auf und führt durch ein dunkles Treppenhaus. Dann
       verkündet er feierlich: „Willkommen bei Parasite Real Estate!“
       
       Die 4. Etage des Rohbaus ist eine 1.200 Quadratmeter große Betonwüste.
       Mittendrin eine kleine Oase: 16 Quadratmeter violett bemalter Fläche mit
       einem Sofa, zwei Stühlen, einem pinken Teppich, Schreib- und Nachttisch,
       Büchern und einem Kleiderschrank – Wirths „Wohnzimmer“.
       
       ## Eine kleine Oase in einer Betonwüste
       
       „In der Aktion geht es uns um die Frage, wie aus spekulativem Wert sozialer
       Wert entstehen kann“, erklärt Wirth. Diese Nische fülle seine fiktive
       Immobilienfirma Parasite Real Estate. „Hier ist die Spekulation
       gescheitert, der Spekulationswert ist verloren. Jetzt kommen wir mit dem
       Gebrauchswert ins Spiel“, sagt er und grinst.
       
       Das „erste Immobilienbüro in Berlin, das sich ausschließlich auf
       leerstehende Immobilien konzentriert“, rief Wirth im letzten Herbst ins
       Leben, zusammen mit seinem „Manager“ Arnaud Lemonnier. Auch der zog in die
       Baustelle ein, um das Projekt zu „überwachen“. Im dunkelblauen Anzug sitzt
       er am Montag am anderen Ende der leeren Geschossfläche. In seinem „Büro“,
       einer weiß bemalten Fläche, steht sein Laptop auf einem Holztisch. An der
       Wand hängt ein Heiligenbild.
       
       „Wir irritieren durch Imitation derselben Logik“, erklärt Wirth. Die Aktion
       zielt ab auf die insolvente Immobilienfirma Signa des österreichischen
       Immobilienunternehmers René Benko. Die wollte auf dem Areal „excellent
       offices & retail spaces for rent“ errichten. So steht es noch auf einem
       Banner am Bauzaun. Und: „The sky is no limit“.
       
       Auf dem Grundstück waren laut Signa neben dem Sockelgebäude ein
       Minihochhaus mit 17.000 Quadratmetern Bürofläche und eine Tiefgarage mit
       über 500 Parkplätzen geplant. Seit einem halben Jahr liegt die Baustelle
       brach. Aktuell läuft in Wien ein Insolvenzverfahren gegen die Signa-Holding
       und mehrere ihrer Töchter. „Solche Verfahren können dauern. Was mit der
       Baustelle passiert, ist unklar“, sagt Lemonnier. „Wenn sie noch länger
       stillsteht und alles rostet, wird vielleicht alles abgerissen.“ Eine
       umwelt- und wohnungspolitische Katastrophe in einer Stadt, in der sich
       immer mehr Menschen ihre Miete nicht leisten können und obdachlose Menschen
       in der Kälte hausen.
       
       ## Der Parasit ist ein wiederkehrendes Element des Künstlers
       
       „Das Problem der stillliegenden Baustellen verschärft sich in Berlin“, sagt
       Wirth. Grund dafür sei Fehlspekulation, aber auch gestiegene Zinsen, die zu
       Insolvenzen führten. Auch abseits der Baustellen nimmt spekulativer
       Leerstand zu. Verursacher sind häufig große Immobilienkonzerne wie Signa.
       
       [2][Mit ihrer Aktion wollten die Aktivisten den plakativen Gegenentwurf
       einer Stadt- und Wohnungspolitik zeichnen], die die Bedürfnisse der
       Bürger*innen erfüllt. „Diese Form der künstlerischen Praxis außerhalb
       des White Cube ist die Basis demokratischer Partizipation“, sagt Lemonnier.
       An dem Experiment sollten daher auch interessierte Berliner*innen
       teilnehmen können. Mit einem „Call for Users“ hatten sie das
       Experimentierfeld für alle geöffnet. Menschen mit Nutzungsideen sollten bis
       zu 100 Quadratmeter für je 24 Stunden nutzen können. „Hier können sie
       eröffnen, was sie wollen“, so Wirth am Montag – ein Friseurstudio oder ein
       Atelier.
       
       Es war nicht die erste Aktion des Künstlers, die die Privatisierung von
       öffentlichem Raum sowie die Skrupellosigkeit der Immobilienbranche
       thematisiert. Über dem Sofa des temporären Wohnzimmers hing das Foto einer
       früheren Intervention, dem „Penthaus à la Parasit“: Dabei baute Wirth 2019
       auf ein Neuköllner Dach ein winziges Haus, das er bewohnte, um auf das
       Eigentumsproblem auf dem Wohnungsmarkt aufmerksam zu machen. [3][Andere
       Aktionen umfassten Parkraumbesetzungen wie „Parasite Parking“].
       
       Der Parasit ist ein wiederkehrendes Element des Künstlers. „Er stört“,
       erklärt Wirth, „sucht aber nicht die direkte Konfrontation mit dem Wirt,
       weil er weiß, dass er unterlegen ist. Er nutzt nur die Ressourcen, die sein
       Wirt ihm gibt.“ Das ästhetische Moment liege „in der Störung selbst“. Mit
       Erfolg: Immer wieder spähten Menschen irritiert von der KaDeWe-Terrasse in
       sein violettes Wohnzimmer.
       
       Irritiert waren auch Polizei, Eigentümer und Security. Die Haltung der
       Autoritäten sei ambivalent gewesen, erzählt Wirth. „Wenn es um
       Eigentumsrechte geht, gelangen Menschen häufig in einen inneren Konflikt:
       Persönlich verstehen sie unsere Aktion und sympathisieren mit dem Inhalt,
       aber nicht in ihrer Funktion.“ Der Eigentümer droht nun mit einer Klage
       wegen Hausfriedensbruch. Wirth beunruhigt das nicht: „Das Gerichtsverfahren
       kann eine politische Bühne für das Problem des Leerstands sein.“ Und: „Der
       Wirt kann die Nische schließen, aber nicht den Parasiten vernichten. Er
       sucht sich eine neue Nische und einen neuen Wirt“.
       
       23 Jul 2024
       
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