# taz.de -- AKW Saporischschja: „Die Gefahren nehmen zu“
       
       > Zwei Jahre nach dem russischen Überfall auf das ukrainische Atomkraftwerk
       > nennt Bürgermeister Orlow die Lage dort kritisch. Den Besatzern macht er
       > Vorwürfe.
       
 (IMG) Bild: Ein gepanzertes Fahrzeug verlässt das Gelände des Saporischschja-Kernkraftwerks
       
       taz: Herr Orlow, an diesem Sonntag, dem 3. März, jährt sich der russische
       Überfall auf das Atomkraftwerk Saporischschja im südukrainischen Städtchen
       Enerhodar zum zweiten Mal. Sie sind Bürgermeister des Ortes, mussten aber
       wegen der Besatzung [1][ins benachbarte Saporischschja] fliehen: Wie ist
       die Lage in Enerhodar heute? 
       
       Dmitro Orlow: Aktuell erhöhen die Besatzer den Druck auf die einheimische
       Bevölkerung. Es sind nur noch wenige, die zurückgeblieben sind und sich
       nach wie vor weigern, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Und
       diese wenigen sind einem ständigen Druck der Besatzer ausgesetzt. Sie
       verhalten sich möglichst still, tun alles, um nicht aufzufallen. Sie gehen
       nur im Notfall auf die Straße, weil sie wissen, dass sie bei
       Straßenkontrollen Probleme bekommen können. 80 Prozent der Bewohner von
       Enerhodar wohnen nicht mehr hier. Einfach deswegen, weil sie nicht mit den
       Besatzern zusammenleben wollen. Zurückgeblieben sind vor allem ältere
       Menschen, aber auch jüngere Menschen, die die Besatzer nicht gehen lassen
       wollen. Einige von ihnen wurden gefoltert.
       
       Was passiert, wenn sich jemand weigert, die russische Staatsbürgerschaft
       anzunehmen? 
       
       Es ist sehr schwer, in Enerhodar ohne russischen Pass zu leben. Viele haben
       2023 die russische Staatsbürgerschaft angenommen. Aber sie sind faktisch
       dazu gezwungen worden. Sie hatten aus Angst um ihre Gesundheit und ihr
       Leben so gehandelt. Was willst du machen, wenn dich die Besatzer in deiner
       Wohnung aufsuchen, bewaffnet, und dir sagen, dass du Probleme bekommen
       wirst, wenn du bis morgen noch keinen russischen Pass beantragt hast? Das
       sind keine leeren Drohungen. Manch einer dort ist entführt worden. Dutzende
       sind aktuell in Haft, teilweise schon ein halbes Jahr, wo sie gefoltert
       werden. Das sind gewöhnliche Menschen. Sie wollen einfach keinen russischen
       Pass. Irgendwann hat man sie auf der Straße angehalten und mitgenommen.
       
       Wie ist es um die Versorgung in Enerhodar bestellt? 
       
       Es gibt Strom, Heizung, fließendes Wasser, wenn auch nicht ständig. Dass
       die Versorgung mehr oder weniger klappt, liegt auch daran, dass viele
       Dieselgeneratoren im Einsatz sind.
       
       Und wie sieht es jetzt aus in Enerhodar? 
       
       Die meisten Wohnungen sind leer. Oftmals sehen Verwandte oder Freunde in
       den leeren Wohnungen nach dem Rechten. Aber es gibt auch Menschen, die nach
       Enerhodar ziehen. Das sind zum einen Bewohner von ebenfalls besetzten
       Nachbarortschaften, die davon ausgehen, dass auf Enerhodar wegen des AKW
       nicht geschossen wird. Da fühlen sie sich sicher vor Beschuss und führen
       gleichzeitig ein relativ komfortables Leben. Es kommen aber auch Menschen
       aus Russland.
       
       Mit welcher Absicht? 
       
       Das sind in der Regel Menschen, die auf der Suche nach Arbeit sind. Diesen
       haben die Besatzer gewisse soziale Garantien gegeben. Eine davon ist, dass
       sie eine Wohnung erhalten. Ich frage mich allerdings schon, ob diesen
       Menschen klar ist, dass sie in Wohnungen von anderen Menschen leben, sie
       also faktisch anderen ihre Wohnung wegnehmen. Die wohnen da nicht nur, sie
       haben Türen aufgebrochen, nehmen mit, was sie gebrauchen können. Und so was
       heißt dann Sozialprogramm.
       
       Wie sieht es im AKW aus? 
       
       Seit Anfang Februar verbieten die Besatzer allen Mitarbeitern des AKW, die
       sich weigern, einen Arbeitsvertrag mit der russischen Rosatom zu
       unterzeichnen, den Zutritt. Wir haben also zwischen 120 und 180
       hochqualifizierte Fachleute, die zwar in Enerhodar geblieben sind, aber das
       AKW nicht betreten dürfen. Diese Leute kann man nicht einfach durch andere
       ersetzen. Andere hoch qualifizierte Fachkräfte leben schon nicht mehr hier.
       Dieser Fachkräftemangel wirkt sich natürlich auf die Sicherheit des AKW
       aus.
       
       Wie ist es um diese bestellt? 
       
       Ich muss leider feststellen, dass die Situation im AKW kritisch ist. Das
       sieht man auch bei dem ukrainischen Betreiber Energoatom und der
       ukrainischen staatlichen Regulierungsbehörde so. Neben dem Fachkräftemangel
       kommt ein weiteres Problem hinzu: Man weiß nicht, was man mit dem nuklearen
       Brennstoff in den Reaktoren machen soll. Dieser hat zum großen Teil schon
       seine Laufzeit überschritten. Das ist übrigens ein Problem, das es früher
       nie gegeben hatte. Im AKW müssten qualitativ hochwertige und komplette
       Reparaturarbeiten vorgenommen werden. Doch das wird seit zwei Jahren nicht
       geleistet. Darunter leiden natürlich Geräte und Ausrüstung.
       
       Welche Risiken sehen Sie noch? 
       
       Hinzu kommt, dass sich auf dem Gelände viele Militärpersonen aufhalten.
       [2][Dort werden Waffen, auch schwere Waffen, in einer Pufferzone gelagert].
       Und: Seit zwei Jahren produziert dieses AKW keine Energie mehr. Inzwischen
       ist dort zwar auch Personal aus russischen Atomkraftwerken beschäftigt.
       Aber die kennen dieses spezielle AKW nicht. Sie müssten also eine intensive
       Schulung durchlaufen. Aber so etwas können die Besatzer nicht leisten.
       
       Es gibt dort aber doch ein Schulungszentrum? 
       
       Das Schulungszentrum wurde damals direkt beim Überfall weitgehend zerstört.
       Und die am Schulungszentrum tätigen Lehrkräfte leben nicht mehr in
       Enerhodar. Kurzum: Die Gefahren nehmen zu.
       
       Was haben die Besatzer mit Ihrer Stadt gemacht? 
       
       Das Einzige, was sie geschafft haben, war, die Stadt zu entvölkern, das AKW
       wichtiger Arbeitskräfte zu berauben und den Staudamm zu entleeren. Noch ist
       die Lage in den Kühlbecken weitgehend stabil. Aber wie soll man diese
       Kühlbecken wieder auffüllen, jetzt, wo der Staudamm nicht mehr da ist?
       
       Soll das AKW eines Tages wieder in Betrieb gehen? 
       
       Technisch wird es sehr schwer sein, Europas größtes AKW wieder zum Laufen
       zu bringen. Möglich ist das erst, wenn man das AKW [3][von den Besatzern
       befreit hat]. Man muss die gesamte Ausrüstung ausführlich untersuchen. Man
       muss auch die inzwischen abgelaufenen Betriebsgenehmigungen erneuern – mit
       all den damit einhergehenden technischen Herausforderungen. Doch sobald das
       Gebiet dort befreit ist, werden sich unsere Techniker an diese Aufgaben
       machen. Wir glauben daran, dass wir das schaffen werden.
       
       1 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Krieg-in-der-Ukraine/!5994374
 (DIR) [2] /Krieg-in-der-Ukraine/!5986786
 (DIR) [3] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Clasen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) AKW
 (DIR) Ukraine
 (DIR) Atomkraftwerk
 (DIR) Besatzung
 (DIR) GNS
 (DIR) Schwerpunkt Zwei Jahre Krieg in der Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Energiekrise 
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Zwei Jahre Krieg in der Ukraine
 (DIR) G20
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Republik Moldau
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Krieg in der Ukraine: Brand im AKW Saporischschja
       
       Trotz Feuer im AKW Saporischschja ist die nukleare Sicherheit laut
       Atomenergie-Behörde nicht gefährdet. Doch das besetzte AKW ist eine
       Blackbox.
       
 (DIR) Bürgermeister über AKW in Saporischschja: „Das sind keine Fachkräfte“
       
       Das ukrainische AKW werde seit der russischen Besatzung nicht gut betreut,
       warnt Bürgermeister Orlow. Die Versorgung der Menschen sei schlecht.
       
 (DIR) Hype um Mini-Atomkraftwerke: Die Nuklearlobby freut sich
       
       „Small Modular Reactors“ sind noch lange nicht marktreif und kommen für die
       Klimakrise zu spät. Doch sie sind eine perfekte Projektionsfläche für die
       Nuklearlobby.
       
 (DIR) 13 Jahre nach Tsunami und Super-GAU: Mysterium im Inneren des Reaktors
       
       Im Jahr 2011 kam es in Fukushima zur Kernschmelze. Mit dem strahlenden
       Material wird Japan noch Jahrzehnte umgehen und leben müssen.
       
 (DIR) Russische Besetzung von Saporischschja: Labile Lage im Atomkraftwerk
       
       Die Internationale Atomenergiebehörde fordert den Abzug der russischen
       Truppen aus dem ukrainischen AKW. Die Sicherheitslage sei
       besorgniserregend.
       
 (DIR) +++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Scholz begründet Taurus-Nein
       
       Kanzler Scholz will weiter keine Marschflugkörper liefern: Deutschland
       könne sich nicht an deren Einsatz beteilligen. Andere Länder anscheinend
       schon.
       
 (DIR) Haltung zu Kriegen in Ukraine und Gaza: G20-Finanzminister bleiben uneinig
       
       Eigentlich sollte es um Wirtschaft gehen. Beschlüsse bei einem G20-Treffen
       in Brasilien scheiterten aber am Streit über internationale Konflikte.
       
 (DIR) Hofreiter über Scholz’ Ukraine-Politik: „Eine schwere Fehleinschätzung“
       
       Grünen-Militärexperte Anton Hofreiter kritisiert, Olaf Scholz sei zu
       nachsichtig gegenüber Russland. Deutschland müsse der Ukraine das
       Taurus-System liefern.
       
 (DIR) Abtrünnige Region Transnistrien: Russland soll helfen
       
       Wegen einer Wirtschaftsblockade durch die Republik Moldau hat die Region
       Transnistrien Russland um Schutz gebeten.
       
 (DIR) Krieg in der Ukraine: „Wir helfen dem Staat, nicht er uns“
       
       Tausende Menschen in der südukrainischen Stadt Saporischja sind auf das
       Rote Kreuz angewiesen. Denn dessen Mitarbeiter reparieren selbst
       Wasserleitungen.