# taz.de -- Adam Tooze über den Banken-Crash: „Gleichzeitig lebendig und tot“
       
       > Die Bankenpolitik steckt im permanenten Krisenmanagement, sagt Ökonom
       > Adam Tooze. Doch eine labile Wirtschaft sei nicht zwangsläufig
       > krisenhaft.
       
 (IMG) Bild: Washington 2023: Ein Aktivist zerschneidet eine Kreditkarte unter dem Motto „Stop Dirty Banks“
       
       taz: Herr Tooze, der Ursprung der [1][internationalen Bankenkrise] ist die
       Silicon Valley Bank (SVB) in Kalifornien. Sie hatte zu viele Staatsanleihen
       gekauft, die sie mit großen Verlusten abstoßen musste. Eigentlich hatte die
       Bank sich mit dem Vorgehen absichern wollen. Zu viel Sicherheit anstreben –
       das ist kein ungewöhnlicher Grund für einen Bankencrash, oder? 
       
       Adam Tooze: Ja, dieser Krisenbeginn hat etwas Ironisches. Weil die Fed, die
       US-Notenbank, die Zinsen schnell erhöht hat, verloren diese Anleihen an
       Wert. Das zeigt: Im internationalen Finanzsystem existiert kein Ort
       ultimativer Sicherheit.
       
       Ist der [2][Crash der Silicon Valley Bank] das Ergebnis eines
       handwerklichen Fehlers – oder ein systemischer Effekt? 
       
       Ein handwerklicher Fehler. Die SVB hat 2021 für 100 Milliarden Dollar
       Staatsanleihen gekauft. Das einzige Risiko dabei war: Die Zinsen können
       steigen. Und dieses Risiko ist umso größer, je länger die Anlagen laufen.
       Die Bank hat für zig Milliarden zehnjährige Anleihen gekauft – und zwar
       ohne Rückversicherung. Das war fahrlässig.
       
       Also einfach dumm gelaufen? 
       
       Ja, aber es war ein kollektives Versagen. Dass die Bankenaufsicht nichts
       getan hat, ist schwer fassbar. 97 Prozent der Kunden der Bank waren Firmen
       ohne Depositenversicherung. Netflix lagerte Milliarden unverzinst bei der
       Bank. All diese Firmen haben Chief Financial Officers, die eigentlich jeden
       noch so kleinen Zinsgewinn herausholen. Dass all diese Firmen Milliarden
       bei der SVB auf Halde hatten, ist rational schwer verständlich. Die Leute
       sind ja nicht dumm. Sie waren nur auf anderes konzentriert, das mehr
       zählte.
       
       Nämlich? 
       
       Das Netzwerk rund um diese Bank. SVB war das Insider-Institut des Silicon
       Valley. Führend waren die mächtigen Venture-Capital-Firmen, die mit SVB
       verklüngelt waren.
       
       Trägt die [3][rasante Zinserhöhung der Fed] eine Mitschuld? 
       
       Die Zinserhöhungen haben Druck auf die Wertpapierportefeuilles ausgeübt.
       Aber die Fed hat getan, was eine Zentralbank angesichts dieser
       Inflationsrate eben tut. Nicht zu reagieren, war ausgeschlossen. Die
       festverzinslichen Märkte erleiden dabei einen Schaden. Sie reagieren aber
       auch sensibel, wenn nicht der Zins, sondern die Inflation steigt. Das ist
       immer eine Gratwanderung.
       
       Also ein Kollateralschaden? 
       
       Der Sinn und Zweck der Zinserhöhungen ist es, die Konjunktur zu bremsen und
       damit die Inflation. Die US-Wirtschaft läuft immer noch auf Hochtouren. Da
       kommt eine Krise nicht unbedingt ungelegen. Sie entschleunigt die
       Wirtschaft in Kalifornien ja ziemlich schnell. Das heißt nicht, dass diese
       Krise beabsichtigt war. Sie trifft sehr einflussreiche Leute, ein zentrales
       innovatives Zentrum nicht nur der US-Wirtschaft, sondern der globalen
       Ökonomie. Dieses Zentrum lahmzulegen ist bestimmt nicht im Interesse einer
       sogenannten weichen Landung.
       
       Die Fed hat die [4][Zinsen jetzt nochmals erhöht]. Ist das klug? 
       
       Nur minimal, um 25 Basispunkte. Das ist nicht ausschlaggebend. Es zeigt die
       Richtung an. Die Fed marschiert im Schulterschluss mit dem EZB.
       
       Nun stehen noch mehr US-Regionalbanken auf der Kippe. Ist das noch ein
       Einzelfall oder schon eine systemische Krise? 
       
       Das ist so wie bei dem berühmtem [5][Experiment Schrödingers Katze]. Es
       gibt Zustände, die nicht unterscheidbar sind. Die Katze ist in diesem
       Experiment gleichzeitig lebendig und tot. Wir haben es hier analog mit
       einem Einzelfall und mit strukturellen Problemen der US-Wirtschaft zu tun,
       die fatal sein können. Es kann einen Impuls geben, der zum Kipppunkt wird.
       In den Bilanzen US-amerikanischer Banken gibt es über 600 Milliarden Dollar
       an nicht realisierten Verlusten. Das ist viel, muss aber nicht fatal sein.
       Entscheidend ist, ob ein Impuls die Banken zwingt, diese Verluste zu
       realisieren. Dann wäre ein Bank Run kaum zu vermeiden.
       
       Um noch einen Bankcrash zu verhindern, können US-Banken, die in die
       Bredouille kommen, nun Staatsanleihen bei der US-Zentralbank ohne Verluste
       gegen Geld tauschen. Ist das richtig? 
       
       Das ist ein außergewöhnliche Mittel. Damit wird faktisch der wichtigste
       Finanzmarkt der Welt, der Markt für US-Staatsanleihen, radikal manipuliert.
       Das zeigt abermals: Es gibt in diesem System nichts Heiles, Sicheres. Es
       gibt derzeit keinen Ort der Unschuld. Sich da Illusionen zu machen, kann
       äußerst gefährlich sein. Man muss versuchen, mit dieser unsicheren Realität
       umzugehen.
       
       Dass die Zentralbank faktisch die Anleihenverluste abpuffert, ist ein sehr
       pragmatisches Vorgehen gegen die Krise … 
       
       Ja, und es ist richtig. Aber es hat einen Preis: Extrem risikoreiches,
       fahrlässiges Verhalten wird nicht bestraft. Alle anderen Banken in den USA
       müssen diese Fehlbeträge decken. Faktisch werden die Kunden von
       irgendwelchen kleinen Banken in Oklahoma für diese Ausfälle aufkommen. Das
       ist das Gebot des Pragmatismus. Aber es stellt die Legitimation der
       Geldordnung infrage.
       
       Eine Konsequenz der [6][Bankenkrise 2008] war es, die Eigenkapitalquote der
       Banken zu erhöhen. Sie sollten damit widerstandsfähiger werden – und
       weniger Anreize haben, zu hohe Risiken einzugehen. Jetzt ist in der Schweiz
       die [7][Crédit Suisse kollabiert], die eine sehr hohe Eigenkapitalquote von
       14 Prozent hatte. War die Schlussfolgerung aus der letzten Bankenkrise
       falsch? 
       
       Nein, das greift zu kurz. Die SVB war so verletzlich, weil sie eine sehr
       niedrige Eigenkapitalquote hatte. Der Zusammenbruch der Crédit Suisse ist
       ein besonderer Fall. Die Bank bedient in der Vermögensverwaltung vor allem
       große Kunden. Im letzten Quartal 2022 haben diese Kunden 100 Milliarden
       Euro abgezogen, 2023 womöglich noch mehr. Gegen einen solchen
       Vertrauensverlust hilft auch keine Eigenkapitalquote von 20 Prozent. Sie
       kann auch dann keinen Bank Run überstehen.
       
       Nach der Fusion mit der UBS hat die neue Bank, die die NZZ „ein Monster“
       nennt, jetzt eine Bilanzsumme von 1,7 Billionen Dollar. Das ist doppelt so
       viel wie das Bruttoinlandsprodukt der Schweiz. Ist das vertretbar? 
       
       Die Schweizer haben das ganze Regelwerk über den Haufen geworfen. Diese
       neue Bank ist für die Schweiz von überwältigenden Größe. Hinzu kommt, dass
       die Nationalbank absolut aberwitzige Mengen an ausländischen Währungen
       angehäuft hat, um den Kurs des Schweizer Franken zu drücken. Die Schweiz
       ist eine vollends manipulierte Volkswirtschaft mit enormen Risiken.
       
       Wäre eine Verstaatlichung der Crédit Suisse die bessere Alternative
       gewesen? 
       
       Nicht unbedingt. Eine Verstaatlichung wäre nur sinnvoll gewesen, wenn man
       annimmt, dass man bei der Restrukturierung für Teile der Bank andere Käufer
       findet und dabei unter dem Strich die Steuerzahler besser wegkämen. Schwer
       zu sagen, ob das möglich gewesen wäre.
       
       Diese Fusion von Credit Suisse und UBS macht den Eindruck, dass man hier
       Feuer mit Öl löscht … 
       
       Aber mit Schweröl. Schweröl ist im Prinzip brennbar, man muss sich aber
       Mühe geben. Das ist ein Unterschied zu 2008. Da hat man zum Teil Benzin in
       das Feuer gekippt.
       
       Welche politische Schlussfolgerung sollten wir aus dieser Krise ziehen?
       Brauchen wir eine echte Trennung zwischen Banken, die Geld verleihen, und
       Hochrisiko-Investmentbanken? Und ist das durchsetzbar? 
       
       Diese Bereich zu trennen, wäre absolut sinnvoll und würde die
       Ansteckungsgefahren in Krisen reduzieren. Es gab genau diese Forderung auch
       schon nach der Krise 2008, aber die Widerstandskräfte gegen diese radikale
       Trennung waren in der Branche zu groß. Ich fürchte, dass das heute nicht
       anders ist. Also, sinnvoll – ja. Realistisch – nein.
       
       Wenn keine Reform möglich ist, die verhindert, dass aus Einzelfällen
       systemische Krisen werden: Ist das globale Finanzsystem dann einfach zu
       komplex, um nicht störanfällig zu sein? Und wir müssen uns einfach daran
       gewöhnen? 
       
       Ich bin da skeptisch. Komplexität ist ein Problem. Aber diese Krise ist
       bislang nicht komplex, sondern banal. Jeder Absolvent eines Bankstudiums
       hätte erkannt, dass die Silicon Valley Bank eine haltlose Strategie hatte.
       Die Aufsichtsbehörden haben einfach versagt.
       
       Also mehr Kontrolle? 
       
       Ja, und noch etwas anderes. Wir brauchen einen Sinneswandel. Es gibt immer
       noch das Denken, dass nach der Krise 2008 nun wieder alles normal geworden
       sei. Das ist naiv. Wir stecken in einem permanenten Krisenmanagement. Wir
       brauchen das Bewusstsein eines permanenten Stresstests, in dem ständig
       hypothetisch nach den Risiken gefragt wird. Wir müssen uns
       Normalitätsdenken grundsätzlich abgewöhnen
       
       Also: Es gibt keine Normalität. Die Krise ist die Normalität? 
       
       Diese Labilität bedeutet nicht, dass immer und ständig Krise ist. Mir fällt
       dazu nur ein Bild ein: Jemand, der mit mehreren Koffern, Einkaufstaschen
       und zwei Kindern beladen Fahrrad fährt. Das kann gut gehen. Und wenn, dann
       ist das eine supereffiziente Art sich fortzubewegen. Aber es klappt nur,
       wenn man extrem aufpasst. Und es gibt Szenarien, die man bereuen könnte.
       
       Kanzler Scholz sagt, dass für das deutsche Bankensystem keine Gefahr
       besteht. Das muss er sagen, um Vertrauen zu signalisieren. Aber hat er
       damit auch recht? 
       
       Ja. Viele deutsche Banken hatten nach der Krise 2008 massive Probleme. Auch
       die Deutsche Bank spielt global nicht mehr die Rolle, die sie hatte. Und
       sie scheint im Moment auch nicht mehr so gefährdet zu sein wie damals.
       
       29 Mar 2023
       
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