# taz.de -- Adversarial Fashion: Überwachung und Mode
       
       > In der Kunst entsteht eine neue Avantgarde, die versucht,
       > Überwachungssysteme mit subversivem Camouflage-Look auszutricksen.
       
 (IMG) Bild: Adam Harveys „Stealth Wear“ bei einer Präsentation 2013 in London
       
       Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendein neues smartes Gadget auf
       den Markt kommt. Im Oktober erst präsentierte der kalifornische
       Textilhersteller Levi’s eine smarte Jeansjacke, die in Kooperation mit
       Google entwickelt wurde. In das Kleidungsstück sind elektrisch leitende
       Fasern eingewoben, die auf Touch-Eingaben wie ein Smartphone-Display
       reagieren. Über eine am Ärmel befestigte Sensorfläche werden
       Wischbewegungen oder Berührungen erkannt und damit Befehle an das
       Smartphone weitergeleitet. Der Träger der Jacke kann so Musiktitel wechseln
       sowie Telefonate annehmen oder ablehnen. Das Textil ist zudem mit einer
       Kamera ausgestattet, die sich per Gestensteuerung bedienen lässt.
       
       Bereits 2017 haben Levi’s und Google eine smarte Jacke auf den Markt
       gebracht. Richtig durchsetzen konnte sich das Textil aber nicht. Auch die
       smarten Hoodies, Jeans und Baseball-Caps, die der Modekonzern Tommy
       Hilfiger im vergangenen Jahr vorstellte („Tommy Jeans Xplore“) und bei
       denen ein Mikrochip die Bewegungen des Trägers erfassen sollte, floppten.
       
       Wer möchte schon kontrollieren lassen, wie oft er ein Kleidungsstück trägt?
       Und wer ist bereit, 200 Dollar für eine Jeansjacke auszugeben, bei der man
       Überwachung auf der Haut trägt? Hier scheint doch, bei allem
       Erkundungseifer, mit dem man sich verkappte Abhörgeräte wie Amazon Echo ins
       Wohnzimmer stellt, eine sogenannte creepy line, eine rote Linie,
       überschritten worden zu sein – ganz ähnlich wie bei der eingestellten
       Datenbrille Google Glass, deren Träger als „Glassholes“ verunglimpft und
       auch schon mal aus Bars geworfen wurden.
       
       Im Alltag, nicht zuletzt in Textilien, sind ja schon genügend Kameras und
       Mikrofone installiert. Die Bundespolizei trägt an ihren Uniformen Bodycams,
       Körperkameras, deren Aufnahmen bizarrerweise auf Amazon-Servern landen. Und
       Facebook plant, die Metropolitan Police in Großbritannien mit Bodycams
       auszustatten, unter der Bedingung, dass es Zugriff auf die Videos bekommt.
       
       ## Ein X für ein U
       
       Allein in China sollen bereits 200 Millionen Überwachungskameras in Betrieb
       sein. An Straßenkreuzungen werden Rotgänger per Gesichtsscan identifiziert
       und auf riesigen Bildschirmen an den Pranger gestellt – der Punktabzug beim
       Sozialkreditsystem wird prompt auf dem Handy angezeigt. Die
       Gesichtserkennungssysteme sind inzwischen so scharf gestellt, dass sie
       flüchtige Personen in einer Menschenmenge auf Konzerten identifizieren
       können. Man kann also gar nicht mehr unbehelligt durch den öffentlichen
       Raum (oder was davon übrig bleibt) gehen, ohne ins Visier der
       Überwachungskameras zu geraten.
       
       Doch es gibt eine Gegenbewegung. Auf der diesjährigen Hackerkonferenz
       Defcon hat die Hackerin und Modedesignerin Kate Rose eine Modelinie
       vorgestellt, mit der sich automatische Kennzeichenerfassungssysteme
       austricksen lassen. Die T-Shirts, Tops, Jacken und Röcke sehen zunächst aus
       wie gewöhnliche Textilien. Doch der Teufel steckt im Detail: Auf den
       Kleidungsstücken sind Muster von fiktiven Kennzeichen aufgedruckt. Wenn man
       nun mit dem Textil vor eine automatische Nummernschilderkennung etwa in
       einem Parkhaus tritt, suggeriert man dem System, man sei ein Fahrzeug. Man
       macht dem Computer quasi ein X für ein U vor. Der Algorithmus kann nicht
       erkennen, ob es sich um ein Auto oder einen Menschen handelt – er ist
       lediglich darauf trainiert, Muster von Kennzeichen zu identifizieren.
       
       Als wäre das Einspeisen von Junk-Daten nicht subversiv genug, hat Rose
       einzelne Wörter der US-Verfassung auf die Kleidung gedruckt, die im Gewand
       eines Autokennzeichens daherkommen. Man trichtert der Maschine also den
       Inhalt der Verfassung ein, damit diese, eigentlich systemwidrig,
       verfassungskonforme Ergebnisse ausspuckt, indem sie die eigentlichen
       Merkmalsträger nicht erkennt. Welch Ironie und Dialektik! Das Stichwort
       lautet Obfuskation (vom Englischen obfuscate für „vernebeln“, „unklar
       machen“, „verwirren“). Damit gemeint ist eine gezielte Irreführung
       maschineller Systeme, um Datensouveränität und Anonymität im öffentlichen
       Raum zurückzugewinnen.
       
       Gegenüberwachung ist in Mode. Es gibt eine ganze Reihe von Designern und
       Softwareingenieuren, die Textilien und Accessoires kreieren, um
       Überwachungssysteme in die Irre zu leiten. Der Niederländer Jip van
       Leeuwenstein etwa hat eine Gesichtsmaske entworfen, ein gewelltes
       Schutzvisier, das wie eine optische Linse wirkt und den Träger für
       Überwachungskameras unidentifizierbar macht. Der japanische
       Informatikprofessor Isao Echizen hat eine Brille designt, die
       Gesichtserkennungssysteme mit Infrarotlicht irritiert. Und in London ist
       rund um die Gruppe „The Dazzle Club“ eine eigene Subkultur entstanden, die
       mit subversiver Streetwear und Camouflage-Look (zum Beispiel Schminke) der
       omnipräsenten Überwachung in der Stadt die Stirn bieten will.
       
       ## Technologischer Gott
       
       Der US-Künstler Adam Harvey präsentierte [1][schon 2012 im Rahmen seines
       Projekts „Stealth Wear“ eine Anti-Spionage-Kollektion]: Darunter fanden
       sich ein „Anti-Drohnen-Hijab“ sowie eine „Anti-Drohnen-Burka“, die mit
       einer silbernen Reflektorenschicht überzogen sind. Das synthetische
       Material blockiert Wärmestrahlung, sodass Wärmebildkameras an Drohnen oder
       Polizeihubschraubern die Person nur schwer erkennen können. Das sieht aus
       wie ein überdimensionierter Aluhut aus Julian Huxleys Kurzgeschichte „The
       Tissue-Culture King“ (1927), den man sich aufsetzt, um sich vor der
       Gedankenkontrolle abzuschirmen. Doch die Kollektion ist nicht von
       Science-Fiction, sondern von islamischer Kleidung inspiriert, die eine
       Trennung zwischen Mensch und Gott vornimmt, wie Harvey schreibt. Diesen
       Sphärengedanken überträgt er auf die „Anti-Drohnen-Burka“: Sie soll die
       Trennung zwischen Mensch und gottgleicher Technologie herstellen.
       
       Harvey spricht von einer neuen „Ästhetik der Privatsphäre“. Es gibt
       durchaus so etwas wie eine Schönheit des Unentdeckten, des
       Undechiffrierbaren, was insofern interessant ist, als man mit dieser
       Setzung dem technoiden Entschlüsselungsfuror der Digitalapologeten etwas
       entgegensetzen kann. Denn nichts ist so krude wie eine Welt, in der jede
       Bedeutung offenliegt.
       
       Die Frage ist nur, ob es unbedingt einer Anleihe aus islamischen
       Kleidungsvorschriften bedarf, um die Autonomie des digitalen Subjekts zu
       stärken. Das Textilgefängnis der Burka interniert den Träger ja eher, als
       dass es ihn befreit – und würde durch eine avantgardistisch daherkommende
       Tech-Version neu beglaubigt.
       
       Die Frage ist auch, ob diese eher auffällige Kleidung den Träger nicht erst
       recht unter Verdacht stellt, weil er ja aus der Masse heraussticht, und der
       Staat auf diese Mode mit immer rigideren Vermummungsverboten reagiert. In
       Österreich, [2][wo 2017 ein „Anti-Gesichtsverhüllungs-Gesetz“
       („Burkaverbot“) eingeführt wurde], wurde eine Fahrradfahrerin abgemahnt,
       weil sie einen Schal gegen die Kälte trug. In London, wo die Metropolitan
       Police ein groß angelegtes Gesichtserkennungssystem installiert hat, wurde
       ein Mann festgehalten [3][und mit einem Bußgeld belegt, weil er sein
       Gesicht mit einem T-Shirt verdeckt hatte]. Wer seine biometrischen
       Kennzeichen verbirgt, ist verdächtig.
       
       Andererseits: Hat dieser Trend der Verschleierung nicht auch etwas
       Autoritäres? Darf es die freie und offene Gesellschaft zulassen, dass der
       öffentliche Raum zum Maskenball wird? Dass die Protestierenden in Hongkong
       Gasmasken (aus anderen Gründen, wegen des Einsatzes von Tränengas) tragen
       müssen, zeugt auch von einer gewissen Militarisierung des Stadtbilds –
       wobei man von einem Gaskrieg zum Glück weit entfernt ist.
       
       Und doch: „Die Gesichter werden zu Waffen“, kommentierte die New York
       Times. Wie die Demonstranten mit hochleistungsfähigen Laserpointern auf
       Polizisten und Gesichtserkennungssysteme leuchteten, erinnerte an Szenen
       aus „Star Wars“: ein Krieg, der sich auf der Ebene von Wellenlängen und
       Computervision abspielt. Dass nun aber eine neue Avantgarde von Künstlern
       mit sehr analogen Mitteln die Grenzen der Überwachung im öffentlichen Raum
       neu austarieren und verhandeln will, zeigt, dass die Zivilgesellschaft
       gegenüber totalitären Systemen nicht machtlos ist – und Privatsphäre noch
       einen intrinsischen Wert darstellt.
       
       25 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Textiler-Schutz-vor-Drohnen/!5070029
 (DIR) [2] /Demo-gegen-Burkaverbot-in-Oesterreich/!5451534
 (DIR) [3] /Gesichtserkennung-in-England/!5602459
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Adrian Lobe
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
 (DIR) Mode
 (DIR) Gesichtserkennung
 (DIR) Hacking
 (DIR) Mode
 (DIR) Fremd und befremdlich
 (DIR) Google
 (DIR) Mode
 (DIR) Silicon Valley
 (DIR) zeitgenössische Kunst
 (DIR) Digitalisierung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Vorabdruck „Mode und andere Neurosen“: Die Sneaker von Jürgen Habermas
       
       Was haben Streetwear und Turnschuhe mit Freiheit und Öffentlichkeit zu tun?
       Katja Eichinger schreibt über Freizeitmode und was sie uns bedeutet.
       
 (DIR) Über Wahrheit in Zeiten der Drohnen: Am Himmel ist noch Platz
       
       Wir überlassen die Wahrheit heute nicht mehr der Erzählung, wir haben
       Aufnahmen zur Beweisführung. Und jetzt kommen die Drohnen über uns – für
       immer.
       
 (DIR) Gesichtserkennung im Netz: Der neue Grusel
       
       Ein US-Start-up hat neue Software zur Gesichtserkennung entwickelt.
       Grundlage: 3 Milliarden Fotos. Behörden und Unternehmen freuen sich.
       
 (DIR) Nachhaltiges Merchandising: Hemden für guten Zweck
       
       Der Verein „Second Bandshirt“ verkauft ausrangierte Merchandise-T-Shirts
       weiter. Er unterstützt mit dem Erlös gemeinnützige Organisationen.
       
 (DIR) Machtkampf zwischen USA und China: Silicon Valley unter Druck
       
       Längst blicken die großen US-Tech-Unternehmen neidisch auf die
       Datensammelwut der Chinesen. Denn Daten sind der zentrale Rohstoff für KI.
       
 (DIR) Daten in Musik übersetzt: Der Sound der Überwachung
       
       Jasmine Guffond bringt Datenströme zum Klingen. Die australische
       Soundkünstlerin tritt in Berlin mit Arbeiten zum Thema Urheberrecht auf.
       
 (DIR) Ausstellung „Snap Your Identity“: Riskante Lebensführung
       
       Wann ist ein Gesicht ein menschliches Gesicht? Der Kunstverein Wolfsburg
       untersucht die Veränderungen des Menschenbildes in digitalen Zeiten.