# taz.de -- AfD-Parteitag in Riesa: Projekt Faschisierung läuft
       
       > Die AfD hat sich weiter radikalisiert, Höckes Einfluss ist gewachsen. Die
       > völkische Strömung bestimmt den Parteitag und setzt einen neuen Vorstand
       > durch.
       
 (IMG) Bild: Chrupalla und Weidel nach der Vorstandswahl
       
       RIESA taz | Wie der neue Kurs der AfD aussieht, wurde recht schnell
       deutlich am dritten und letzten Tag des 13. Bundesparteitags im sächsischen
       Riesa. Direkt nach Eröffnung der ersten Debatte stellt sich Höcke wie so
       häufig an diesem Wochenende ans Rednerpult in der riesigen Mehrzweckhalle
       und bekommt als Einziger schon nach seinem „Guten Morgen“ Applaus von den
       Delegierten. Er wolle mit einer „Ansage an den Verfassungsschutz starten“
       sagte er. Der nämlich sei Teil des „Machtinstruments“ des
       „Altparteienkartells“, auf deren Einstufungen man nichts geben dürfe, sagt
       Höcke. „Wir bestimmen qua eigener Kraft, wer extremistisch ist.“
       
       Höcke plädiert dafür, die Unvereinbarkeitsliste zu ändern und die
       Zusammenarbeit mit der kleinen rechtsextremen Scheingewerkschaft „Zentrum“,
       ehemals „Zentrum Automobil“, zu legalisieren. Mit der Unvereinbarkeitsliste
       wollte sich die AfD ursprünglich gegen Parteien wie die NPD,
       Terrororganisationen und militante Rechtsextreme abgrenzen. Der
       baden-württembergische Vertreter des völkischen Flügels, Dirk Spaniel,
       hatte beantragt, die Organisation von der Liste zu streichen.
       
       Interessant waren in der Debatte auch die neuen Konfliktlinien im deutlich
       nach rechts geruckten Bundesvorstand: Christina Baum, neu in den Vorstand
       gewählte Höcke-Vertraute, sprach sich dafür aus, die Organisation von der
       Liste zu nehmen, Roman Reusch hingegen sprach von „Harakiri“ angesichts der
       AfD-Beobachtung durch den Verfassungsschutz, und Marc Jongen wies in der
       Debatte auf die Verbindungen des [1][„Zentrum-Automobil“-Gründers Oliver
       Hilburger] zum Blood-and-Honour-Terrornetzwerk hin sowie dessen
       Mitgliedschaft in der Neonazi-Rockband „Noie Werte“. Aber wen kümmert so
       etwas noch in der AfD? Eine Minderheit: Auch dank des Zuspruchs von Höcke
       kommt der Antrag recht locker durch: 60,17 Prozent streichen „Zentrum
       Automobil“ per Parteitagsbeschluss von der Unvereinbarkeitsliste.
       
       Es ist ein Vorgeschmack darauf, wohin die extrem rechte Partei unter ihrer
       neuen Doppelspitze steuert. Der nach zehn Wahlniederlagen in Serie nur
       knapp wiedergewählte Tino Chrupalla (53 Prozent) aus Sachsen und die mit
       mehr Zuspruch neu gewählte Alice Weidel (67 Prozent) setzten sich zusammen
       mit der fast kompletten [2][völkischen Wunschliste für den neuen Vorstand
       durch] – mit freundlicher Unterstützung von Höcke. Der traute sich trotz
       großspuriger Ansagen selbst mal wieder nicht, zu kandidieren. Er begründete
       dies damit, dass seine Kandidatur die Partei wohl spalten dürfte. Das liege
       aber nicht an seiner extrem rechten Agenda, sondern an dem medialen Bild,
       das von ihm vermittelt werde.
       
       ## „Es geht nicht mehr um ‚gemäßigt‘ und ‚radikal‘“
       
       Mit dem Parteitag hat Höcke seinen Einfluss nicht nur durch die
       Zusammensetzung des Vorstands ausgebaut, sondern unter anderem auch durch
       seinen erfolgreichen Antrag auf eine mögliche Einzelspitze. Etliche
       Beobachter*innen vermuten, dass er in zwei Jahren doch noch nach dem
       Parteivorsitz greift. Dann nämlich sei die Partei womöglich „reif“ für die
       Führung durch eine Person, wie Höcke in seiner Rede insinuierte.
       
       Die alte und sich als gemäßigt inszenierende Meuthen-Mehrheit im Vorstand
       ist jedenfalls dahin – eine [3][Palastrevolution der Reste der
       Selbstverharmloser] um den Anfang des Jahres ausgetretenen AfD-Chef Jörg
       Meuthen war, [4][wie im Vorfeld bereits vermutet, krachend gescheitert],
       ebenso ihre chancenlosen Kandidat*innen. Nachdem selbst das prominente
       Neu-Mitglied Erika Steinbach, die frühere CDU-Bundestagsabgeordnete, keinen
       Platz im Vorstand ergattern konnte, schickte das Lager um Beatrix von
       Storch teilweise nicht einmal mehr Kandidat*innen ins Rennen.
       
       Der Rechtsextremismus-Experte David Begrich findet nicht erst sei dem
       Parteitag von Riesa, dass es bei der Analyse neue Begriffe für die jetzt
       noch weiter nach rechts gerückte AfD brauche. Er sagte der taz: „Es geht
       nicht mehr um ‚gemäßigt‘ und ‚radikal‘.“ Die AfD sei ein fragmentiertes
       rechtes Lager, das unterschiedliche Akzente setzt. Es gehe nicht um
       unterschiedliche Inhalte, sondern nur um unterschiedliches Auftreten
       bezüglich „Habitus, Inszenierungen und Adressierungen“, wie Begrich sagte:
       „Was Höcke selbst das ‚sozialpatriotische Lager‘ nennen würde, lautet im
       Klartext: Da wird die Faschisierung der AfD betrieben.“ Das unterlegene
       Lager wolle die gleichen Inhalte lediglich „in eine nationalkonservative
       Form“ gießen – aber die Unterschiede seien längst marginal.
       
       Die Ergebnisse des Parteitags wertete Begrich als Sieg des
       völkisch-radikalen Flügels in allen Belangen. Das habe sich mit der
       veränderten Unvereinbarkeitsliste gezeigt, sagt Begrich: „Zentrum Automobil
       spielt zwar eine untergeordnete Rolle, aber die Vereinigung ist eine
       rechtsextreme Gründung und wird in die Mitte der Partei zurückgeholt und
       anerkannt.“ Mit dem neuen Vorstand ist es laut dem Politilogen
       wahrscheinlicher geworden, dass sich diejenigen durchsetzten, die für eine
       Regionalpartei Ost stehen – also dass sich die AfD gemäß ihrer
       Radikalisierung zu einer reinen ostdeutschen Partei verzwergen könnte, die
       im Westen kaum noch eine Rolle spielt.
       
       ## Der rausgeworfene Kalbitz könnte zum Streitherd werden
       
       Inhaltlich neue Ideen präsentierte die Führungsspitze Chrupalla und Weidel
       nicht. Wie sie den Abwärtsstrudel aus Mitgliederschwund und Wahlniederlagen
       aufhalten wollten, ist offen. Einzige Losung scheint zu sein: Kein
       öffentlicher Streit mehr und ein von Höcke abgesegneter geschlossener
       Bundesvorstand.
       
       Das jedenfalls ging bereits am Sonntag schief: Die völkische Mehrheit um
       Höcke grillte den neuen Vorstand gleich bei der ersten inhaltlichen Debatte
       um eine russlandfreundliche EU-Resolution. Es wurde zu einer Feuerprobe mit
       dem schlechteren Ende für den Vorstand. Gleich mehrfach stimmte die Basis
       gegen Chrupalla und Weidel bei einer allzu russlandfreundlichen
       EU-Resolution von Höcke und anderen.
       
       Ein künftiger Streitherd im Vorstand könnte der rausgeworfene
       Rechtsextremist Andreas Kalbitz werden. Der Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel
       hat der taz am Sonntag bestätigt, dass er sein Mandat für die AfD in dem
       Parteiausschlussverfahren gegen Kalbitz niederlegt. In einer der taz
       vorliegenden Erklärung schreibt Steinhöfel, dass Kalbitz „in einer
       demokratischen Partei ebensowenig wie ein Herr Höcke einen Platz haben
       sollte“.
       
       Nach dem Parteitag sehe er „die Gefahr eines Positionswechsel in Sachen
       Kalbitz“. Für derartige Bestrebungen stehe Steinhöfel nicht zur Verfügung.
       Juristisch könne man das Verfahren „nicht mehr verlieren, sodass es auch
       durch jemand anderes fortgeführt werden kann“, so Steinhöfel. Das sah
       tatsächlich auch das Berliner Landgericht ähnlich. Aber politisch wäre eine
       Wende durchaus möglich: Der neue Vorstand könnte einfach auf die Idee
       kommen, den Ausschluss zurückzunehmen.
       
       19 Jun 2022
       
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