# taz.de -- Afrikanischer Pop: In der absoluten Gegenwart
       
       > Schneller, hybrider, futuristischer – afrikanische Dancefloor-Produzenten
       > wie der Südafrikaner Nozinja mischen die Clubs in Europa auf.
       
 (IMG) Bild: Der große Nozinja.
       
       „Kein Tempo, kein Tanz.“ Wenn Richard Mthetwa mit 180 bpm um die Ecke
       brettert, wird sofort klar, was er meint. Dann heißt er Nozinja und
       verwandelt sich vom Handyreparaturladen-Inhaber aus der südafrikanischen
       Provinz in ein frenetische Tanzmusik produzierendes Feierbiest, das sich
       Kissen vor den Bauch und an den Hintern klemmt, um diese Körperteile beim
       Rumpfschütteln zu seinem Sound besser in Positur zu bringen.
       
       Als Nozinja tritt Mthetwa seit 2010 in den angesagtesten Clubs der Welt
       auf, Starproduzenten wie Caribou und Theo Parrish veröffentlichen oder
       remixen seine Tracks. Nun hat Nozinja endlich sein Debütalbum
       veröffentlicht. „Nozinja Lodge“, benannt nach dem Hotel, das er mit seiner
       Frau in der Provinz Limpopo betreibt, erscheint beim britischen Label Warp
       Records, einer Plattenfirma, die in letzter Zeit verstärkt das
       Dancefloor-Geschehen aus der ganzen Welt importiert, Popmusik, die abseits
       der westlichen Zentren entsteht.
       
       Nozinjas Sound trifft einen Nerv, denn er ist hyperkinetisch schnell und
       andauernd unruhig: 180, 190 bpm als Richtgeschwindigkeit (im Vergleich:
       House ist durchschnittlich bei 130 bpm). Diese schlagzeuggetriebenen, mit
       Synthie-Marimba-Tunes aufgepolsterten Tracks bestehen aus Kaskaden von
       Snarewirbeln, Drumbreaks, die die Melodien anschieben. Gechantete Hooklines
       und verspielte Instrumentals wechseln sich ab, Folkelemente sind in der
       digitalen Echokammer beschleunigt. Nozinjas Musik klingt, als rüttelten
       pausenlos die Fliehkräfte an ihr.
       
       „Shangaan Electro“ nennt Nozinja seinen Sound. Er ist verwandt mit lokalen
       südafrikanischen Dance-Dialekten wie Kwaito. „Es ist der Raum der
       Intervention, wie er in kulturellen Überlappungen entsteht, der kreative
       Erfindungen in der menschlichen Existenz ermöglicht“, beschreibt der
       Philosoph Homi K. Bhabha in seinem Essay „The Location of Culture“ die
       Ambivalenzen und Leerstellen kultureller Produktion im postkolonialen
       Zeitalter. Nozinjas Musik überwindet alle Grenzen, weil sie absolute
       Gegenwart markiert und in ihrer euphorischen Klangsignatur doch etwas sehr
       Lokales abschüttelt: das Grauen der Apartheidsgeschichte.
       
       Südafrika ist ein Land mit überbordender elektronischer Dancefloor-Kultur.
       Was den raschen Wandel der Stile und Moden von Popkultur betrifft, herrscht
       dort viel Nachholbedarf. Die Digitalisierung von Produktions- und
       Distributionsmöglichkeiten hat den einheimischen Künstlern zwar zu mehr
       internationaler Aufmerksamkeit verholfen, aber im Land selbst, wie auch auf
       dem ganzen afrikanischen Kontinent, fehlt es an geeigneten Medien, Labels
       oder Internet-Plattformen, auch an Archivierungsmöglichkeiten, die das
       musikalische Erbe katalogisieren und bewahren helfen und die gegenwärtige
       Popmusik weiter in die Zukunft katapultieren.
       
       ## Nachhaltigkeit entwickeln
       
       Einen Eindruck von der Vielfalt, aber auch von den Schwierigkeiten der
       südafrikanischen Produzenten, vermittelt der Film „Future Sound of Mzansi“.
       Die Dokumentation, präsentiert vom krediblen Johannesburger Rapper Spoek
       Mathambo, gesponsort vom expansiven Energy-Drink-Konzern Red Bull, lässt
       die lokalen Dancefloor-Akteure von Durban bis Pretoria zu Wort kommen und
       zeigt ein Land im Aufbruch. Einer der Porträtierten ist Nozinja. Die große
       Frage ist, wie die südafrikanische Dancefloor-Szene Nachhaltigkeit
       entwickeln kann.
       
       Bereits 2008 veröffentlichte Warp den Track „Township Funk“ von DJ Mujava
       aus Pretoria, der zum Dancefloor-Smashhit in Europa und den USA wurde und
       auch in Deutschland bei Radiosendungen wie „Zündfunk“ Powerplay-Status
       erhielt. Anders als der geerdete und selbstbewusste Nozinja ist Mujava die
       internationale Aufmerksamkeit schlecht bekommen, auch das zeigt „Future
       Sound of Mzansi“ eindrücklich. Zeitweilig war er in einer psychiatrischen
       Klinik untergebracht und wurde in eine Zwangsjacke gesteckt. „Öffentliche
       Aufmerksamkeit, öffentliches Werturteil, öffentlicher Marktplatz, der
       Einfluss des Westens auf die kulturelle Sphäre der Diaspora ist
       disproportional“, hat Homi K. Bhabha in „The Location of Culture“
       herausgearbeitet.
       
       Wie sinnvoll eine multinationale afrikanische Plattform ist, die lokale
       Kräfte konzentriert und die Vernetzung afrikanischer Künstler untereinander
       fördert, zeigt das Projekt „Music in Africa“. Es ist eine
       Lobbyorganisation, die Pop-Akteure auf dem Kontinent einander näherbringt,
       „Empowerment“ (Selbstermächtigung) predigt und eine Datenbank aufbaut, aber
       auch Know-how zur Archivierung des musikalischen Erbes bereitstellt, was
       angesichts fehlender Lagerstätten und heftiger klimatischer Bedingungen
       eine Herkulesaufgabe darstellt. Das Goethe-Institut und die
       Siemens-Stiftung haben das Projekt angeschoben, nun steht es weitgehend auf
       eigenen Beinen. Das klingt nach beruhigendem Kulturmanagement, aber die
       Realität beweist, dass es weit mehr solchen Engagements braucht.
       
       ## Homerecording Meisterwerk
       
       Dem ghanaischen Künstler Yaw Atta-Owusu alias Ata Kak hätte es sicherlich
       die Arbeit erleichtert. Nach Stationen im Westdeutschland der mittleren
       Achtziger, wo er nach der zufälligen Begegnung mit einem Reggae-Fan auf dem
       Postamt Schlagzeug spielen lernte, migrierte Atta-Owusu 1989 in die
       kanadische Metropole Toronto, begann mit anderen Musikern der ghanaischen
       Diaspora in Kanada Highlife-inspirierte Musik zu komponieren und nahm
       zwischen 1991 und 1994 eigenhändig im Homerecording-Prozess Tracks auf.
       Herauskam das Album „Owan Sima“, ein Pophybrid aus HipHop-Beats,
       upliftenden Highlife-Melodien und Texten gesungen in Twi, einem ghanaischen
       Dialekt.
       
       Anfang der nuller Jahre war Ata Kak wieder in seine Heimatstadt Kumasi
       zurückgekehrt, das Dat-Mastertape hat die Hitze in Kumasi nicht überlebt.
       Dafür hat der New Yorker Sammler und Labelbetreiber Brian Shimkovitz auf
       einer seiner Exkursionen ein Tape gefunden, Yaw Atta-Owusu ausfindig
       gemacht und nun das Album rundum klangrestauriert wiederveröffentlicht. Es
       ist Musik, die auch mehr als zwanzig Jahre nach ihrer Entstehung großes
       Pop-Appeal hat.
       
       „Formen von massenhafter Mobilisierung sind dann besonders subversiv und
       transgressiv, wenn sie durch oppositionelle kulturelle Praktiken erschaffen
       werden“, schreibt Bhabha in „The Location of Culture“. Mit Blick auf die
       explodierende Dancefloor-Szene in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon
       bestätigt sich seine Annahme. Um die Kinder von Einwanderern aus Mosambik
       und Angola, von den Kapverden und dem Inselstaat São Tomé und Príncipe hat
       sich eine spannende Szene entwickelt, die eigenständigen Dancefloor-Pop
       kreiert, „Kuduro“-Sound, ein Mix aus House und einheimischen Stilen wie
       Batida, Tarraxinha oder Kizomba.
       
       ## Gekommen, um zu bleiben
       
       Ihre Musik habe den Afroportugiesen überhaupt zu Sichtbarkeit verholfen,
       sagt Pedro Gomes, einer der drei Betreiber des Lissaboner Labels Príncipe
       Records, das sich der Szene angenommen hat. Afrikanische Migranten leben
       seit der Nelkenrevolution 1974 in Trabantenstädten weit außerhalb des
       Stadtzentrums von Lissabon. Dort gibt es eine unterentwickelte
       Infrastruktur und soziale Missstände. Neben Plattenveröffentlichungen
       organisiert Príncipe auch Raves im Club Musicbox im Zentrum, das sei
       wichtiger beim Zusammenwachsen der Gesellschaft als alle politischen
       Initiativen, sagt Gomes.
       
       Von Lissabon wanderte der Kuduro-Sound dank Internet weiter nach Glasgow,
       Berlin und London. Eine Art Running Gag: Warp Records hat kürzlich die
       mehrteilige Samplerserie „Cargaa“ mit Musik aus Lissabon initiiert.
       „Cargaa“ ist ein afroportugiesischer Slangbegriff, „heavy“ bedeutet er und
       beschreibt die Durchschlagskraft der rasend schnellen Musik: Produzenten
       wie DJ Marfox (Marlon Silva) oder DJ Nigga Fox (Rogério Brandao) sind nur
       zwei, der Urheber dieser perkussiv-dichten Tanzmusik mit irrem Twist und
       martialischen Fanfaren.
       
       Hypes kommen und gehen, aber die Produzenten rings um Príncipe Records sind
       gekommen, um zu bleiben. Sie bringen durch ihre erzwungene Randständigkeit
       gute Voraussetzungen mit: „Unsere Gemeinschaft fußt auf simplen
       Organisationsprinzipien der Community“, sagte Gomes dem Onlinedienst
       Resident Advisor, „deshalb sind wir ein leuchtendes Gegenbeispiel für die
       Unwirtlichkeit von Metropolen im Zeitalter der gnadenlosen
       Gentrifizierung.“
       
       12 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
       
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