# taz.de -- Angeklagte Klimaaktivistin über Blockaden: „Ich halte das nicht für strafbar“
       
       > Die Aktivistin Carla Hinrichs blockiert für die Gruppe Letzte Generation
       > Straßen. Ursprünglich wollte sie Richterin werden, jetzt ist sie
       > Angeklagte.
       
 (IMG) Bild: Plötzlich auf der anderen Seite des Richterpults: Carla Hinrichs muss vor Gericht
       
       taz: Frau Hinrichs, Sie stehen am Donnerstag für eine Aktion der
       [1][Letzten Generation] vor Gericht. Ursprünglich wollten Sie da mal
       beruflich hin, oder? 
       
       Carla Hinrichs: Ja, ich dachte, dass ich mal auf der anderen Seite von dem
       Richterpult sitzen würde. Ich habe Jura studiert, um für mehr Gerechtigkeit
       in der Gesellschaft zu sorgen. Ich habe aber leider merken müssen, dass
       sich das Zeitfenster schließt, in dem wir handeln können, um die
       schlimmsten Folgen der Klimakrise zu verhindern. Deswegen habe ich mich in
       der Pflicht gesehen, Widerstand zu leisten, und stehe jetzt als Angeklagte
       vor Gericht.
       
       Was wird Ihnen genau vorgeworfen? 
       
       Mir wird vorgeworfen, dass ich im Februar eine Straße blockiert habe und
       damit Menschen genötigt haben soll.
       
       Manche Ihrer Mitstreiter:innen verteidigen sich vor Gericht selbst. Sie
       auch? 
       
       Ich werde mich zusammen mit meinem ehemaligen Juraprofessor Gerd Winter
       von der Uni Bremen vor Gericht verteidigen. Wir haben gemeinsam die
       Verteidigung vorbereitet. Er unterstützt mich in meinem Protest.
       
       Wie kam das, haben Sie ihn darum gebeten? 
       
       Ich habe bei Herrn Professor Winter schon meine Abschlussarbeit im
       Umweltrecht geschrieben. Er wusste auch davon, dass ich immer wieder
       Protest leiste gegen das Nichthandeln der Regierung. Letztes Jahr hat er
       mich bei Anne Will im Fernsehen gesehen und sich danach bei mir gemeldet.
       So sind wir wieder in Kontakt gekommen. Ich habe ihn gefragt, ob er sich
       vorstellen kann, mich zu verteidigen, und das wollte er gerne machen.
       
       Fällt es Ihnen leicht, an Ihrer eigenen Verteidigung zu arbeiten? 
       
       Ich durfte in meinem Studium sehr viel über das Rechtssystem lernen und
       auch, welche Strafbarkeiten infrage kommen. Ich habe aber auch gelernt,
       dass Recht oft Abwägungssache ist. Das ist auch in meinem Fall so oder in
       unseren Fällen. Wir setzen uns nicht leichtfertig auf die Straße. Wir sind
       friedlich, wir protestieren für das Überleben von zukünftigen Generationen
       und für unser eigenes Leben. Da ist es abzuwägen, ob es nicht
       verhältnismäßig oder sogar gerechtfertigt ist, dass durch uns Menschen im
       Stau stehen.
       
       Diese Argumentation hat bislang [2][selten zu Freisprüchen] geführt.
       Verstehen Sie das? 
       
       In der Klimakrise – also auf dem Weg in eine absolute Katastrophe – müssen
       wir uns alle fragen, ob das, was wir bisher machen und wie wir im Moment
       auf die Dinge blicken, noch das Richtige ist. Das müssen sich auch die
       Richter:innen fragen, und das ist für die natürlich erst mal eine
       Neuheit. Da stehen plötzlich Menschen vor Gericht, die sagen: Ja, ich habe
       das gemacht und ich werde das wieder tun, denn ich sehe mich einfach akut
       dadurch bedroht, dass wir uns durch die Klimakrise hier in Deutschland noch
       in meiner Lebenszeit um Ressourcen streiten werden.
       
       Ich erwarte von einem Rechtssystem, dass es sich wirklich die Lage anguckt.
       Dass es sich mit der Klimakrise auseinandersetzt und aufgrund der Fakten
       anerkennt, dass das eine akute Krise ist. Aber die meisten Richterinnen
       stellen sich leider gar nicht erst die Frage, ob unser Verhalten zu
       rechtfertigen wäre, weil das weit darüber hinausgeht, was sie bisher aus
       ihrem Alltag kennen.
       
       Das heißt, Sie rechnen gar nicht damit, dass Sie freigesprochen werden? 
       
       Der Richter hat mich schon vorab wissen lassen, dass er von der
       Strafbarkeit überzeugt ist und mich nur vor Gericht bestellt, um über das
       Strafmaß zu sprechen.
       
       Man könnte auch argumentieren, dass die Gerichte eher wohlwollend mit der
       Letzten Generation umgehen. Oft verhängen die Richter:innen geringe
       Geldstrafen, während man für Nötigung auch ins Gefängnis kommen könnte. 
       
       Ich halte mein Verhalten nicht für strafbar. Wenn ich mir die Gesetze
       angucke, dann braucht es für eine Nötigung ein verwerfliches Verhalten.
       Verwerflich finde ich, [3][dass unsere Regierung uns über die Klippe
       bringt]. Es ist die größte Krise, die ich mir vorstellen kann. Deswegen
       setze ich mich jetzt friedlich auf eine Autobahn und unterbreche diesen
       todbringenden Alltag. Das halte ich nicht für verwerflich. Diese Frage
       müssen sich die Gerichte stellen. Und wenn sie das dann trotzdem für
       verwerflich halten, dann sollen sie mich dafür einsperren.
       
       16 Feb 2023
       
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