# taz.de -- Arbeitsbelastung von Lehrer*innen: Schule mal mit Stechuhr
       
       > Mit einer Studie soll die Arbeitszeit von Berliner Lehrer*innen
       > minutengenau erfasst werden. Die Bildungsgewerkschaft vermutet große
       > Belastungen.
       
 (IMG) Bild: Für Unterricht braucht es Ruhe: Fries aus Mosaiksteinen am Haus des Lehrers am Alexanderplatz
       
       BERLIN taz | Wie viele Stunden Lehrer*innen pro Woche arbeiten, dass
       kann derzeit niemand verlässlich sagen. „Die Arbeitgeber wissen es nicht,
       die Öffentlichkeit weiß es nicht, und absurderweise wissen wir selbst es
       auch nicht“, sagt Ralf Schäfer. Er ist Lehrer für Geschichte, Politik und
       Latein am Robert-Blum-Gymnasium in Schöneberg. Und er ist Teilnehmer einer
       [1][Studie zur Arbeitszeitbelastung von Lehrkräften]. Die Gewerkschaft für
       Erziehung und Wissenschaft Berlin (GEW) will es nämlich nun genau wissen
       und unterstützt deshalb eine repräsentative Umfrage der Uni Göttingen.
       Deren Studie soll erfassen, wie viel Zeit Lehrer*innen pro Woche für
       ihre verschiedenen Aufgaben aufwenden und wo die Belastungen besonders groß
       sind.
       
       Die teilnehmenden Lehrer*innen tragen dafür über eine App die Zeiträume
       und die Arten ihrer Tätigkeit ein – minutengenau und vollständig. Sie
       schließen die Einträge jeweils wochenweise ab. Außerdem werden sie zu
       Belastungen befragt. Die Studie startet am Montag mit dem Beginn des neuen
       Schuljahres. Rund 3.000 Lehrer*innen nehmen bisher teil, das sind knapp
       10 Prozent der rund 32.000 Lehrkräfte in Berlin. Mindestens 5 Prozent
       brauche man, um repräsentativ zu sein, erläutert Studienleiter Frank
       Mußmann von der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der
       Universität Göttingen bei der Vorstellung der Studie am Mittwoch.
       
       Die Studie sei durch die Wocheneinteilung so aufgebaut, dass
       Lehrer*innen auch im laufenden Schulhalbjahr noch einsteigen könnten.
       Etwa 500 geschulte Multiplikator*innen sind bereits an den Schulen
       unterwegs. Mußmann rechnet damit, dass sich weiter Teilnehmer*innen
       anmelden werden. Auch Schulleiter*innen sollen befragt werden. Die
       Kooperationsstelle hat bereits in Niedersachsen und in Frankfurt am Main
       Lehrer*innen zu ihrer Arbeitszeitbelastung befragt. Die Studie in Berlin
       ist nun bundesweit die erste, für die Lehrer*innen über ein ganzes
       Schuljahr hinweg detailliert ihre tatsächliche Arbeitszeit erfassen.
       
       Wie viele Stunden Lehrer*innen pro Woche arbeiten, ist auch deshalb
       unklar, weil in den Arbeitsverträgen nur ihre Unterrichtsstunden angegeben
       sind. An einer Grundschule etwa arbeitet ein*e Lehrer*in mit einem
       Vertrag über 28 Unterrichtsstunden in Vollzeit, wobei eine
       Unterrichtsstunde 45 Minuten entspricht. An Gymnasien wären es 26
       Unterrichtsstunden. Dabei macht der Unterricht nach Schätzungen nur ein
       Drittel der Aufgaben aus, zu denen Lehrer*innen verpflichtet sind.
       
       ## Klassenfahrten, Konferenzen, Zeugnisse, Projekte
       
       Die Liste, die Gymnasial-Lehrer Schäfer aufzählt, ist lang:
       Unterrichtsvorbereitung, Korrekturen, Prüfungen, Konferenzen,
       Elternsprechtage und -abende, Aufsicht, Klassenfahrten, Projektwochen. „Wir
       müssen die Projekte und die Fahrten aber auch vorbereiten und abrechnen,
       wir sitzen in Gremien und Regionalkonferenzen, wir führen Statistiken,
       treiben Digitalisierung und Schulkonzepte voran, schreiben Zeugnisse,
       führen Bewerbungsgespräche und müssen uns mindestens 600 Minuten pro Jahr
       fortbilden“, sagt er. „Das erzeugt einen riesigen Zeitdruck.“ Für gute
       Pädagogik bräuchte es aber Ruhe und Gelassenheit, um Beziehungen aufzubauen
       und Gespräche zu führen. „Wir haben zu zweit sieben Stunden an der
       Abrechnung einer Klassenfahrt gesessen“, sagt Schäfer. Das sei unnötig. In
       der Woche vor der Zeugnisübergabe liegt man selbstverständlich über der
       gesetzlich vorgegebenen Höchstarbeitszeit.
       
       Hintergrund der Studie ist für die GEW auch [2][eine EU-Richtlinie und ein
       Urteil des Europäischen Gerichtshofs], nach dem Unternehmen verpflichtet
       sind, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter*innen zu erfassen. „Das muss
       auch an Schulen passieren, wo die Lehrer*innen sich eben nicht einfach
       beim Arbeitsbeginn an der Stechuhr einstempeln“, sagt GEW-Vorsitzende Maike
       Finnern.
       
       Die Arbeitszeiterfassung sei auch eine Frage des Arbeitsschutzes, meint
       Anne Albers, bei der GEW zuständig für Beamten-, Angestellten- und
       Tarifpolitik. „Wir vermuten, dass Lehrer*innen regelmäßig mehr als die
       gesetzlich geregelten 48 Stunden Höchstarbeitszeit pro Woche arbeiten“,
       sagte sie. „Gesund bleiben ist da nur mit Gehaltsverzicht möglich.“
       
       Schon jetzt gehe man aufgrund von vorangegangenen, kleineren Studien davon
       aus, dass Lehrer*innen in Berlin jedes Jahr Millionen Überstunden
       leisten, die nirgends erfasst werden, sagte Finnern. „Uns interessiert, wo
       die Hotspots der Belastung liegen. Wo also Arbeitszeit eingesetzt wird. Auf
       der Grundlage können wir dann darüber diskutieren, wo man politisch
       eingreifen und wo man mehr gestalten kann“, sagte sie. Das Bildungswesen
       sei schwer unterfinanziert. „Eins ist klar: Wenn wir den Beruf attraktiver
       machen wollen, dann müssen wir [3][etwas an den Arbeitsbedingungen
       ändern].“
       
       24 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://kooperationsstelle.uni-goettingen.de/projekte/arbeitszeit-und-arbeitsbelastung-berliner-lehrkraefte-2023
 (DIR) [2] /EU-Richtlinie-zur-Arbeitszeit/!5592736
 (DIR) [3] /Lehrermangel/!5943187
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uta Schleiermacher
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schule
 (DIR) Arbeitszeit
 (DIR) Belastung
 (DIR) Studie
 (DIR) Lehrermangel
 (DIR) Lehrerinnen
 (DIR) Lehrer
 (DIR) Arbeitszeit
 (DIR) Lehrer
 (DIR) Schule
 (DIR) Lehrermangel
 (DIR) Schule
 (DIR) Schule
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Arbeitsort Schule: Minuten zählen lernen
       
       Eine laufende Studie misst die Arbeitszeit von Berliner Lehrer*innen.
       Zwischenergebnisse zeigen, dass Digitalisierung oft zu mehr Belastung
       führt.
       
 (DIR) Arbeitszeiterfassung bei Lehrkräften: Lehrer lernen Stunden zählen
       
       Wie viel arbeiten Lehrkräfte neben dem Unterricht? Überstunden erfassen
       Länderbehörden bisher nicht. Nun bewegen sich Bremen und Hamburg ein Stück.
       
 (DIR) Befragung zu Arbeitsbedingungen: Schulleiter ist kein Traumberuf
       
       Eine Studie bescheinigt Leitungskräften an Schulen in Hamburg und
       Rheinland-Pfalz hohe Arbeitsbelastung und eine überdurchschnittliche
       Burnout-Gefahr.
       
 (DIR) Mangel an Lehrer*innen: Kein Bock auf Schule
       
       An den Berliner Schulen werden nach den Sommerferien rund 1.500
       Lehrer*innen fehlen. Vor allem bestimmte Bezirke haben mit dem Mangel zu
       kämpfen.
       
 (DIR) Lehrermangel: Die Schulabbrecher
       
       Zu viel Druck im Referendariat, starre Hierarchien, Kampf mit der
       Bürokratie. Warum jedes Jahr Hunderte angehende Lehrer ihre Ausbildung
       aufgeben.
       
 (DIR) Dramatischer Lehrermangel: Auf dem Rücken der Lehrer
       
       Mit den kürzlich vorgeschlagenen Maßnahmen werden die Bundesländer das
       Problem des Lehrkräftemangels nicht lösen. Weder jetzt noch in zehn Jahren.