# taz.de -- Berater über Verschwörungsglaube: „Oft steckt dahinter Angst“
       
       > Tobias Meilicke berät Angehörige von Menschen, die an Verschwörungen
       > glauben. Man solle mit ihnen über Gefühle statt Fakten sprechen, rät er.
       
 (IMG) Bild: Mit Querdenkern über Gefühle statt über Fakten sprechen?
       
       taz: Herr Meilicke, die Beratungsstelle Veritas berät Angehörige von
       Verschwörungsgläubigen. Mit welchen Problemen kommen die Leute zu Ihnen? 
       
       Tobias Meilicke: Das ist ganz unterschiedlich. Generell lässt sich sagen,
       dass zu uns Menschen kommen, deren Freunde, Partner, Kinder oder Eltern
       [1][sich die Welt mit Verschwörungen erklären]. Das können abstraktere
       Dinge sein, wie dass in Deutschland keine Demokratie mehr herrsche. Aber
       auch ganz konkrete Fälle, in denen Familien darüber streiten, ob sie ihre
       Kinder in die Schule schicken sollen, weil es dort eine Testpflicht gibt.
       Oder extremere Fälle, in denen ein Partner auswandern möchte, weil sich
       Deutschland im Krieg befinde. Oder Eltern, die ihren Kindern mit Suizid
       drohen, [2][wenn sie sich impfen ließen.] 
       
       Was raten Sie diesen Menschen? 
       
       Die Fälle sind natürlich individuell, aber grundsätzlich raten wir
       Angehörigen immer davon ab, zu versuchen, über Fakten ins Gespräch zu
       kommen. Denn das bringt in der Regel nichts. Wenn jemand sein komplettes
       Weltbild auf Verschwörungen aufgebaut hat, ist das auch stark an sein
       persönliches Selbstbild geknüpft. In dem Augenblick, wo Nahestehende dann
       mit ihrer recherchierten Faktenlage auf diese Person zugehen, fühlt diese
       sich sehr wahrscheinlich angegriffen. Typisch für Verschwörungserzähler ist
       dann, dass sie auch diese Fakten für eine Verschwörung halten.
       
       Wenn Fakten und Diskussionen nicht helfen, was kann ich dann als
       Angehörige:r tun? 
       
       Argumentationen auf Gefühlsebene können hilfreich sein, denn meistens
       steckt hinter Verschwörungserzählungen ein Gefühl der Angst. Das
       wahrzunehmen und anzusprechen ist total wichtig. Beispielsweise beim Thema
       Impfen sollte man fragen: „Wieso hast du so Angst davor, dass ich mich
       impfen lasse? Hast du wirklich Angst, dass ich dadurch sterbe? Wie können
       wir beide mit dieser Sorge umgehen?“ Viele Studien haben gezeigt, dass
       Menschen sich nicht aufgrund von rationalen Argumenten verändern, sondern
       aufgrund von emotionalen Erfahrungen. Wenn man also Impulse für mögliche
       Distanzierungen setzen möchte, sollte man über Gefühle sprechen, nicht über
       Fakten.
       
       Manche Menschen scheinen in ihren Verschwörungserzählungen so tief
       drinzustecken, dass man sich kaum vorstellen kann, sie durch emotionale
       Gespräche zu überzeugen. Raten Sie in solchen Situationen auch, den Kontakt
       abzubrechen? 
       
       Grundsätzlich nein. Wenn Personen so belastet sind, dass sie einen Kontakt
       nicht mehr aushalten, dann sprechen wir natürlich darüber. Aber wir gucken
       immer erst, ob es nicht auch andere Wege gibt als den kompletten
       Kontaktabbruch. Zum Beispiel Briefe schreiben. Dadurch zeige ich einer
       Person, dass sie mir wichtig ist, kann meine Gefühle kommunizieren und
       gleichzeitig eine gewisse Distanz schaffen.
       
       Das heißt, es ist auch ein Ziel Ihrer Beratungsstelle, dass Angehörige mit
       Verschwörungserzähler:innen in Kontakt bleiben? 
       
       Der erste Erfolg ist für uns, wenn Menschen, die sich an uns wenden,
       weniger belastet sind mit dem Thema. Der zweite, wenn Angehörige es
       schaffen Distanzierungsimpulse zu setzen. Und ja, wir wollen durch die
       Beratung auch erreichen, dass Menschen miteinander in Kontakt bleiben.
       
       Wieso ist das so wichtig? 
       
       Diese Menschen sind eine wichtige Brücke, falls die Verschwörungsgläubigen
       doch mal ins Zweifeln kommen. Wir wissen aus der Ausstiegsarbeit im Bereich
       Rechtsextremismus und Islamismus, dass so ein Prozess immer zwei Ebenen
       hat: die ideologische und die soziale. Und wenn sie keinen Rückhalt mehr in
       ihrem alten Leben haben, dann neigen Menschen eher dazu, in ihrem
       verschwörungsgläubigen Umfeld zu bleiben, selbst dann wenn sie dem
       Gedankengut gar nicht mehr anhängen. Und hinzu kommt natürlich, dass viele
       Angehörige den Kontakt auch gar nicht abbrechen wollen. Die Menschen sind
       ja nicht nur Verschwörungsgläubige, sondern auch eine liebevolle Mutter
       oder ein Partner.
       
       Wie kam es dazu, dass Sie die Beratungsstelle gegründet haben? 
       
       Ich habe sechs Jahre lang in der Islamismusprävention gearbeitet. Und im
       letzten Jahr habe ich gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen festgestellt,
       dass es im Netz nicht nur eine Vielzahl von Menschen gibt, die
       Verschwörungen verbreiten, sondern auch viele, die nicht mehr wissen, wie
       sie mit ihren Verwandten oder Freunden umgehen sollen. Da dachten wir, dass
       es ein Angebot braucht, dass diese Menschen abholt und unterstützt.
       
       Und nehmen es viele in Anspruch? 
       
       Momentan bekommen wir zwischen 60 und 70 Anfragen pro Monat. Eine Anzahl,
       der wir nicht nachkommen können. Gerade stehen 100 Leute auf der
       Warteliste, mit denen wir noch nicht mal gesprochen haben. Wir werden es
       auch in diesem Jahr nicht mehr schaffen, alle Anfragen abzuarbeiten. Und
       das ist gefährlich, denn wir wissen aus anderen Bereichen, dass es immer
       schwieriger wird, Impulse zu setzen, je später man in den
       Radikalisierungsprozess eingreift. Insofern ist jede Woche und jeder Monat,
       den die Menschen warten müssen, zu viel. Und momentan haben wir eine
       Wartezeit von circa 10 Wochen.
       
       Die Beratung ist sicherlich auch nicht mit einem Gespräch erledigt? 
       
       Genau, unser Beratungsangebot ist ein psychosoziales, das sich über einen
       mittel- und langfristigen Zeitraum erstreckt. Wenn sich unsere Klienten für
       eine Beratung entscheiden, kann das schon einmal sechs bis acht Sitzungen
       in Anspruch nehmen. Wir gehen davon aus, dass Menschen, die sich
       Verschwörungserzählungen zugewandt haben, das auch nicht von heute auf
       morgen gemacht haben. Und so wird auch das Umfeld nicht von heute auf
       morgen lernen, wie man damit umgeht.
       
       Verschwörungserzählungen gibt es nicht erst seit Corona. Warum reden wir in
       den letzten Monaten viel mehr über das Thema? 
       
       [3][Weil Verschwörungserzählungen sichtbarer geworden sind.] Wenn wir uns
       die Studienlage zur Verbreitung angucken, sehen wir, dass sie in der
       deutschen Bevölkerung eigentlich immer konstant ist. Je nach Studie hängen
       zwischen 10 und 30 Prozent der Deutschen Verschwörungserzählungen an. Wenn
       es um konkrete Verschwörungen geht, wird der Prozentsatz ein bisschen
       kleiner. Wenn es um Verschwörungen im Allgemeinen geht, also um Mächte, die
       im Hintergrund agieren und die Welt beeinflussen, dann ist der Prozentsatz
       höher. Das war vor Corona so und ist jetzt auch so.
       
       Der Unterschied ist, dass wir uns jetzt in der Pandemie stärker
       positionieren müssen. Wenn vorher Ihr Onkel geglaubt hat, dass die
       Bush-Regierung oder der Mossad hinter den Anschlägen des 11. September
       steckt, dann hatte das relativ wenige Berührungspunkte mit Ihrem täglichen
       Alltag. Während der Pandemie müssen wir uns aber ständig positionieren zu
       den Maßnahmen: Maske tragen oder nicht? Lassen wir uns impfen? Schicken wir
       unsere Kinder in die Schule? Durch diese ständigen Positionierungen ist
       sichtbarer geworden, was Menschen glauben oder eben nicht.
       
       Glauben Sie, dass Verschwörungstheorien wieder eine kleinere Rolle in
       unserer Gesellschaft spielen werden, wenn die Pandemie ein Ende hat? 
       
       Nein, selbst wenn Corona verschwindet, werden Verschwörungstheorien nicht
       aufhören. Wir sehen jetzt schon verstärkt eine thematische Verschiebung hin
       zum Thema [4][Klimawandel]. Vor allem im Wahlkampf konnte man das gut
       beobachten, mit einem Fokus auf die Grünen, die den Klimawandel
       vermeintlich erfunden hätten. Je stärker die neue Regierung Maßnahmen im
       Kontext des Klimawandels beschließen wird, desto stärker werden wir dann
       auch wieder erleben, dass Verschwörungserzähler auf die Straße gehen.
       
       8 Nov 2021
       
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