# taz.de -- Coronavirus und Rassismus: „Nehmen Sie es nicht persönlich“
       
       > Rassismus gehört bei Menschen mit asiatischen Wurzeln zum Alltag dazu.
       > Seit dem Ausbruch des Coronavirus ist es besonders schlimm. Drei
       > Protokolle.
       
 (IMG) Bild: Alltagsrassismus tritt seit dem Ausbruch des Virus offen zutage
       
       In der Arztpraxis 
       
       Letzte Woche hatte ich einen Termin bei meiner Gynäkologin, jährliches
       Check-up. Nichts Spezielles, ich bin gesund und fühle mich gut. Vor meinem
       Termin versuchte die Praxis dreimal, mich zu erreichen, allerdings auf dem
       Handy meines Mannes. Als ich bei der Praxis ankam und an der Glastür
       klingelte, war die Sprechstundenhilfe noch im Gespräch mit einer anderen
       Patientin. Sie suchte den Blickkontakt durch die Scheibe und signalisierte
       mir, kurz zu warten. Die Tür öffnete sie nicht.
       
       Nach ein paar Minuten kam dann die Ärztin zur Tür und sagte: „Nehmen Sie es
       bitte nicht persönlich, aber wir haben entschieden, dass wir wegen des
       [1][Coronavirus] momentan keine chinesischen Patientinnen behandeln.“
       
       Ich sagte, dass ich die Vorsicht verstehen könne. Doch als ich erklären
       wollte, dass ich in letzter Zeit nicht in China war und auch keinerlei
       Symptome hatte, fiel sie mir ins Wort: „Wir müssen unsere Patientinnen
       beschützen, manche von ihnen sind ja auch schwanger.“
       
       Es hieß, ich könne später wiederkommen, wenn sich [2][die Aufregung] gelegt
       hat. In dem Moment habe ich nur gesagt: „Ich verstehe.“
       
       Dann bin ich gegangen. Ich dachte, vielleicht sollte ich auch bei meinem
       Zahnarzt nachfragen, ob sie dort ebenfalls keine chinesischen Patienten
       aufnehmen. Aber dort konnte ich ganz normal einen Termin machen. Plötzlich
       bekam ich ein komisches Gefühl – ich war nicht wütend, sondern traurig.
       Vielleicht nur ein Missverständnis, weil mein Deutsch nur auf Level B1 ist?
       
       Aber mein Mann hat noch einmal in der Praxis angerufen, und es hieß, dass
       ich eine telefonische Beratung machen könne. Ich habe langsam realisiert,
       dass die Gynäkologin einen Fehler gemacht hat. Dass ihr Verhalten womöglich
       sogar gesetzwidrig war.
       
       Meine Freunde sagten alle: Das ist [3][rassistisch]. Manche von ihnen
       schämen sich im Moment sogar dafür, dass sie Chinesen sind – weil das Virus
       in China ausgebrochen ist, obwohl sie doch selbst gar keinen Kontakt dazu
       hatten.
       
       Ja, Rassismus passiert jeden Tag, es ist sehr schwer, das Denken der
       Menschen zu ändern. Egal, welchen Pass wir haben, wir können unser Gesicht
       nicht ändern, für die Weißen werden wir immer wie Chinesen aussehen. Aber
       das ist in dieser Sache nicht mein Punkt.
       
       Die Ärztin hat einen Eid abgelegt, sie ist verpflichtet, alle Patienten
       gleich zu behandeln. Sie sollte über das Coronavirus informieren, sie
       sollte wissen, was und wer gefährlich ist und was nicht. Einen
       qualifizierte Abfrage an der Tür sollte möglich sein. Das ist ihr Job.
       
       Ich habe Glück, dass ich nicht krank oder schwanger bin. Es geht mir nicht
       darum, die Ärztin fertig zu machen. Aber dieses Verhalten ist nicht nur
       unfair und verletzend, sondern gefährlich. Wenn alle Mediziner sich so
       verhielten, dann würde diese Ausgrenzung die Gesundheit vieler Menschen
       aufs Spiel setzen. Es geht hier nicht nur um mich, mich macht so ein
       Erlebnis sogar stärker. Aber die Ärztin hat generalisiert, als sie sagte:
       „Wir behandeln keine chinesischen Patientinnen.“ Das ist einfach falsch.
       Ich werde mich juristisch wehren, wir haben die Praxis bei der Ärztekammer
       gemeldet.
       
       Ich wünsche mir, dass alle Asiaten während dieser Krise mit Respekt und
       sachlichem Verstand behandelt werden. Wir wollen alle gesund bleiben.
       
       Sammi Yang, 35, arbeitet als Tanzlehrerin und Make-up Artist. Sie ist in
       China geboren und mit 17 Jahren zum Studium nach Singapur gezogen. Vor fünf
       Jahren kam sie nach Deutschland, erst nach Braunschweig, dann nach Berlin. 
       
       ***
       
       Auf der Bank 
       
       Meine Mutter ist in Japan geboren und aufgewachsen. Vor 35 Jahren ist sie
       der Liebe wegen nach Deutschland, Schleswig-Holstein, gekommen. Heute ist
       sie 61 Jahre alt, Hausfrau und Sekretärin.
       
       Meine Mutter trägt normalerweise Scheuklappen in Bezug auf Rassismus und
       findet selbst dann noch Ausreden für Leute, wenn sie „Japsin“ genannt wird.
       Wir beide sprechen nicht wirklich über Rassismus, weil ich mich ihrer
       Meinung nach zu schnell aufrege und sie meiner Meinung nach rassistischen
       Menschen zu viel verzeiht.
       
       Als sie vor ein paar Jahren meine deutsche Oma pflegte, stellte diese ihr
       eine Vollmacht für ihr Konto aus, um Besorgungen für sie machen zu können.
       Auf der Bank wurde meiner Mutter der Zugriff auf das Konto trotz Vollmacht
       verwehrt: Niemand dort wollte glauben, dass eine ältere deutsche Frau mit
       deutschem Namen meiner Mutter, einer Ausländerin, eine Vollmacht
       ausgestellt hatte.
       
       Ihr wurde allein aufgrund ihres Aussehens und Sprachakzentes eine
       Erschleichung der Vollmacht unterstellt. Erst als zufällig ein Mitarbeiter
       dazukam, der meine Mutter persönlich kennt und ihre Seriosität bestätigen
       konnte, wurde die Vollmacht akzeptiert.
       
       Ich war damals unendlich wütend und wollte mich am liebsten an
       Filialleitung und Öffentlichkeit wenden. Aber meine Mutter winkte nur ab:
       Sie könne den Umgang der Bank mit ihr gut verstehen, ich solle mich bitte
       nicht so anstellen, die Angestellten hätten es doch nur gut gemeint. Diese
       selbstverständliche Akzeptanz von Rassismus frustriert mich sehr. Ich
       glaube, dass meine Mutter so sehr daran gewöhnt ist, dass dieser Umgang ihr
       gar nicht mehr als rassistisch auffällt. Er ist normal für sie geworden.
       
       Am Montag schrieb mir meine Mutter völlig aus dem Nichts, dass sie gerade
       vom Einkaufen komme. Noch nie zuvor hätte sie sich so unwohl gefühlt: Alle
       Leute hätten sie angestarrt und Abstand gehalten. Sie zog direkt die
       Verbindung zum Coronavirus. Ich war schockiert: Wenn meine Mutter mir von
       allein so eine Nachricht schreibt, dann will ich mir kaum ausmalen, wie die
       Situation tatsächlich gewesen ist.
       
       Hana Wagner* (Name geändert), 26, studiert Lehramt in Hamburg. 
       
       ***
       
       An der Universität 
       
       Offenen Rassismus habe ich in Deutschland eigentlich noch nie erlebt.
       Berlin ist sehr multikulturell. Ich habe das Gefühl, normalerweise wird
       dich hier niemand verurteilen. Aber manchmal werde ich in der Bahn
       angestarrt, weil mein Gesicht anders aussieht. Besonders von kleinen
       Kindern, das ist mir schon etwas unangenehm. Aber ich würde es eher
       Stereotypisierung und Vorurteil nennen. Das kenne ich auf jeden Fall.
       
       Zum Beispiel hatte ich mal einen Kommilitonen, der immer mit mir über
       Jackie Chan reden wollte. Ich habe gesagt, dass ich gar keine Ahnung von
       Jackie Chan habe, aber er meinte, ich müsste das ja wohl wissen. Oder diese
       Vorstellung, dass alle Asiaten gut in Mathe sind: Ja, vielleicht sind wir
       ein bisschen besser, weil wir mehr lernen. Aber wir sind doch nicht mit
       dieser Fähigkeit geboren. So eine Aussage ist unfair – als ob wir uns dafür
       nicht anstrengen müssten.
       
       Ich denke, das Problem ist vor allem, dass viele Leute kaum etwas über
       China wissen. Das liegt auch an der Berichterstattung. Man sieht hier immer
       Bilder von großen Infrastrukturprojekten oder liest Kritik an der
       chinesischen Regierung, aber man lernt kaum etwas über chinesische
       Popkultur. Auch China ist nicht so gut im Storytelling – man tut sich doch
       keinen Gefallen damit, immer nur das tolle Wirtschaftswachstum zu
       vermarkten. Die Menschen hier würden durch eine breitere Berichterstattung
       lernen, dass wir Chinesen gar nicht so anders sind.
       
       Im Kampf gegen das Coronavirus müssten wir jetzt eigentlich alle
       zusammenstehen. Das Virus ist doch der eigentliche Feind hier. Ich habe
       jeden Tag Kontakt zu meiner Familie in Shanghai. Ich bin nicht völlig
       besorgt, aber das Leben dort ist jetzt schon eingeschränkt.
       
       Mein Vater arbeitet bei einer Firma, die Smartphones und Computerteile
       vertreibt – da macht sich die Ausnahmesituation jetzt sehr stark bemerkbar.
       Er fährt noch jeden Tag zur Arbeit, aber ganz genau weiß ich nicht, was
       dort gerade passiert. Das macht mir große Sorgen. Aber ich denke mir auch,
       gerade können wir hier nicht viel daran ändern.
       
       Ronnie Wu, 22, studiert Verkehrswissenschaften an der TU Berlin. Er ist
       seit 2016 in Deutschland, seine Familie lebt in Shanghai.
       
       8 Feb 2020
       
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