# taz.de -- DRK-Präsidentin über Pflegenotstand: „Viele Heime führen Wartelisten“
       
       > Die Pflege verschwinde aus der öffentlichen Wahrnehmung, sagt
       > DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt. Das bedrohe auf lange Sicht den
       > sozialen Frieden.
       
 (IMG) Bild: Wenig Personal trifft auf immer mehr Pflegebedürftige
       
       taz: Frau Hasselfeldt, Sie haben kürzlich viele Einrichtungen des Deutschen
       Roten Kreuzes besucht. Gibt es schon Heime, die geschlossen haben wegen des
       Fachkräftemangels? 
       
       [1][Gerda Hasselfeldt]: Ich kenne stationäre Einrichtungen, die Abteilungen
       geschlossen haben, weil die Fachkräfte fehlen, ein Heim zum Beispiel hat
       ein Stockwerk stillgelegt. Es gibt auch ambulante Dienste, die keine
       Kundinnen und Kunden mehr annehmen können oder schließen mussten, weil sie
       nicht genügend Personal haben. Viele Heime und ambulante Dienste führen
       Wartelisten.
       
       Gleichzeitig sind auch die Eigenanteile, die Pflegebedürftige bei
       Inanspruchnahme der ambulanten Dienste und für den Heimaufenthalt zahlen
       müssen, erheblich gestiegen und liegen jetzt im Bundesdurchschnitt [2][bei
       2.500 Euro für einen Heimplatz.]
       
       Das ist richtig, und es gibt auch Angehörige und Pflegebedürftige, die von
       sich aus die Inanspruchnahme von Leistungen reduzieren, weil sie sich das
       nicht mehr leisten können. Das berichten auch unsere ambulanten Dienste.
       
       Wie sieht diese Reduzierung konkret aus? Kommt dann der Pflegedienst
       seltener vorbei? 
       
       Das kann zum Beispiel so aussehen, dass der Pflegedienst dann nur noch
       einmal am Tag vorbeikommt und nicht zweimal. Dann wird bei der Körperpflege
       reduziert. Womöglich wird nur noch einmal am Tag die Inkontinenzvorlage
       gewechselt.
       
       In Heimen gibt es unter den Pflegekräften Diskussionen, ob duschen nur alle
       zwei Wochen reicht, weil das Personal knapp ist. In sozialen Netzwerken
       fragen Pflegekräfte, ob man [3][im ambulanten Dienst] Inkontinenzvorlagen
       zweifach übereinander legen sollte, wenn sie nicht so oft gewechselt werden
       können. Als Angehörige befürchtet man, dass die Pflegebedürftigen
       verwahrlosen könnten. 
       
       Vier von fünf Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt, in den meisten
       Fällen wohnen noch Angehörige mit im Haushalt. Die professionellen Kräfte
       werden das in Zukunft nicht alleine stemmen können. Da müssen die „An- und
       Zugehörigen“, wie wir das nennen, helfen. Dazu gehören Ehepartner, Kinder,
       Verwandte, Nachbarn, Freunde. Für diese Helfer braucht es Schulungen.
       
       Die Frauen in den Familien können und wollen das aber nicht mehr so leisten
       wie früher. Die Frauen sollen heute Kinder betreuen und berufstätig sein.
       Die haben kaum noch Kapazitäten für die Pflege der Alten in der Familie. 
       
       Richtig, man kann die Frauen nicht allein heranziehen, die Männer
       beteiligen sich zusehends und müssen das auch.
       
       Es gibt zunehmend Menschen, die alleine leben und deren Kinder weit weg
       wohnen. Deren Versorgung dürfte dann schwieriger werden. 
       
       Es kommt auf den Grad der Pflegebedürftigkeit an. Wer zu Hause noch mobil
       ist, der kann sich mit Diensten wie Essen auf Rädern behelfen oder auch
       Notruftasten nutzen, etwa im Falle von Stürzen. Wenn man aber
       alleinstehend ist und eine Demenz entwickelt, dann wird es schwierig mit
       der ambulanten Versorgung.
       
       Sie waren Bundesgesundheitsministerin, kurz bevor die Pflegeversicherung
       Mitte der 90er Jahre kam, und haben die Debatten davor hautnah miterlebt.
       Hat man damals schon abschätzen können, wie groß das Problem der Pflege
       werden würde? 
       
       In dieser Dimension war das nicht vorauszusehen. Wir haben zum einen die
       Zunahme der Pflegebedürftigen aufgrund der Demografie, darunter auch eine
       Zunahme der Demenzerkrankten, weil die Menschen immer älter werden durch
       die Fortschritte in der Medizin. Auf der anderen Seite erleben wir den
       Fachkräftemangel, und das können wir durch Zuwanderung auch nur bedingt
       ausgleichen. Beides zusammen verschärft die Problematik.
       
       Erleben wir in Zukunft wieder Zustände wie vor der Einführung der
       Pflegeversicherung, als die Pflegebedürftigkeit eine der größten Ängste war
       in den Familien? 
       
       Ich glaube nicht, dass wir diese Situation wieder bekommen. Wir haben zum
       Glück die Pflegeversicherung, und diese schafft einen gewissen sozialen
       Frieden. In den stationären Einrichtungen erhalten Menschen mit mehr oder
       weniger Geld die gleiche Pflege. Die Bewohner bekommen die gleichen Sätze
       von den Pflegekassen, und es werden auch im selben Heim die gleichen
       Eigenanteile fällig. Diese werden von den Sozialämtern übernommen, wenn
       das eigene Geld nicht reicht. Das sind Errungenschaften, die es so in
       keinem anderen Land gibt.
       
       Die Frage ist, ob man sich nicht darauf einstellen muss, dass für die
       Pflege mehr eigenes Geld zu bezahlen ist, sofern man die Mittel hat. 
       
       Die Pflege ruhte immer auf drei Säulen: Das sind einmal die Beiträge zur
       Pflegeversicherung, dann die Eigenanteile der Pflegebedürftigen, dann die
       Steuergelder. Wir sind dafür, dass die medizinische Behandlungspflege in
       den Heimen künftig von der Krankenversicherung getragen wird. Zudem müssten
       die Länder die Investitionskosten der Heime übernehmen. Außerdem ist unser
       Vorschlag: Festschreiben der Eigenanteile als Sockel und damit planbar für
       die Menschen. Der darüber hinausgehende Betrag soll von der
       Pflegeversicherung getragen werden.
       
       Im Moment sieht es nicht so aus, als würden mehr Steuergelder für die
       Pflege lockergemacht. Es gibt andere Baustellen für die öffentlichen
       Haushalte. 
       
       Wir haben derzeit viele Krisen, da verschwindet die Pflege leider aus der
       öffentlichen Wahrnehmung. Die Pflegebedürftigkeit erscheint dann als
       Privatrisiko, von dem jeder hofft, dass er oder sie davon verschont bleibt.
       Die Pflegeversicherung aber ist auf Solidarität aufgebaut. Das müssen wir
       unbedingt erhalten, erst recht angesichts der künftigen Herausforderungen.
       
       28 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Ehemalige-Ministerin-Gerda-Hasselfeldt/!5577696
 (DIR) [2] /Armutsrisiko-und-Pflegeheim/!5946767
 (DIR) [3] /Ambulante-Pflegedienste/!5970239
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Altenpflege
 (DIR) Personalmangel
 (DIR) DRK
 (DIR) GNS
 (DIR) Pflege
 (DIR) Alten- und Pflegeheime
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Pflege
 (DIR) Pflege
 (DIR) Pflege
 (DIR) Alten- und Pflegeheime
 (DIR) Alten- und Pflegeheime
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Pflegedienste in Not: Vier Minuten für die Strümpfe
       
       Weil die Krankenkassen die gestiegenen Kosten nicht übernehmen, machen
       viele Pflegedienste Verluste. Auf dem Land haben sie es besonders schwer.
       
 (DIR) Fachkräftemangel in der Pflege: Mehr Geld löst die Probleme nicht
       
       Die Gehälter in Pflegeberufen sind überdurchschnittlich hoch. Das ändert
       aber nichts an den belastenden Arbeitsbedingungen.
       
 (DIR) Studie zu Pflegepersonal: Hunderttausende Fachkräfte fehlen
       
       Die Gesellschaft wird älter und es fehlen Pflegekräfte. Laut einer Studie
       könnten höhere Löhne und bessere Jobbedingungen gegen den Mangel helfen.
       
 (DIR) Ambulante Pflegedienste: Schutzlos gegen Gewalt
       
       Gewalt gegen Pflegebedürftige nimmt seit Jahren zu. Patientenschützer
       fordern mehr Kontrollen, Gewerkschaften einen besseren Personalschlüssel.
       
 (DIR) Experte über Wachstumsmarkt Altenpflege: „Spekulation spielt eine Rolle“
       
       Die Nachfrage nach Pflegeplätzen ist riesig. Warum viele Heime gerade
       trotzdem Insolvenz anmelden, erklärt der Experte Christoph Trautvetter.
       
 (DIR) Pflegenotstand in Deutschland: Die große Kränkung
       
       In der Pflege erleben wir die Grenzen der Solidarität im Sozialstaat. Das
       Pflegerisiko wird individualisiert – wer betroffen ist, muss allein
       klarkommen.