# taz.de -- Ein Jahr SPD, Grüne und Linke in Berlin: Bitte mehr vom Krisenmodus
       
       > Haben Franziska Giffey und der rot-grün-rote Senat Berlin besser gemacht?
       > Nicht wirklich. Aber sie haben gezeigt, wie es gehen könnte.
       
 (IMG) Bild: Franziska Giffey und Bettina Jarasch machen das Rennen unter sich aus. Oder lacht da ein Dritter?
       
       BERLIN taz | Nichts klappt in dieser Stadt. Als ob sie zur Opposition
       gegenüber ihrer eigenen Partei und dem rot-rot-grünen Senat gehört hätte,
       war SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey zur Wahl im September 2021 mit
       dem Versprechen angetreten, wenn nicht alles, so doch vieles in Berlin
       besser zu machen. Der Koalitionsvertrag, den SPD, Grüne und Linke
       schließlich unterzeichneten, trägt die Überschrift „Zukunftshauptstadt
       Berlin“.
       
       Am Dienstag haben die Regierende Bürgermeisterin, Mobilitätssenatorin
       Bettina Jarasch (Grüne) und Kultursenator Klaus Lederer (Linke) nun ihre
       Jahresbilanz vorgestellt. Ist Berlin besser geworden? In zwei Wochen soll
       jeder einen Termin im Bürgeramt bekommen, steht im Koalitionsvertrag. Der
       nächste Termin, der am Dienstag frei war, ist Mitte Februar.
       
       „Wir dachten schon, Corona wäre eine Herausforderung“, sagte Giffey auf der
       [1][Senatspressekonferenz im Roten Rathaus]. „Aber in diesem Jahr haben
       sich die Krisen kumuliert.“ Dann verwies die Regierende auf die
       Digitalstrategie des Landes, die der Senat am selben Tag verabschiedet
       habe. „Das ist die Grundlage für die digitale Modernisierung der
       Verwaltung“, betonte Giffey
       
       ## Schnelles Entlastungspaket
       
       Eine dysfunktionale Stadt, wie es die Opposition behauptet, ist Berlin
       dennoch nicht. Ganz im Gegenteil. Als es darauf ankam, hat Berlin beherzt
       zugepackt. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind eine Million
       Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, 350.000 von ihnen kamen zunächst in
       Berlin an. Fast im Tesla-Tempo hat der Senat eine Welcome-Hall am
       Hauptbahnhof aus dem Boden gestampft, die Zusammenarbeit mit den
       zahlreichen Initiativen lief, anders als 2015, meist reibungslos. „Wir
       haben gezeigt, dass Berlin in Krisen zur Höchstform aufläuft“, freute sich
       Franziska Giffey am Dienstag.
       
       Auch auf die steigenden Energie- und Heizkosten hat der Senat reagiert.
       Lange bevor die Kenia-Koalition in Brandenburg Mitte Dezember ihr zwei
       Milliarden umfassendes „Brandenburg-Paket“ auf den Weg brachte, hat
       Rot-Grün-Rot bereits im September ein 1,5 Milliarden schweres
       „Entlastungspaket“ geschnürt. Hinzu kommt die Finanzierung für das
       29-Euro-Ticket, das so lange gelten soll, bis der Bund das geplante
       49-Euro-Ticket einführt. Darüber hinaus haben die landeseigenen
       Wohnungsbaugesellschaften ein Kündigungsmoratorium und den Verzicht auf
       Mieterhöhungen 2023 beschlossen.
       
       Wenn es darauf ankommt, das ist die Botschaft, handelt der Senat schnell
       und entschlossen. Berlin kann Krise. Kann Berlin aber auch Normalzustand?
       
       Wenn der Senat, in welcher Konstellation auch immer, sein Versprechen von
       der Zukunftshauptstadt einlösen will, muss er den Krisenmodus in den
       Normalzustand überführen. Denn die Herausforderungen sind gewaltig. Der
       Fachkräftemangel wird auf den Arbeitsmarkt durchschlagen und auch auf das
       Baugeschehen. Schon jetzt ziehen sich private Investoren aus dem
       Wohnungsneubau zurück. Dass die landeseigenen Gesellschaften von den
       respektablen 16.500 Wohnungen, die in Berlin 2021 gebaut wurden, fast die
       Hälfte gestemmt haben, ist eine gute Nachricht. Aber werden Gesobau und Co.
       auch einen weiteren Rückgang im privaten Wohnungsbau kompensieren können?
       Das wird die spannende Frage im Wohnungsbündnis werden.
       
       Und was ist mit der Sanierung der Schulen? Zwar gibt es „tausend Millionen
       für die Schulbauoffensive“, bremste Giffey die Erwartungen, aber die
       Umsetzung sei nicht von heute auf morgen zu sehen.
       
       Die [2][Bevölkerungsprognose] nimmt auf Fachkräftemangel, steigende Preise
       und marode Schulen ohnehin keine Rücksicht. Das zeigt die jüngste Annahme,
       derzufolge bis 2040 knapp vier Millionen Menschen in Berlin leben werden.
       Ja, es wollen viele aufs Land, doch die Corona- und Landfluchtdelle wird
       mehr als wettgemacht von der steigenden Geburtenrate und dem Zuzug. Und all
       die neuen Berlinerinnen und Berliner brauchen Meldebescheinigungen und
       damit Termine beim Bezirksamt.
       
       Die Verwaltungsreform sollte in Berlin deshalb ein ähnliches
       Schwerpunktthema sein wie der mit viel Geld geförderte Strukturwandel in
       der Lausitz. Auf dem Papier ist es das längst, aber warum kommt die
       Digitalstrategie erst jetzt?
       
       Man muss der FDP deshalb dankbar sein, wenn sie die Abschaffung der
       Bezirksämter und damit der zweistufigen Verwaltung fordert. Mag sein, dass
       das Populismus ist. Aber vielleicht sollten die Bezirke auch mal ihre
       Daseinsberechtigung unter Beweis stellen. Bei der Chaoswahl, die nun zur
       Wahlwiederholung führt, haben sie es nicht.
       
       Auch Bettina Jarasch betonte, wie „handlungsfähig“ sich Berlin in den
       Krisen des vergangenen Jahres erwiesen habe. Aber man müsse auch darauf
       achten, fuhr sie fort, „dass wir noch eine Zukunft vor uns haben und
       Zukunft gestalten wollen“. Da ginge es darum, die nötigen
       Veränderungsprozesse anzustoßen. So wolle sie Berlin möglichst schnell und
       deutlich vor 2045 klimaneutral machen.
       
       Klaus Lederer wiederum legte Wert darauf, dass bestimmte Vorhaben einen
       langem Atem bräuchten. Als Beispiel nannte er die [3][Rieckhallen] am
       Hamburger Bahnhof, die der Senat nach langen Debatten gekauft und damit als
       Kunststandort erhalten hatte.
       
       Entscheidend wird aber sein, dass die Menschen in Berlin das Vertrauen
       zurückbekommen, dass die Politik in Berlin handlungsfähig ist. Wenn es
       darauf ankommt, kann Berlin was wuppen. Wenn keiner hinguckt, herrscht
       wieder der Schlendrian. Berlin muss aber nicht nur reagieren, sondern auch
       reformieren können. Vielleicht bedarf es hier wie da auch einer kleinen
       Revolution.
       
       21 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=XdHMNgixWGg
 (DIR) [2] https://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/bevoelkerungsprognose/de/ergebnisse/index.shtml
 (DIR) [3] https://www.smb.museum/nachrichten/detail/kauf-des-hamburger-bahnhofs-und-der-rieckhallen-durch-bund-und-land-berlin/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uwe Rada
 (DIR) Bert Schulz
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Berlin
 (DIR) Bettina Jarasch
 (DIR) Franziska Giffey
 (DIR) Schwerpunkt Wahlen in Berlin
 (DIR) Schwerpunkt Wahlen in Berlin
 (DIR) Schwerpunkt Wahlen in Berlin
 (DIR) Schwerpunkt Wahlen in Berlin
 (DIR) Wochenkommentar
 (DIR) Bettina Jarasch
 (DIR) Bettina Jarasch
 (DIR) Schulbau
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Wiederholungswahl in Berlin: Zack, zack, Wahlkampf!
       
       Die Wiederholung der Wahl in Berlin ist ein Stresstest für die Helfer. Es
       ist Winter, die Zeit bis zum 12. Februar ist knapp.
       
 (DIR) Beginn des Wahlkampfs in Berlin: Wer wählt Giffey?
       
       Fünf Wochen sind es noch bis zur Wiederholungswahl. Klare Favorit*innen
       gibt es nicht. Die große Frage ist: Wie beliebt ist die Amtsinhaberin?
       
 (DIR) Grüne Spitzenkandidatin im Wahlkampf: Die Mühen der Straße
       
       Bettina Jarasch will Franziska Giffey als Regierende ablösen. Fünf Wochen
       bleiben ihr, die Wähler*innen zu überzeugen. Es wird ein knappes Rennen.
       
 (DIR) Wahlchaos in Berlin: Beschwerde sorgt für Streit
       
       Mehrere Mitglieder des Abgeordnetenhauses klagen in Karlsruhe gegen die
       Wahlwiederholung im Februar. An deren Vorbereitung ändere das aber nichts.
       
 (DIR) Wahlkampf der Grünen in Berlin: Auf zum Angriff
       
       Welche Chancen hat Bettina Jarasch, im zweiten Anlauf Regierende
       Bürgermeisterin zu werden? Sicher ist: Sie muss offensiver als 2021
       agieren.
       
 (DIR) Grüne Kampagne für Wiederholungswahl: Diesmal in Farbe
       
       Die grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch und der Landesvorstand haben
       ihre neue Wahlkampagne vorgestellt. Sie setzt auf „ökosoziale Maßnahmen“.
       
 (DIR) Berliner Abgeordnetenhaus: Das 29-Euro-Ticket rollt weiter
       
       Verkehrsverbund VBB verlängert das Angebot bis ins Frühjahr. Senatorin
       Jarasch nennt SPD-Ruf nach einem dauerhaften Billigticket
       „Wahlkampfgeplänkel“.
       
 (DIR) Schulbau in Berlin: Der ganze Schrott muss weg
       
       Das Bezirksamt Mitte will die Anna-Lindh-Grundschule abreißen, doch das
       Landesdenkmalamt stellt sich quer. Dabei muss dringend eine Lösung her.