# taz.de -- Eine Typologie der Schwimmstile: Bahnen ziehen mit Grandezza
       
       > Die Freibadbecken sind voll. Doch was sagen Wahl und Ausführung einer
       > Schwimmtechnik über ihre Benutzer aus?
       
 (IMG) Bild: Brustschwimmen kann jeder? Falsch gedacht!
       
       ## Der genügsame Knethaken
       
       Die meisten Menschen, die von sich behaupten, dass sie schwimmen können,
       sagen: „Ich kann aber [1][nur Brustschwimmen].“ Jeder, der ein bisschen was
       vom Schwimmen versteht, muss über dieses „nur“ allerdings sehr lachen.
       
       Die meisten Menschen, die von sich behaupten, dass sie Brustschwimmen
       können – können es nämlich gar nicht. Jedenfalls das richtige. Denn
       Brustschwimmen ist technisch gesehen die schwierigste Fortbewegungsart im
       Wasser. Wer den Kopf aufrecht aus dem Wasser streckt, knethakenartig mit
       Armen und Beinen das Wasser verrührt, als wäre es Kuchenteig, betreibt kein
       Brustschwimmen. Was die meisten Menschen mit „Brustschwimmen“ meinen, ist
       purer Überwasserhaltungswille und hat mit richtigem Brustschwimmen so viel
       zu tun wie Hefezopf mit Fischpastete.
       
       Die Arm- und Beinbewegung beim Brustschwimmen setzt nicht nur Kräfte nach
       vorne, sondern auch entgegen der Schwimmrichtung frei. Dieser Umstand macht
       eine optimale Abstimmung und technische Ausführung der Arm- und Beinarbeit
       extrem wichtig. Die Koordination der selbst bei Profis immer eher unrund
       anmutenden Bewegungen ist kaum intuitiv erlernbar.
       
       Laien argumentieren, sie seien nicht am schnellen Vorwärtskommen
       interessiert. Was sie nicht kapieren: Es geht gar nicht ums schnelle
       Vorwärtskommen, sondern um eine möglichst lange Gleitphase. Wer die hat,
       kommt zwar auch automatisch schneller vorwärts. Aber in erster Linie geht
       es um das sprichwörtliche Gefühl vom Fisch im Wasser.
       
       Menschen, denen die Gleitphase egal ist und die einen Fisch lieber auf
       ihrem Teller sehen, als sich selbst wie einer zu fühlen, wollen keine
       Widerstände überwinden. Und auch sonst nichts, außer vielleicht die Scheu
       vor dem Sprung ins kalte Wasser. Sind sie erstmal drin, reicht ihnen das
       Gefühl, in einer XXL-Badewanne Kuchenteig anzurühren. Ein Angehöriger der
       „Ich kann nur Brustschwimmen“-Fraktion ist meist genügsam und verzichtet
       gern auf das erhabene Gefühl, durchs Wasser fliegen zu können. Genuss ist
       für ihn nur das, was mit wenig Aufwand verbunden ist.
       
       ## Der einsame Besserwisser
       
       Wer mit dem Rücken auf dem Wasser liegt, steht damit schon mal nicht an der
       Wand. Aber warum sind Rückenschwimmer bloß immer rücksichtslose,
       egozentrische Vollspacken?
       
       [2][Öffentliche Badeanstalten] sind meist ziemlich voll und die Schwimmer
       darin ziemlich ungelenk. Der einzig angemessene Stil angesichts der Masse
       an Mitschwimmern in diesen Orten ist der Freistil, also das Kraulen. Doch
       weil man dafür den Kopf unter Wasser bringen muss, bevorzugen die meisten
       Menschen es auf dem Bauch oder dem Rücken zu schwimmen, als würden sie sich
       auf ihrer Matratze zur Nachtruhe betten.
       
       Während nun der Brustschwimmer mit seinen ausladenden Arm- und
       Beinbewegungen alles um sich herum wegtritt, bringt der rückenschwimmende
       Laie seinen Körper mit plumpen Armschlägen ins Wanken. Bis er irgendwann
       realisiert, dass er völlig von der Bahn abgekommen und allen anderen in die
       Quere gekommen ist. Ist ihm aber egal, er macht einfach weiter.
       
       Dabei denkt der Rückenschwimmer immer nur an seinen Rücken, und wie gut es
       dem tut, wenn man sich auf ihn drauf ins Wasser legt. Auch ist der
       Rückenschwimmer jemand, der gerne andere darüber belehrt, dass
       Rückenschwimmen besser für den Rücken sei. Dem ist allerdings mitnichten
       so. Jedenfalls nicht dann, wenn man ins Hohlkreuz geht und wie ein
       aufgeregter Elefantenrüssel durchs Wasser mäandert.
       
       Laienrückenschwimmer sind Menschen, die immer genau wissen, was richtig
       ist. Also wie man auf dem Bürostuhl sitzt (am besten gar nicht, man steht),
       was man morgens essen muss (Samen, bloß kein Butterbrot) und wie die
       Brauntönung des Stuhlgangs auf der RAL-Farbpalette einzusortieren ist. Am
       Ende aber sterben sie allein. So wie sie auch im Becken immer isoliert
       waren.
       
       ## Der grobe Schlächter
       
       Wer Gefühle kriegt, wenn Roger Federer Tennis spielt, kriegt auch Gefühle,
       wenn Franziska van Almsick krault. Nicht, weil die mal für Deutschland
       Medaillen gewann, sondern weil sie eine der technisch elegantesten
       Kraulstil-Schwimmerinnen aller Zeiten war. Wobei man kein großer Kenner
       sein muss, um zu sehen, wer das Wasser streichelnd durchzieht und wer es
       behandelt, als wäre es ein Kartoffelacker, und dabei die Arme wie ein
       Mähdrescher einsetzt.
       
       Das Faszinierende am Kraul ist, dass es der mit Abstand eleganteste
       Schwimmstil ist und zugleich auch der schnellste. Das deutsche Wort Kraul
       ist diesem Umstand allerdings völlig unangemessen. Im Englischen firmiert
       Kraul als Freestyle, was ungleich schöner ist.
       
       Die Bezeichnung stammt aus der Definition, dass es im Freistil-Wettbewerb
       eigentlich dem Schwimmer überlassen ist, wie er sich durchs Wasser bewegt.
       Einzige Regel: Bis auf Start und Wende muss ein Körperteil durchgehend die
       Wasseroberfläche durchbrechen. Da Kraulen die schnellste Art ist, das zu
       tun, wird unter Freistil eigentlich immer Kraul verstanden.
       
       Die Eleganz des Freistils ist allerdings unter Laien selten zu sehen. Denn
       die gepflegte Körper- und Armführung benötigt ständige Übung und vor allem
       Feingefühl. Viele Laienkrauler aber glauben, sie müssten das Wasser
       bezwingen wie einst Hannibal die Alpen. Wenn Laienkrauler sich durchs
       Wasser graben, sieht es immer aus, als fände gerade ein Reenactment [3][der
       mattanza] statt, des großen Thunfischschlachtens vor Sizilien und
       Sardinien. Es sind Menschen, die als grobschlächtiger Kämpfer gerne die
       ganz große Geige spielen, aber doch nur Hochstapler sind. Der elegante
       Krauler hingegen ist einer, der, ohne viel Aufhebens um sich zu machen,
       immer vorne mitmischt.
       
       ## Der demütige Teamplayer
       
       Was für Laien wie Macho-Pose und Imponiergehabe aussieht, ist in Wahrheit
       Demut. Schmetterling ist nach dem Brustschwimmen der forderndste
       Schwimmstil. Wer sich der Tortur unterzieht, diese Technik zu erlernen, hat
       große Ausdauer- und Leidensfähigkeit. Aber auch eine große Offenheit dem
       Anderen gegenüber.
       
       Dem menschlichen Körper ist die Schmetterlingsbewegung völlig fremd. Eine
       Wellenbewegung aus dem Wasser heraus zu erzeugen und dabei auch noch beide
       Arme über dem Kopf zusammenzuschlagen, erfordert ein irres Maß an
       Koordination. Was daher beim Schmetterling am deutlichsten wird: Ihn
       beherrschen wirklich nur die Leute, die sich dem Wasser vollständig
       ausliefern. Ähnlich wie beim Freistil ist beim Schmetterling am
       wichtigsten, sich den Gegebenheiten anzupassen; sich der Bewegung des
       Wassers nicht zu entziehen, sondern ihr nachzugeben.
       
       Auch wenn das von außen durch das große Aufspannen der Brust und der Arme
       gar nicht so wirkt: der Schmetterlingsschwimmer ist einer, der sich für ein
       Miteinander einsetzt, statt Solist zu sein. Sicher, es ist der Stil, bei
       dem mit dem bloßen Auge am meisten zu sehen ist. Alle anderen Schwimmstile
       sind zumindest bei Wettkämpfen ohne Kamera und Zeitlupe kaum gut zu
       erkennen.
       
       Aber das Auge täuscht. Der „Albatros“ genannte deutsche Delphin-Star
       Michael Groß war zwar rein körperlich raumgreifend (2,01 Meter Körpergröße
       bei einer Armspannweite von 2,13 Meter), aber ansonsten immer äußerst
       wortkarg. Nach 21 Olympia-, Weltmeister- und Europa-Medaillen promovierte
       er schließlich in Philologie mit einer Arbeit über „Ästhetik und
       Öffentlichkeit: Die Publizistik der Weimarer Klassik“.
       
       Die Schmetterlingstechnik ist das Orchideenfach unter den Schwimmern.
       Außerhalb von Ländern mit viel Meerzugang sieht man selten Laien, die sich
       dieser Technik bedienen. Schade. Ein bisschen mehr Demut könnte sich
       positiv auf die Gestaltung eines fairen Miteinanders im Wasser auswirken.
       
       1 Jul 2023
       
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