# taz.de -- Experte für Abschiebungshaft: „Ich sehe politisches Kalkül“
       
       > Die Ampel-Koalition plant Verschärfungen bei der Abschiebungshaft. Dafür
       > gebe es gar keinen Grund, sagt Rechtsanwalt Fahlbusch.
       
 (IMG) Bild: Abschiebeknast in Langenhagen in Niedersachsen: Inhaftierte haben keine Lobby
       
       taz: Herr Fahlbusch, die Bundesregierung will gut integrierten Geduldeten
       eine Bleibeperspektive geben. Gleichzeitig sollen ausreisepflichtige
       Straftäter*innen künftig länger in Abschiebungshaft genommen werden
       können. Ein sinnvolles Paket? 
       
       Peter Fahlbusch: Überhaupt nicht. Es gibt keinerlei belastbare
       Untersuchungen, dass die Länder besondere Probleme hätten,
       Straftäter*innen abzuschieben und dass eine verlängerte
       Abschiebungshaft irgendetwas verbessern würde. Bei einer Maßnahme, die
       derart tief in Grundrechte eingreift, sollte man doch mindestens mal
       Zahlenmaterial vorweisen können. Ich sehe da eher politisches Kalkül: Man
       will etwas für die Menschen, die schon lange hier sind, verbessern –
       endlich. Um das aber verkaufen zu können, glaubt die Bundesregierung
       offenbar, auf der anderen Seite auch etwas verschärfen zu müssen – und zwar
       bei den Menschen, die keine Lobby haben: Ausreisepflichtigen.
       
       Aber ja nicht bei allen, sondern nur bei Straftäter*innen. 
       
       [1][Aber wer sind denn Straftäter*innen?] Klar, da gibt es Leute, die
       für drei Jahre im Gefängnis sind, weil sie eine schwere Straftat begangen
       haben. Aber die muss man überhaupt nicht in Abschiebungshaft nehmen,
       sondern kann sie spätestens am letzten Tag ihrer Strafhaft in den Flieger
       setzen. Es gibt gar keinen Grund, hier noch mal mehrere Monate Haft
       anzuhängen, um dann erst die Abschiebung zu organisieren. Das ist
       unverhältnismäßig. Aber Straftäter*innen sind eben auch alle, die wegen
       einer vorsätzlichen Straftat mindestens sechs Monate bekommen haben. Da
       reicht es schon, wenn jemand rechtswidrig in Bayern einreist und vor dem
       falschen Gericht landet. Oder mehrfach ohne Ticket im Nahverkehr erwischt
       wurde oder irgendetwas mit verbotenen Betäubungsmitteln zu tun hatte.
       Welchen Grund gibt es denn, diese Leute länger in Abschiebungshaft zu
       nehmen als andere?
       
       Eigentlich ist die Haft nur für maximal drei Monate zulässig. Warum? 
       
       Weil in Deutschland das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gilt: Man darf
       einen Ausreisepflichtigen nicht einsperren, wenn klar ist, dass man ihn aus
       Gründen, die er selbst nicht zu verantworten hat, nicht innerhalb der
       nächsten drei Monate abschieben kann. Also zum Beispiel weil es keine
       Flugverbindung gibt oder weil die Zielstaaten die Leute nicht zurücknehmen.
       Ausnahmen davon gibt es bislang nur für Gefährder*innen, bei denen sind
       sechs Monate erlaubt – wie künftig auch bei Straftäter*innen. Und das ist
       einfach schlechte Gesetzgebung.
       
       Inwiefern? 
       
       Aus rechtlicher Sicht bedeutet das nicht, dass man Straftäter*innen
       standardmäßig länger in Haft nehmen darf. Die Behörden müssen auch hier in
       jedem Einzelfall belegen, dass sie es schaffen, eine Person in sechs
       Monaten abzuschieben. Das Problem des Nachweises verschiebt sich jetzt
       einfach im Beurteilungszeitraum von drei auf sechs Monate. In der Praxis
       wird das, fürchte ich, so aussehen, dass Behörden bei Straftäter*innen
       einfach ohne viel Prüferei sechs Monate Haft beantragen und viele Gerichte
       dem folgen werden.
       
       Wieso das denn, wenn die Rechtslage dies nicht hergibt? 
       
       Für Behörden und Gerichte ist das eine Arbeitserleichterung: Sie haben den
       Fall dann das nächste halbe Jahr nicht mehr auf dem Tisch. Aber wir reden
       hier darüber, Menschen in Haft zu nehmen. Und je länger diese Haft dauert,
       desto mehr und intensiver muss kontrolliert werden, ob sie angemessen ist.
       Ich habe in den letzten 20 Jahren weit über 2.000 Menschen in Haftverfahren
       vertreten und leider viele Dinge erlebt, die eigentlich nicht sein dürfen.
       So ist etwa die Hälfte aller Abschiebungshaftgefangenen zu Unrecht in Haft.
       
       Das ist ganz schön viel. Was läuft da schief? 
       
       Alles mögliche. Manche Leute sind haftunfähig, manchmal werden Verfahren
       der Betroffenen nicht mit der gebotenen Beschleunigung betrieben, bei
       anderen wiederum besteht gar keine Fluchtgefahr. Das sind dann zum Beispiel
       Leute, die von der Arbeit weg verhaftet werden. Und ich habe sogar erlebt,
       dass Menschen eingesperrt wurden, die nicht mal ausreisepflichtig waren.
       
       Wie kann das sein? 
       
       Wir als Gesellschaft interessieren uns nicht für diese Menschen. Die, denen
       man jetzt ein Bleiberecht anbietet, das sind die „guten Geflüchteten“. Aber
       die Ausreisepflichtigen, das sind halt die „schlechten“, die man loswerden
       will. Anders als im Strafprozessrecht bekommen die Leute nicht mal einen
       Pflichtverteidiger. Die meisten stehen ohne Anwalt da und haben gar keine
       Chance, sich zu wehren.
       
       Haben Sie Hoffnung, dass es unter der Ampel-Regierung besser wird? Die
       Grünen sind ja schon lange Kritiker*innen der Abschiebungshaft. 
       
       Seit Jahren heißt es bei den Grünen in verschiedenen Landesregierungen, man
       wolle sich bundesweit dafür einsetzen, dass die Abschiebungshaft
       abgeschafft wird. Aber [2][im Koalitionsvertrag] findet sich nur, dass man
       grundsätzlich keine Kinder und Jugendlichen mehr einsperren will. Das
       sollte doch das Mindeste sein – und das steht übrigens längst im Gesetz.
       Nicht mal die Pflichtverteidigung dieser Menschen hat es in den
       Koalitionsvertrag geschafft. Das ist wirklich ein Armutszeugnis.
       
       13 Jun 2022
       
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