# taz.de -- Erstes Migrationspaket der Ampel: Erleichtern und Verschärfen
       
       > Die Bundesregierung plant ein „Chancen-Aufenthaltsrecht“ und mehr
       > Abschiebehaft. Der Union geht das zu weit, den Linken nicht weit genug.
       
 (IMG) Bild: Für Geflüchtete aus der Ukraine entfielen viele Hürden. Nun soll es für alle Erleichterungen geben
       
       BERLIN taz | Man wolle „Migration und Integration aktiv gestalten, statt
       wie in den vergangenen 16 Jahren nur widerwillig zu verwalten“, sagt
       Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), als sie am Mittwoch das erste
       Migrationspaket der Ampelkoalition vorstellt.
       
       Einen „Dreiklang“ habe man geschaffen, sagt sie: Langjährige und gut
       integrierte Geduldete sollen ein einjähriges „Chancen-Aufenthaltsrecht“ auf
       Probe bekommen, Integrationskurse sollen künftig allen
       Asylbewerber*innen von Anfang an offenstehen. Es soll Erleichterungen
       in der [1][Fachkräfteeinwanderung] geben. Und ausreisepflichtige
       Straftäter*innen sollen länger als bisher in Abschiebehaft genommen
       werden können.
       
       Es sei der „Beginn eines Paradigmenwechsels in der Migrationspolitik“,
       erklärt auch Stephan Thomae, parlamentarischer Geschäftsführer der
       FDP-Fraktion. Und nicht weniger als diesen Paradigmenwechsel hat die
       Koalition aus SPD, Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag versprochen.
       
       Zentrales Element des Gesetzentwurfs, der der taz vorliegt, ist das
       sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht: Wer zum Stichtag 1. Januar 2022 seit
       fünf Jahren in Deutschland lebt und gut integriert ist, soll für ein Jahr
       eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe bekommen. In dieser Zeit bekommen die
       Betreffenden die Möglichkeit, die Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu
       erfüllen – darunter die Sicherung des Lebensunterhalts, Sprachkenntnisse
       und den Nachweis ihrer Identität.
       
       ## Integration statt Kettenduldung
       
       Ende 2021 hätten 136.605 Geduldete sich länger als fünf Jahre in
       Deutschland aufgehalten, heißt es im Gesetzentwurf. Diesen Menschen wolle
       man nun Chancen bieten. Damit beende man die „unsägliche“ [2][Praxis der
       Kettenduldungen], erklärt Faeser – und entlaste somit gleichzeitig die
       Ausländerbehörden.
       
       Der Zugang zu Integrationskursen soll künftig nicht mehr an die
       Erfolgsaussichten eines Asylverfahrens gekoppelt sein. Außerdem sollen
       verschiedene bisher befristete Aspekte des von der Großen Koalition 2019
       eingeführten Fachkräfteeinwanderungsgesetzes entfristet und der
       Familiennachzug für Fachkräfte soll leichter werden.
       
       Im Koalitionsvertrag hat die Ampelregierung auch eine
       „Rückführungsoffensive“ angekündigt. „Eine konsequente Rückführung ist im
       Interesse der Akzeptanz einer humanitären Migrationspolitik geboten“, heißt
       es dazu im Entwurf. Ausreisepflichtige Straftäter*innen sollen
       [3][künftig bis zu sechs Monate in Abschiebungshaft genommen werden
       können]. Diese ist eigentlich nur für maximal drei Monate erlaubt, eine
       Ausnahme davon galt bisher nur für Gefährder*innen.
       
       Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU),
       kritisiert, die Ampelkoalition schaffe mit dem Gesetz „massive Anreize für
       illegale Migration nach Deutschland“, indem sie jene „belohne“, die sich
       einer Ausweisung standhaft widersetzten.
       
       ## Grüne Änderungswünsche
       
       Die Grünen-Migrationsexpertin Filiz Polat hingegen betont gerade auch mit
       Blick auf die Erleichterungen, die für Geflüchtete aus der Ukraine möglich
       wurden: „Ziel muss sein, dem Eindruck einer Zweiklassengesellschaft, der
       Spaltung zwischen Flüchtlingsgruppen, entgegenzuwirken.“ Sie sagt auf
       taz-Anfrage aber auch: „Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es
       hineingekommen ist.“
       
       Man werde nach der Sommerpause dort, „wo es uns erforderlich, geboten oder
       wünschenswert erscheint“, Änderungswünsche einbringen. Polat dürfte auf die
       Ausweitung der Abschiebungshaft anspielen – die Grünen kritisieren dieses
       Instrument seit Langem.
       
       Entsprechend „nicht nachvollziehbar“ findet die Linken-Politikerin Clara
       Bünger die Zustimmung der Grünen-Minister*innen zum Gesetzentwurf. „Während
       Erleichterungen beim Familiennachzug auf sich warten lassen, trägt man ohne
       Not weitere Verschärfungen mit“, so die fluchtpolitische Sprecherin ihrer
       Fraktion.
       
       Pro Asyl [4][kritisiert zudem], dass das Gesetz zu spät komme: Der im
       Gesetz genannte Stichtag ist lange vergangen. „Bei Inkrafttreten des
       Gesetzes werden mehr Menschen mindestens fünf Jahre lang in Deutschland
       leben als am 1. Januar 2022. Diese werden jedoch nicht davon profitieren
       dürfen.“
       
       6 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /FDP-Plaene-zur-Einwanderungspolitk/!5862303
 (DIR) [2] /Leben-ohne-Aufenthaltserlaubnis/!5799398
 (DIR) [3] /Experte-fuer-Abschiebungshaft/!5860137
 (DIR) [4] https://www.proasyl.de/pressemitteilung/pro-asyl-zum-chancen-aufenthaltsrecht-noch-immer-zu-viele-huerden-fuer-eine-dauerhafte-perspektive/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dinah Riese
       
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