# taz.de -- Gewalt in Nigeria: Kein Frieden für Amina
       
       > Nördlich von Nigerias Hauptstadt ist von staatlicher Ordnung wenig zu
       > sehen. Gewalt nimmt den Menschen ihre Existenzgrundlage.
       
 (IMG) Bild: Amina Jibrin überlebte mit viel Glück ein Massaker, dem kurz vor Nigerias Wahlen im Februar rund 130 Menschen zum Opfer fielen
       
       KADUNA taz | Unter dem Mangobaum steht alles, was Amina Jibrin noch
       besitzt: ein paar bunte geflochtene Matten, ein Gebetsteppich, ein großes
       Plastikfass, ein Kochtopf. Eine Plane soll die Matratze vor dem Regen
       schützen. Von einem Ast baumelt eine Gebetskette mit Perlen in Beige.
       
       Etwas zu essen hat die staatliche nigerianische Nothilfeagentur gebracht,
       als sie von dem informellen Flüchtlingslager an der Straße nach Wuro Gaya
       erfuhr. Dabei ist die Straße nur ein Trampelpfad im Süden des
       nigerianischen Bundesstaates Kaduna. Schon in der Trockenzeit ist sie kaum
       mit dem Auto erreichbar. Sobald der Regen einsetzt, wird sie unpassierbar.
       Dann werden auch die Äste des Mangobaums der 45-Jährigen und den fünf
       Kindern, für die sie sorgt, keinen Schutz bieten.
       
       Amina Jibrin starrt in die Ferne, wenn sie von ihrer Flucht erzählt. Ihr
       Dorf Anguwan Dorawa wurde im Februar überfallen, am frühen Morgen, als die
       Kinder zur Schule aufbrachen. „Plötzlich kamen sie zurück und erzählten von
       bewaffneten Männern“, erinnert sich Amina Jibrin. Sie rannte um ihr Leben.
       
       Vielen anderen Menschen gelang die Flucht nicht. Bei dem Massaker starben
       130 Menschen. Gouverneur Nasir el-Rufai, der am vergangenen Samstag
       wiedergewählt wurde, sprach anfangs von 66 Toten. Dafür erhielt er viel
       Kritik.
       
       Insgesamt sind im Februar im Bundesstaat Kaduna mindestens 180 Menschen
       gewaltsam zu Tode gekommen. Am vergangenen Wochenende starben erneut 16
       Personen. Doch erst am Mittwochmorgen hat die Landesregierung für den
       Landkreis Kajuru eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.
       
       Über WhatsApp werden Fotos von Leichen verschickt. Unter den Opfern sind
       auch alte Menschen und Kinder.
       
       „Nur Gott weiß, wer wirklich dahinter steckt“, sagt Amina Jibrin zu dem
       Massaker in ihrem Dorf, „wir gehen davon aus, dass es die Kadara waren. Das
       sind unsere Nachbarn.“ Die Kadara, auch Adara genannt, sind eine der
       zahlreichen ethnischen Gruppen der Region. Eine Erklärung, warum
       ausgerechnet sie verantwortlich sein sollen, hat die Frau nicht.
       
       Eine knappe Autostunde entfernt in der Kreisstadt Kajuru hält Lara Karmu
       ihr Töchterchen auf dem Arm. Die Kleine hat tränende Augen, will nicht
       essen und sieht krank aus. Auch ihr Dorf Maro wurde überfallen, weshalb sie
       in die Grundschule von Kajuru geflüchtet ist. Dutzende Frauen und Kinder
       sind seit dem 27. Februar hier. 40 Menschen wurden in Maro getötet. Von
       wem? „Es waren die Fulani“, sagt Lara Karmu. Sie weiß aber nicht, ob das
       stimmt.
       
       Die Mutmaßungen und Anschuldigungen machen die Lage kompliziert, sagt Saleh
       B. Momale, Kommissar der staatlichen Friedenskommission. Diese bringt
       Behörden, nichtstaatliche Organisationen, Sicherheitsdienste sowie
       Religionsvertreter und traditionelle Machthaber zusammen, um den Ursachen
       von Gewalt nachzugehen. „Ethnizität wird genutzt, um Konflikte anzuheizen“,
       sagt Momale. „Durch die massive Gewalt vertiefen sich die Gräben. Kaduna
       hat eine lange Geschichte von Gewalt und politischer Bitterkeit.“
       
       Seit Mitte der 1980er Jahre kommt es im Bundesstaat regelmäßig zu schweren
       Ausschreitungen. Was als Gewalt zwischen muslimischen und christlichen
       Studenten begann, weitete sich 2000 und 2002 im Rahmen der
       Scharia-Einführung zu Pogromen mit Hunderten Toten aus. Zu schweren Kämpfen
       kam es im Umfeld der Präsidentschaftswahl von 2011, als klar wurde, dass
       der heutige Präsident und damalige Oppositionsführer Muhammadu Buhari
       verloren hatte. Im Ort Kafanchan brannten der Markt, Kirchen, Moscheen und
       ganze Straßenzüge nieder. Buhari wird bis heute vorgeworfen, seine Anhänger
       nicht zurückgehalten zu haben.
       
       ## Friedliche Wahlen
       
       „Es ist ein Erfolg, dass es dieses Mal nach der Präsidentschaftswahl
       friedlich geblieben ist“, sagt Saleh B. Momale. Im Vorfeld habe man
       Politiker, ihre Parteien und religiöse Meinungsführer zusammengebracht
       sowie die Wahlkampfrhetorik untersucht. Auch hätten sich die
       Sicherheitskräfte diplomatischer verhalten.
       
       Bisher ist es auch nach den Gouverneurswahlen ruhig geblieben. Dabei galt
       gerade der Süden Kadunas als gefährdet, da sich Gouverneur el-Rufai dort im
       Laufe der Jahre unbeliebt gemacht hat. Dazu beigetragen hatte vor den
       Wahlen seine Äußerung, dass die Christen ihn nicht wählen würden, selbst
       wenn er den Papst zu seinem Vize machen würde.
       
       John Joseph Hayab, Vorsitzender des christlichen Dachverbandes CAN
       (Christliche Vereinigung Nigerias) im Bundesstaat Kaduna, sagt: „Der Wille
       fehlt, die Gewalt wirklich zu stoppen.“ Die ländliche Region werde kaum
       geschützt. Hayab kritisiert, dass selbst nach Überfällen nichts geschieht.
       „Warum werden Sicherheitskräfte sofort wieder abgezogen?“ Über den Einsatz
       von Armee oder Polizei entscheidet in Nigeria die Zentralregierung –
       Landesregierungen können aber Sicherheitskräfte anfordern.
       
       Laut Friedenskommissar Momale wird in der aktuellen Diskussion eines außer
       Acht gelassen: „In den vergangenen zehn Jahren ist es im Norden Nigerias zu
       einem starken Anstieg von Gewalt durch bewaffnete Gangs gekommen. Diese
       Banden haben weder eine ethnische noch eine religiöse Identität.“ Sie seien
       in Netzwerken ähnlich denen des Drogenhandels zusammengeschlossen, würden
       gezielt Häuser überfallen oder Menschen umbringen. Sehen würde man nur die
       lokalen Akteure, aber nicht die Hintermänner. „Das ist alles viel
       komplexer. Wir fordern die Sicherheitskräfte auf, die Netzwerke
       aufzudecken.“
       
       Amina Jibrin wünscht sich unterdessen nur eins: „Wir brauchen einen Ort, an
       dem wir leben können.“
       
       13 Mar 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Gänsler
       
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