# taz.de -- Hongkongs Polizei macht Druck: Schlag gegen Protestbewegung
       
       > In Hongkong werden 15 Führer des prodemokratischen Lagers verhaftet. Im
       > Schatten der Pandemie droht der Bewegung jetzt die Zerschlagung.
       
 (IMG) Bild: Der Hongkonger Verleger Jimmy Lai wird am Samstag von der Polizei festgenommen
       
       PEKING taz | Als der Rechtsanwalt Martin Lee in einem Interview nach
       Hongkongs zentralen Werten gefragt wurde, entgegnete der 81-Jährige: „Mit
       Sicherheit brauchen wir Menschenrechte, Rechtsstaat, Gleichheit und
       Religionsfreiheit.“ In China hingegen würden die Menschen nur dem „Geld“
       folgen. „Es sind zwei unterschiedliche Kulturen, nicht nur zwei
       unterschiedliche Systeme“, sagte Lee, der in Hongkong auch als „Vater der
       Demokratie“ bezeichnet wird.
       
       Am Samstag wurde er festgenommen, zusammen mit 14 weiteren Köpfe aus dem
       pro-demokratischen Lager, darunter Ex-Abgeordnete, Anwälte und der Verleger
       [1][Jimmy Lai]. Der war der Gründer der Peking-kritischen Zeitung Apple
       Daily.
       
       Ihnen allen wird vorgeworfen, illegale Proteste organisiert oder beworben
       zu haben. Es ist das bisher schärfste Vorgehen gegen die
       [2][Protestbewegung, die 2019 über Monate die Stadt prägte].
       
       Die heftigste Kritik kam wenig überraschend aus den USA. „Hongkongs Führung
       und Peking machen Hongkongs Rechtssystem zu einer Farce für die
       Kommunistische Partei“, schrieb US-Senator Marco Rubio auf Twitter.
       
       ## Demonstrationsverbot wegen Corona
       
       [3][Joshua Wong], das junge Gesicht der Hongkonger Protestbewegung,
       twitterte: „Es ist verrückt, dass die Hongkonger Polizei den 81-jährigen
       Martin Lee verhaftet. Seit fast 40 Jahren setzt er sich für Demokratie und
       Menschenrechte in Hongkong ein“.
       
       Der 23-jährige Wong beschuldigt Hongkongs Polizei, sein Smartphone gehackt
       zu haben und die Daten an „4.000 in Hongkong stationierte Sicherheitskräfte
       Chinas “ weiterzuleiten.
       
       Auch Hongkong leidet derzeit unter der Coronaviruspandemie. Sie hat die
       Protestbewegung ausgebremst. Zwar gibt es bisher nur vier bestätigte
       Coronatote in der Stadt, doch öffentliche Zusammenkünfte wie
       Demonstrationen sind auf unbestimmte Zeit untersagt.
       
       Peking hatte zuletzt Hongkongs Regierung gedrängt, Nationale
       Sicherheitsgesetze zu verabschieden, die laut Kritikern die
       Zivilgesellschaft weiter einengen und Pekings Einfluss in der eigentlich
       autonomen Stadt erhöhen würden.
       
       ## Trauer über das Ende des Prinzips „ein Land, zwei Systeme“
       
       „In meinem Umfeld sind die Menschen regelrecht wütend“, sagt der 34-jährige
       Sozialarbeiter Lemon Fok, der sich zum moderaten Teil der Protestbewegung
       zählt: „Bei meiner Elterngeneration herrschen vornehmlich Trauer und
       Hoffnungslosigkeit, dass dies nun das Ende der ‚ein Land, zwei
       Systeme‘-Doktrin ist.“
       
       Die chinesisch-britische Erklärung von 1984 garantiert Hongkong ein „hohes
       Maß an Autonomie“ nach dem Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ bis mindestens
       2047 – 50 Jahre nach Rückgabe der britischen Kolonie.
       
       Doch am Freitag erklärte erstmals Pekings Verbindungsbüro in Hongkong, die
       höchste Repräsentanz des Festlands in der Sonderverwaltungszone, dass es
       nicht den verfassungsrechtlichen Beschränkungen der halbautonomen Stadt
       unterliege.
       
       Man sei berechtigt, sich an Hongkonger Angelegenheiten zu beteiligen.
       Unverblümt hieß es: Hongkongs Recht auf Selbstverwaltung sei „von der
       Zentralregierung genehmigt und „ein hohes Ausmaß an Autonomie ist keine
       vollständige Autonomie“. Die Zentralregierung hätte „Aufsichtsbefugnisse“
       über die „autorisierte“ Stadtregierung.
       
       Für die Kommunistische Partei war vor allem der [4][Erdrutschsieg des
       prodemokratischen Lagers bei den Bezirkswahlen im November] ein Schlag ins
       Gesicht. Bis dato hatte die Regierungsriege rund um Präsident Xi Jinping
       die Protestler stets als radikale Vandalen abgetan, die keinen Rückhalt in
       der breiten Bevölkerung hätten.
       
       ## Erst Hongkong, dann Taiwan?
       
       Seitdem erwarteten Beobachter eine demonstrative Machtansage Pekings, die
       jedoch zunächst ausblieb. Nun, sind sich viele Beobachter sicher, beginne
       die Niederschlagung der Protestbewegung.
       
       In Chinas kontrollierten Medien wurde über die Festnahmen in Hongkong nur
       am Rande berichtet. Ein Nutzer auf dem Kurznachrichtendienst Weibo fordert,
       die Anwälte Hongkongs „zurück nach Großbritannien“ zu schicken, schließlich
       würde der ehemalige Kolonialmacht noch immer das Rechtssystem in Hongkong
       kontrollieren.
       
       Ein anderer Nutzer kommentiert: „Als nächstes wird Tsai Ing-wen dran sein“.
       Tsai ist Taiwans im Januar mit einem [5][deutlichen Sieg wiedergewählte
       Präsidentin], die einen Peking-kritischen Kurs steuert.
       
       19 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Kretschmer
       
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