# taz.de -- Ikone der Nein-heißt-Nein-Bewegung: Kurzer Prozess
       
       > Nach eineinhalb Stunden Revisionsverfahren stützt ein Richter das Urteil
       > gegen Gina-Lisa Lohfink. Sie hatte zwei Männern Vergewaltigung
       > vorgeworfen.
       
 (IMG) Bild: Weiß, dass sie bei keiner Modenschau ist: Gina-Lisa Lohfink vor Gericht
       
       BERLIN taz | Der Mann, der sie gefilmt und die Aufnahmen mit dem Titel
       „Vergewaltigungsvideo“ ins Internet gestellt hat, sitzt als Zuschauer im
       Gerichtssaal und trägt ein Shirt mit der Aufschrift AMK. Das schreiben
       Menschen online, wenn sie sich über etwas ärgern. AMK ist die Abkürzung für
       einen türkischen Satz, der sich am ehesten mit „Ich steck's dir in die
       Muschi“ übersetzen lässt.
       
       Doch Gina-Lisa Lohfink sieht weder Sebastian Castillo Pinto noch die
       Buchstaben auf seinem Shirt. Sie sitzt neben ihrem Anwalt, hat dem Publikum
       im Gerichtssaal den Rücken zugedreht und blickt ins Leere. „Ich weiß, mein
       Aussehen ist extrem, aber trotzdem bin ich auch ein Mensch“, sagt sie. Ihre
       Stimme ist belegt. „Das hat nichts mit euch zu tun“, versichert sie und
       schaut zur Richterbank, „aber darüber zu reden geht einfach an die Psyche“.
       Richter Ralf Fischer, der ihrem Revisionsverfahren vorsitzt, reagiert nicht
       auf die Anrede.
       
       Zwischendurch sieht es aus, als wolle ihr Anwalt Lohfink unterbrechen. Dann
       lässt er seine Mandantin doch ausreden und erzählen, dass ihr die meisten
       Menschen böse vorkommen. Dass sie nicht gern vor Gericht sitzt. Dass sie
       das Verfahren nicht für eine Modenschau hält, auch wenn sie sich schön
       anzieht. Dass sie nicht mehr ohne Personenschützer aus dem Haus geht.
       
       Schließlich atmet Lohfink aus, drückt den Rücken durch und verschränkt die
       Hände. Die 30-Jährige weiß noch nicht, dass Richter Fischer das Urteil
       gegen sie für rechtskräftig erklären wird. Er wird die Revision
       größtenteils ablehnen und sagen, dass das Amtsgericht Berlin Tiergarten sie
       zu Recht wegen falscher Verdächtigung schuldig gesprochen hat.
       
       ## Symbol für die Debatte um das Sexualstrafrecht
       
       Das Model Gina-Lisa Lohfink hatte 2012 zwei Männer angezeigt. Sie
       beschuldigte die beiden, sie über zwölf Stunden in einer Berliner Wohnung
       eingesperrt und mehrfach vergewaltigt zu haben. Lohfink gab an, einen
       Filmriss zu haben und vermutete K.O.-Tropfen. Hauptbeweisstück war das
       Video. Das Verfahren wurde eingestellt. Die beiden Männer zeigten Lohfink
       an und setzten einen langen, öffentlich verfolgten Prozess in Gang.
       
       Durch den Rechtsstreit wurde das Model zum Symbol für die Debatte um das
       Sexualstrafrecht. An fast jedem Verhandlungstag standen Demonstranten vor
       dem Gerichtsgebäude und hielten Plakate mit „Nein heißt Nein“ und
       „#teamginalisa“ in die Fernsehkameras. Frauenrechtler hatten schon länger
       von der Regierung gefordert, den Vergewaltigungsparagrafen im
       Strafgesetzbuch zu überarbeiten. Im Juli 2016 änderte der Bundestag das
       Gesetz: Inzwischen gilt es auch als Vergewaltigung, wenn das Opfer sich
       nicht körperlich wehrt, sondern nur verbal. Im August wurde Lohfink zur
       Zahlung von 80 Tagessätzen zu je 250 Euro verurteilt.
       
       Am Tag der Revisionsverhandlung stehen keine Demonstranten mehr vor dem
       Gebäude des Berliner Kammergerichts. Es handelt sich um eine Sprungrevision
       – das heißt, das Berufungsverfahren in erster Instanz wurde übersprungen.
       Bei der Sprungrevision werden keine Zeugen mehr gehört. Stattdessen liest
       der Strafsenat Akten und diskutiert mit den Prozessbeteiligten über
       Rechtsfragen.
       
       Lohfinks Anwalt Burkhard Benecken argumentiert, dass das Amtsgericht die
       Höhe der Strafe nicht ausreichend begründet habe. Er kritisiert die Länge
       des Verfahrens. Vor allem aber fordert er, dass Fischer den Schuldspruch
       für ungültig erklärt. Zu den Verfahrensfehlern des Gerichts gehöre eine
       falsche Interpretation der Aussage, die Lohfink 2012 bei der Polizei
       gemacht hatte.
       
       ## Gehalt anhand von Medienberichten geschätzt
       
       Lohfink war allein zur Polizei gegangen, nachdem sie die Videos gesehen
       hatte. Sie gab zu Protokoll, dass sie high und betrunken gewesen sei – und
       formulierte: „Ich vermute, mir sind K.O.-Tropfen gegeben worden.“ Sie wisse
       aber nicht, wann und von wem. Ihr Verteidiger sieht das nicht als konkrete
       Beschuldigung der beiden Männer. Ansonsten habe Lohfink nur ihre
       Wahrnehmung geschildet. „Wenn man diese Videos gesehen hat“, sagt Benecken,
       „sieht man, dass die Schilderungen absolut zurücknehmend sind“.
       
       In den Videos sagt Lohfink mehrfach „Hör auf“ und „Nein“, einmal wird sie
       gewürgt, ein paar Mal versucht sie mit beiden Händen ihren Schritt zu
       schützen. Benecken meint, mehr als das habe sie bei der Polizei auch nicht
       behauptet. Seine Mandantin nickt heftig.
       
       Als weiteren Verfahrensfehler sieht der Anwalt, dass die Öffentlichkeit
       nicht ausgeschlossen wurde, bevor die Videos im Gerichtssaal liefen. Ihm
       gegenüber hätte die Richterin vorher versichert, die Öffentlichkeit
       auszuschließen. Weil er sich am Tag der Videovorführung beschwerte, drehte
       die Richterin den Laptop spontan vom Saal weg und schaltete den Ton aus.
       Mit diesem Kompromiss ist Benecken nicht einverstanden, weil der Ton „ganz
       entscheidend“ gewesen sei, um Lohfinks Aussage zu stützen.
       
       Den Richter Ralf Fischer überzeugen die Argumente nicht. Er lässt
       durchblicken, dass er den „weitschweifigen“ Revisionsantrag für chaotisch
       und zu wenig auf eine Sprungrevision zugeschnitten findet. Das Amtsgericht
       habe „souverän“ und „sorgfältig“ geurteilt bis auf einen kleinen Fehler:
       Die Höhe der Tagessätze sei tatsächlich nicht gut begründet gewesen. Denn
       das Amtsgericht schätzte Lohfinks Gehalt „ohne ausreichende Grundlagen“
       anhand von Medienberichten, laut denen sie plante, im Dschungelcamp
       teilzunehmen.
       
       ## „Bärendienst“ an „wirklich verurteilten Frauen“
       
       „Ich verstehe nicht, warum die Angeklagte überhaupt zu jedem Tag der
       Hauptverhandlung erschienen ist, obwohl sie das so belastet hat“, sagt
       Fischer. Denn sie hätte auch fernbleiben und nur ihren Verteidiger schicken
       können. Laut Fischer gibt es nur zwei Erklärungen: Entweder habe sie den
       öffentlichen Rummel genossen oder ihr Anwalt habe ihr verheimlicht, dass
       sie nicht kommen braucht, weil er Medienberichte als PR für sich wollte.
       
       Zu Lohfink sagt Fischer, sie habe „allen wirklich vergewaltigten Frauen
       einen Bärendienst erwiesen“. Ihre Verurteilung solle nicht so interpretiert
       werden, als ob Opfer sexueller Gewalt nicht zur Polizei gehen könnten. Dann
       empfiehlt er Lohfink noch: „Wenn Sie wirklich gelitten haben, sollten Sie
       einen Verteidiger suchen, der Ihre Interessen wahrt und nicht seine
       eigenen. Wenn er dann noch was von Strafrecht verstünde, wäre das ein
       echter Gewinn.“
       
       Das Amtsgericht wird die Höhe der Tagessätze neu festlegen. Die Anzahl der
       Tagessätze und der Schuldspruch als solche bleiben aber bestehen. Als
       Fischer sein Urteil spricht, hat Lohfink Tränen in den Augen. Ein Zuschauer
       klatscht laut Beifall. Es ist Sebastian Castillo Pinto.
       
       10 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jana Anzlinger
       
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