# taz.de -- Inflation und Streiks: Sind hohe Lohnforderungen richtig?
       
       > Ob im Öffentlichen Dienst, auf Flughäfen, bei der Post oder Bahn:
       > Gewerkschaften fordern derzeit stark steigende Löhne. Heizt das die
       > Inflation an?
       
 (IMG) Bild: Bundesweit wird gerade für mehr Geld gestreikt: FlughafenmitarbeiterInnen in Düsseldorf am Montag
       
       BERLIN taz | Derzeit gehen die Gewerkschaften mit ungewöhnlich hohen
       Lohnforderungen in die Tarifverhandlungen. Für die Beschäftigten der
       Deutschen Post verlangt Verdi 15 Prozent mehr Geld, für den Öffentlichen
       Dienst 10,5 Prozent. Die Eisenbahn-Gewerkschaft EVG will 12 Prozent mehr
       durchsetzen. In einigen Branchen gab es bereits Arbeitsniederlegungen. Am
       Montag gab es Warnstreiks auf den Flughäfen in Düsseldorf und Köln/Bonn, am
       Dienstag ließen BusfahrerInnen, ErzieherInnen und MitarbeiterInnen in den
       Ämtern von NRW die Arbeit ruhen. Sind die hohen Forderungen gefährlich,
       weil sie die Inflation weiter antreiben – oder gerechtfertigt?
       
       Was ist eine Lohn-Preis-Spirale? 
       
       Hinter diesem Begriff verbirgt sich die ökonomische Analyse, dass zu hohe
       Lohnsteigerung die Inflation anheizen könnten. Zwar reagieren die
       Organisationen der Beschäftigten damit auf Preiserhöhungen und verlangen
       einen Ausgleich dafür, dass die Lebenshaltungskosten ihrer Mitglieder
       steigen. Doch überhöhte Forderungen können bewirken, dass die Preise
       zusätzlich wachsen. Dadurch wäre nichts gewonnen – außer einer Begründung
       für noch höhere Lohnforderungen. Denn: Wird die Inflation angeheizt und die
       Preise und realen Lebenshaltungskosten steigen weiter, wird auch die Frage
       nach höheren Löhnen wieder laut.
       
       Woher kommt die Inflation momentan? 
       
       Wesentliche Ursache für die derzeitige Inflation sind die starken
       Preissteigerungen für Energie nach dem Angriffskrieg von Russland auf die
       Ukraine. Viele Unternehmen und Privathaushalte bezahlen jetzt doppelt so
       viel für Erdgas wie zuvor. Hinzu kamen in manchen Branchen eine hohe
       Nachfrage und Lieferkettenprobleme, die Unternehmen nicht schnell genug
       befriedigen konnten. Aber: Die Preissteigerungen hatten bislang nichts mit
       den Löhnen der Beschäftigten zu tun.
       
       Wann sind Lohnforderung zu hoch? 
       
       Eine einfache Antwort auf die Frage, welche Lohnforderungen von
       Gewerkschaften nun angemessen sind oder nicht, gibt es wohl nicht.
       Alexander Kriwoluzky vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
       in Berlin sagte dazu: „Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale besteht
       beispielsweise dann, wenn die Lohnabschlüsse wesentlich über der
       Inflationsrate liegen, weil Arbeitgeber und Gewerkschaften eine weiter
       steigende Inflation annehmen.“ Demnach könnten sich die Forderungen von
       Verdi oder der Eisenbahn-Gewerkschaft EVG also an der derzeitigen
       Inflationsrate orientieren, damit diese nicht überborden.
       
       Sind die Löhne derzeit denn viel zu niedrig? 
       
       Um beurteilen zu können, wie sehr die Höhe der Löhne und die Höhe der
       derzeitigen realen Lebensunterhaltungskosten auseinander gehen, muss man
       die Gehaltssteigerungen der Beschäftigten 2022 und die aktuellen
       Lohnforderungen mit der Inflationsrate vergleichen. Während die
       Bruttomonatsverdienste von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im
       vergangenen Jahr um 3,4 Prozent wuchsen, erhöhten sich die
       Verbraucherpreise um 7,9 Prozent, teilte das Statistische Bundesamt mit.
       Unter dem Strich sanken die Reallöhne um durchschnittlich 4,1 Prozent. Aus
       Sicht der Gewerkschaften erscheint es deshalb gerechtfertigt, diesen
       Verlust ebenso auszugleichen wie die Inflation im laufenden Jahr, die laut
       ExpertInnen bei sechs bis acht Prozent liegen könnte.
       
       Was spielt sonst eigentlich eine ausschlaggebende Rolle bei
       Lohnverhandlungen? 
       
       „Nachvollziehbare Lohnforderungen basieren oft auf drei Größen: der
       Inflationsrate, dem Zuwachs der Produktivität und einer
       Umverteilungskomponente“, erklärte DIW-Ökonom Kriwoluzky. Dabei beschreibt
       die Steigerung der Produktivität den technischen Fortschritt in einem
       Unternehmen, wodurch sich deren Einnahmen erhöhen. Und die
       Umverteilungskomponente betrifft einen vertretbaren Anteil am Gewinn. „Vor
       diesem Hintergrund erscheinen Forderungen von zehn Prozent oder mehr
       derzeit durchaus plausibel.“ Dadurch würde der Faktor Arbeit für die Firmen
       auch nicht über Gebühr teurer, sodass diese deshalb nicht gezwungen wären,
       ihre Preise weiter hochzuschrauben.
       
       Und was spricht für eine Lohn-Preis-Spirale? 
       
       EZB-Chefvolkswirt Philip Lane erklärt das Phänomen so: „Die Lohninflation
       wird in den nächsten Jahren ein Haupttreiber der Preisinflation sein,
       selbst wenn Energie- und Pandemiefaktoren aus der Inflationsmessung
       verschwinden.“ Hintergrund der Sorge ist, dass die Lohnsteigerungen länger
       anhalten könnten als die Inflation. Während ausgehandelte höhere Löhne dann
       über Jahre hinweg gelten, könnte die Inflation in der Zwischenzeit längst
       zurückgegangen sein. Die Löhne würden sich im Vergleich also zu stark
       erhöhen – und in der Folge auch die Preise.
       
       28 Feb 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
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