# taz.de -- Insolvenzantragspflicht gilt wieder: Mehr Pleiten, weil Sonderregeln
       
       > Ab Oktober müssen zahlungsunfähige Unternehmen wieder zügig Insolvenz
       > anmelden. Das trifft vor allem kleine Einzelhändler.
       
 (IMG) Bild: Besonders für kleine Unternehmen könnte es schwer werden
       
       BERLIN taz | Krise fühlt sich anders an. Zwar hat die Coronapandemie die
       Weltwirtschaft im ersten Halbjahr 2020 in eine tiefe Rezession gestürzt.
       Und auch die deutsche Wirtschaft wird nach derzeitiger Einschätzung des
       Münchner Ifo-Instituts im laufenden Jahr um 5,2 Prozent schrumpfen. Doch
       bislang hat die Krise nicht zu Massenarbeitslosigkeit geführt. Staatliche
       Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld halten viele Betriebe bislang am Leben.
       
       Eine wirkungsvolle Regel endet aber zum 1. Oktober. Mussten seitdem
       Frühjahr Firmen, die überschuldet oder zahlungsunfähig waren, nicht mehr
       zwingend Insolvenz anmelden, gilt diese Lockerung bei Zahlungsunfähigkeit
       nun nicht mehr. Für überschuldete Unternehmen gilt die Lockerung noch bis
       Jahresende. 90 Prozent aller Pleiten erfolgen aber aufgrund von
       Zahlungsunfähigkeit.
       
       „Es wird klar einen deutlichen Anstieg der Insolvenzzahlen geben, wenn die
       Sonderregeln wieder auslaufen“, fürchtet Sebastian Dullien, Direktor des
       gewerkschaftsnahen [1][Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung
       (IMK)]. Inwieweit das gesamtwirtschaftlich dramatisch sein wird, müsse
       jedoch abgewartet werden. „Zum Teil werden einfach jene Insolvenzen
       nachgeholt, die es in den vergangenen Monaten nicht gegeben hat.“
       
       Ähnliches befürchtet auch der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum. „Es ist aus
       meiner Sicht tatsächlich mit einer Insolvenzwelle zu rechnen. Allerdings
       könnte sie etwas milder ausfallen als zunächst noch befürchtet, denn in
       vielen Branchen hat sich die Auftragslage in den vergangenen 2-3 Monaten
       doch erheblich verbessert.“
       
       ## Meiste Firmen haben doch ganz gute Polster
       
       Südekum verweist darauf, dass die diversen Stützungsmaßnahmen der
       Regierung, etwa die Liquidititätskredite der KfW, nicht so stark in
       Anspruch genommen wie zunächst gedacht. Das deute darauf hin, dass die
       meisten Firmen doch ganz gute Polster aus den 10 außerordentlich
       erfolgreichen Jahren vor der Krise hatten, die sie jetzt durch die Krise
       gebracht haben.
       
       Als zahlungsunfähig gilt, wer mehr als 10 Prozent seiner Rechnungen nicht
       begleichen kann. Die Firma muss dann innerhalb von drei Wochen einen
       Finanzplan vorlegen, der darlegt, wie innerhalb von drei bis sechs Monaten
       sämtliche ausstehenden Rechnungen gezahlt werden. Diese Pflicht war seit
       dem Frühjahr ausgesetzt. Nun gilt sie wieder. Und sie dürfte vor allem
       kleine Unternehmen treffen: Gastronomie, Kulturbetriebe, kleine Buchläden
       und Einzelhändler um die Ecke.
       
       Aber auch für viele Unternehmen der besonders von Corona gebeutelten Reise-
       und Veranstaltungsbranche dürften die kommenden Monate hart werden. Der
       Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) hat erst jüngst in einer
       Umfrage unter seinen Mitgliedsunternehmen ermittelt, dass 61 Prozent ihre
       Existenz gefährdet sehen.
       
       Für die Beschätigten, deren Firmen in die Insolvenz gehen, stehen Ökonom
       Südekum zufolge erstmal schwere Zeiten an. Denn es werde nicht so einfach
       werden wie vor der Krise, einfach anderswo einen neuen Job zu finden. „Die
       Beschäftigungsdynamik wird erstmal noch abgeschwächt sein“, sagt Südekum.
       „Diese Menschen sind auf dem Arbeitsmarkt die deutlichsten
       Corona-Verlierer.“
       
       ## Keine Insolvenzwelle
       
       Christoph Niering vom [2][Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands]
       (VID) rechnet dennoch nicht mit einer Insolvenzwelle. Das Kurzarbeitergeld,
       das bis Ende 2021 verlängert wurde, und andere Überbrückungshilfen dürften
       viele Betriebe am Leben halten.
       
       Ökonom Steffen Müller vom eher marktgläubigen Institut für
       Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle sieht in der Verlängerung des
       Kurzarbeitergeldes hingegen das Hauptproblem. Wenn sich die beginnende
       Erholung der Wirtschaft fortsetze, sei klar, dass dann vor allem solche
       Betriebe von dem Instrument Gebrauch machten, die schon vor Corona Probleme
       hatten. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sieht Müller weniger als
       Problem.
       
       Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat ohnehin vor,
       Unternehmen in finanzieller Not über Corona hinaus Möglichkeiten zur
       Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens zu geben. Ihr Gesetzentwurf
       sieht vor, Unternehmen, denen es gelingt, Gläubigern eine realistische
       Perspektive aufzuzeigen, ein Sanierungskonzept auch außerhalb eines
       Insolvenzverfahrens zu ermöglichen. Im April 2021 soll das Gesetz in Kraft
       treten – wahrscheinlich zu spät für viele Betriebe.
       
       29 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.boeckler.de/de/ansprechpartner-innen-2705-prof-dr-sebastian-dullien-2937.htm
 (DIR) [2] https://www.vid.de
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Felix Lee
       
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