# taz.de -- Kampagne „Wir zahlen nicht“: Aufruf zum Strompreis-Boykott
       
       > Aufgrund der Preissteigerungen ruft eine Initiative dazu auf, die
       > Stromrechnungen nicht mehr zu zahlen. Eine Million Menschen sollen
       > mitmachen.
       
 (IMG) Bild: Wann gehen hier die Lichter aus?
       
       BERLIN taz | Die neu gegründete Initiative „Wir zahlen nicht“ ruft dazu
       auf, kollektiv die Stromrechnungen zu boykottieren. Ihr Ziel ist es, eine
       Million Menschen landesweit dazu zu bewegen, ihre Rechnungen nicht mehr zu
       bezahlen. „Energie ist ein Grundrecht und muss bezahlbar sein“, so
       Mitinitiatorin Maria Bach bei der Vorstellung der Kampagne am Dienstag.
       Erst wenn die Zahl zustande gekommen ist oder sich lokal ein ausreichend
       großer Prozentsatz der Haushalte für den Boykott registriert hat, sollen
       die Rechnungen tatsächlich nicht mehr gezahlt werden.
       
       Der Startschuss für die Kampagne nach dem [1][britischen Vorbild „Don't pay
       UK“] fiel im Rahmen einer Pressekonferenz im Roten Salon der Volksbühne.
       Parallel dazu ging die Website [2][wirzahlennicht.info] online, auf der
       sich alle potenziell Beteiligten registrieren sollen. Ein Zähler gibt an,
       wie viele Menschen das bereits getan haben.
       
       „Mit dem Eintreffen der Stromrechnungen in den vergangenen Monaten merken
       jetzt viele, dass es nicht nur bei Lebensmitteln knapp wird, sondern auch
       an die Energieversorgung geht“, hatte Kampagnensprecher Marvin Felder der
       taz bereits im Vorfeld gesagt. Man wolle zeigen, dass das Leiden unter den
       hohen Preisen „kein individuelles, sondern ein kollektives Problem“ ist.
       
       Weil Nebenkosten nicht ohne die Gefahr einer Kündigung des Mietvertrags
       einbehalten werden können, konzentriere man sich auf den Strom. „Hier sehen
       wir einen politischen Hebel“, erklärt Nadine Deich von „Wir zahlen nicht“.
       Für Nichtzahlende droht zunächst eine Mahnung und im schlimmsten Fall das
       Abstellen. Laut Bundesnetzagentur wurde 2021 knapp 235.000 Haushalten der
       Strom gesperrt.
       
       ## Forderung: 15 Cent
       
       Mit dem Boykottaufruf verbindet „Wir zahlen nicht“ vier Forderungen.
       Erstens soll Strom für alle bezahlbar werden. Einen Festpreis von 15 Cent
       je Kilowattstunde hält die Initiative für sozial verträglich und
       angemessen. Dieser entspreche jenem Preis, den man für erneuerbare Energie
       zahlen müsste, ohne dass damit Energiekonzerne Profite erwirtschaften oder
       konventionelle Stromerzeugung subventioniert wird. Die deutsche energie-
       und klimapolitische Strategie sei gescheitert. „Es ist an der Zeit, diesen
       schlechten Deal neu zu verhandeln und die Energiewende voranzubringen“,
       sagt Lasse Thiele vom Konzeptwerk Neue Ökonomie.
       
       Die seit Januar geltende [3][Strompreisbremse], mit der die Bundesregierung
       80 Prozent des Verbrauchs auf 40 Cent je Kilowattstunde deckelt, reicht der
       Initiative nicht aus. Noch 2021 hätte der durchschnittliche Strompreis bei
       20 bis 25 Cent gelegen. Die Bremse setze demnach erst bei etwa 100 Prozent
       der Erhöhungen an. Auch reiche der im Bürgergeld vorgesehene Regelsatz von
       etwa 40 Euro für Strom für viele Empfänger:innen bei weitem nicht aus.
       Für Arme stelle die Energiekrise eine Notlage dar: „Vorher war ich am 15.
       pleite, heute schon am 8. eines Monats, bringt es Nicole Lindner auf den
       Punkt.
       
       Die Initiator:innen fordern darüber hinaus, dass Stromabsperrungen
       verboten werden, also niemand gezwungenermaßen im Dunkeln sitzen wird. Das
       Gesetz zur Strompreisbremse sieht eine sogenannte Abwendungsvereinbarung
       und Härtefallregelungen vor, um die Menschen vor Absperrungen zu schützen.
       Dies helfe jedoch nur kurzfristig. Die Betroffenen würden dadurch Schulden
       anhäufen, während die Gesamtgesellschaft die Kosten trage.
       
       „Außerdem gibt es viele, die holen sich gar keine Hilfe“, fügt die
       Erwerbsunfähigkeitsrentnerin Nicole Lindner, die als Betroffene ebenfalls
       auf dem Podium sitzt, hinzu. Oft seien die Hürden bei der Beantragung zu
       hoch.
       
       ## Energiekonzerne enteignen
       
       Dem politischen Charakter der Kampagne entsprechen die letzten beiden
       Forderungen: Die Stromerzeugung solle zu 100 Prozent aus regenerativen
       Energien erfolgen und private Stromkonzerne sollen enteignet werden.
       
       Der Strommarkt ist kompliziert aufgebaut und unterliegt nicht nur
       deutschen, sondern auch europäischen Regularien. Der Preis bemisst sich an
       der teuersten Herstellungsart, die benötigt wird, um die Nachfrage zu
       bedienen. Laut Initiative ist daher eine internationale Vernetzung wichtig.
       „Es ist nicht nur ein deutsches Problem, sondern ein europäisches“, sagt
       Marie Bach. „Wie kann es sein, dass Energieversorger Milliardengewinne
       erwirtschaften, während die Bürger:innen Stromabsperrungen befürchten?“
       
       Die Kampagne wird getragen von Aktivist:innen, die gegen die
       Preissteigerungen der vergangenen Monate potestierten, und ist nach eigenen
       Angaben in Berlin, Köln, Leipzig und weiteren Städten organisiert. Ihr Ziel
       ist die Entstehung weiterer Lokalgruppen, die vor Ort Menschen
       zusammenbringen. In der britischen Vorbildkampagne haben im vergangenen
       halben Jahr tausende Aktivist:innen an dem Aufbau von boykottbereiten
       Strukturen gearbeitet. Seit der Dezemberrechnung verweigern laut [4][„Don't
       pay UK“] eine Viertelmillion Menschen die Zahlung.
       
       10 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Energierechnungen-verweigern/!5874861
 (DIR) [2] https://wirzahlennicht.info/
 (DIR) [3] /Kampf-gegen-hohe-Energiekosten/!5890693
 (DIR) [4] https://dontpay.uk/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erik Peter
 (DIR) Sean-Elias Ansa
       
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